Fußball-EM: Der Tod sitzt auf den Rängen
Seite 2: "Vermehrungsfest für das Virus"
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Das ZDF-Auslandsjournal vom 30. Juni 2021 nahm sich des Themas an ("Volle Stadien trotz Delta") und diagnostiziert einen gefährlichen Fußballrausch, ein "Vermehrungsfest für das Virus".
Das trifft den Nagel auf den Kopf. "Erst in Großbritannien. Und dann in ganz Europa?" Berechtigte Frage, wenn Fußballfieber und Delta-Variante in London aufeinandertreffen.
Lawrence Young, Virologe an der US-Universität Warwick, wird im ZDF-Beitrag interviewt und, man staune, spricht eine simple Wahrheit vornehm aus: "Das ist ein Grund zur Sorge", konstatiert der Befragte, und appelliert dann an den Verstand von Fans und Verantwortlichen: "Es geht nicht darum, Menschen den Spaß zu verderben, sondern (…) zu sagen: Denkt mal darüber nach und seid vorsichtig."
Das Votum wird im Siegestaumel, gleich welchem, mit tödlicher Sicherheit untergehen.
Die Uefa hat das Monopol bei den Europameisterschaften, sie hält die Fäden der EM fest in der Hand. Städte, die nicht mitziehen, verlieren die Zuteilung. Es geht um die Zahl der zugelassenen Fans, um die Facetten dessen, was man Hygienekonzept nennt. Der Verband hat auch die Ausnahmen bei den Quarantäneregelungen für Offizielle durchgesetzt, alles keine Frage.
Dass britische Regierung und Uefa 60.000 Fans bei den Halbfinals und dem Finale zulassen, wer will dem Unverstand wehren: Ein Rückschlag für Vernunft und Moral, in der Außendarstellung eine Gaukelei, bei der es um Menschenleben geht.
Possenreißer und Gaukler
Die Possenreißer und Gaukler der modernen Sportszene weisen eine verblüffende Nähe zu antiken Mustern auf. Die römischen Spektakel ("Ludi") strotzten nur so von Lokalchauvinismus und Machtgehabe. Tertullian handelte darüber in seiner Schrift De Spectaculis, in der er dem Leser das römische Spielewesen anschaulich vor Augen führt: Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe, Tierhetzen, Wettstreit der Athleten. Es winkte (und winkt) die Siegeskrone. Im Circus Maximus gab es die maximale Tollheit zu bestaunen.
Eine Besonderheit spiegelt sich in den EM-Spielen 2020 deutlich wider: Auch diese Ludi verbinden (wie es bei den antiken Vorbildern üblich war) die Lebenden mit den Toten. So war es im antiken Rom, so war es bei den tödlichen Spektakeln der Provinzen, so sitzt der Tod dieser Tage mit auf den Rängen. Mitten unter den jubelnden Zuschauern in den Spielstätten der modernen Events, die sich als die uralten erweisen. Ammianus Marcellinus schreibt im vierten Jahrhundert über die verzehrende Leidenschaft:
Ihr Tempel, ihr Erholungsort, ihr Versammlungsplatz, letztes Ziel ihrer Wünsche ist der Circus Maximus. (…) Und da das Geschwür der Sorglosigkeit so tief eingewurzelt ist, überstürzen sich alle, wenn der so sehr herbeigesehnte Tag (der Wagenrennen) zu dämmern beginnt …
Ammianus Marcellinus, zitiert nach: Jean-Paul Thuillier, Sport im antiken Rom. Darmstadt (WBG) 1999, S. 188f.
Eine Mutter, so liest man betroffen, verfasste zu jener Zeit die Grabinschrift für ihren 18-jährigen Sohn. Sie lautete in Stein gemeißelt: "Er war ein Anhänger der Blauen", ein beliebter Club in der Welt der antiken Spiele.
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