Gaddafi Superstar
Libyen ist wieder lieb
Muammar el Gaddafi, der sich einst mit der Vertreibung amerikanischer und britischer Truppen, einer selbstgestrickten Spezialform des Sozialismus und der Anordnung terroristischer Attentate als bad guy schlechthin qualifiziert hatte, macht derzeit eine erstaunliche Karriere.
Gaddafi (resp. sein Sohn Saif) setzte sich nicht nur kürzlich für die Freilassung europäischer Urlauber ein, die in der Sahara in Geiselhaft geraten waren, sondern man zahlte auch aus eigener Tasche das benötigte Lösegeld.
Gaddafi bietet den Hinterbliebenen und Überlebenden des "La Belle"- Anschlags Entschädigung an, und übernimmt gleichzeitig offiziell die Verantwortung für den Terrorakt über Lockerbie.
Den Fußballverein Lazio Rom wollte er dann doch nicht kaufen, aber Al Saadi Gaddafi, ein anderer Sohn des Revolutionsführers, darf immerhin für den italienischen Erstligisten AC Perugia kicken. Und es gibt sogar Gerüchte über einen bevorstehenden Beitritt Libyens zur WTO.
Die totale Charmeoffensive hat Erfolg. Nicht nur wird bereits von Kofi Annan gefordert, die 1992 wegen Lockerbie über Libyen verhängten Saktionen aufzuheben - sie haben ohnehin keine Substanz mehr, seit sie 1999 wegen der Auslieferung zweier mutmaßlicher Attentäter an ein schottisches Gericht ausgesetzt wurden.
In Europa ist Italien am eifrigsten bemüht, die Beziehungen zu Libyen zu "normalisieren" - gilt es doch, Libyen, wenn möglich, zu einem Hilfspolizisten bei der Abwehr afrikanischer Flüchtlingsströme zu machen, die offenbar neuerdings verstärkt von libyschen Küsten nach Italien aufbrechen. Wenn sich im Zug dieser Bemühungen vielleicht sogar durch den Verleih italienischer Grenzpolizisten und Soldaten Einfluss in der ehemaligen italienischen Kolonie gewinnen lässt - umso besser. Während Deutschland bisher auf die diskreten Kanäle des auswärtigen Amts setzt, sich eine Geiselbefreiung "schenken" lässt und ansonsten als Lieferant von deutscher Wertarbeit dient, sind die Amerikaner bisher noch zögerlich. Immerhin darf es als ein Signal gelten, dass sie sich der Aufhebung der UN-Sanktionen gegen Libyen nicht widersetzen wollen, wenn sie auch ihre eigenen, seit 1986 gegen den Wüstenstaat gerichteten Maßnahmen zunächst aufrechterhalten wollen.
Ganz ohne Verschwörungstheorien kann man aber vermuten, dass die USA die libyschen Ölreserven nicht völlig aus dem Auge verlieren möchten, selbst wenn in ganz Afrika nicht einmal ein Zehntel dessen lagert, was im Nahen Osten vermutet wird.
Die Probleme im Irak scheinen noch lange nicht beendet, und die Beziehungen zu Saudi-Arabien sind so schlecht wie nie. Da könnte es durchaus eines Tages gelegen kommen, die alten Missstimmungen wegen ein paar toten GIs und Fluggästen zu vergessen und zur Realpolitik überzugehen.
Man kann derzeit also richtig hören, wie in der Angelegenheit Libyen die eine Kralle die andere kratzt. Am Ende haben alle was davon. Gaddafi lässt sich seine Einsicht, dass Planwirtschaft uncool ist, von der Weltbank vergolden. Das libysche Öl ist dort, wo es hingehört, auf dem freien Markt nämlich. Italien darf ein wenig von kolonialer Macht und Größe träumen wie anno dazumal, und die Flüchtlinge, die es nicht haben will, werden von italienisch-libyschen Experten in der Wüste herumgetrieben. Deutschland fischt wie eh und je nach Einfluss in der arabischen Welt und popelt und puhlt solange, bis es diesen Einfluss eines Tages militärisch absichern muss. Gaddafis Sohn Al Saadi kann Fußball spielen, wo er will. Und alles zusammen nennt man Geopolitik.
Mit einem Wort: Gaddafi Superstar hat auf seine alten Tage gute Chancen, der neue Saddam Hussein zu werden. Wenn das mal keine großartigen Aussichten sind.