Gantz: "Es ist Zeit, die Scharte auszuwetzen"
Die israelische Koalition will innerhalb der nächsten neun Monate Cannabis als Genussmittel legalisieren
Nach vier Monate dauernden Expertenanhörungen und Verhandlungen hat die israelische Kabinettsarbeitsgruppe zur Regulierung des Cannabismarkts aus mehreren Ministerien Justizminister Avi Nissenkorn gestern ein Papier mit einem Ergebnis zugeleitet, auf das man sich einigen konnte: Auf eine regulierte Legalisierung von Marihuana und Haschisch als Genussmittel.
Abwägung des gesundheitlichen Schadens mit den negativen Auswirkungen durch die Kriminalisierung
Zu diesem Ergebnis kam man dem stellvertretenden Justizminister Amit Merari nach, indem man zur Kenntnis nahm, dass der Cannabiskonsum in Israel trotz eines Verbots seit der Staatsgründung konstant zunahm. Daran konnte auch die letzte Gesetzesänderung von 2018 nichts ändern, die für den Besitz optionale, aber sehr hohe Geldstrafen vorsieht.
Bei einer Abwägung des gesundheitlichen Schadens durch Cannabis und der negativen Auswirkungen durch dessen Kriminalisierung sei man zur Erkenntnis gelangt, dass letztere mehr Schaden anrichtet als ersterer. Dazu habe sich die Arbeitsgruppe auch die konkreten Auswirkungen von Verboten und Zulassungen in anderen Gegenden der Welt angesehen.
In den letzten acht Jahren wurde die Substanz nämlich unter anderem in Kanada (vgl. Kanada: Senat stimmt für Legalisierung von Marihuana), Uruguay (vgl. Garantiertes Qualitätsmarihuana zum Festpreis von einem Dollar pro Gramm) und elf US-amerikanischen Bundesstaaten legalisiert (vgl. Bürger in Kalifornien, Nevada und Massachusetts erzwingen Legalisierung von Marihuana). In vier weiteren - Arizona, Montana, New Jersey und South Dakota - stimmten die Bürger am 3. November für eine Legalisierung, die die Gesetzgeber dort nun umsetzen müssen. In den meisten arabischen und fast allen afrikanischen Ländern drohen dagegen hohe Strafen.
Erst ab 21, aber auch für Touristen
Die Erfahrungen der Länder, die Cannabis als Genussmittel legalisierten, will man in Israel für die Gestaltung der konkreten Regulierung der Substanz nutzen. So soll beispielsweise eine besondere Steuer beim Verkauf von Cannabis erhoben werden. Aus diesen Einnahmen sollen unter anderem Sucht-Therapien, Behandlungen psychischer Probleme und die Kontrolle des Verbots der Abgabe von Cannabis an Personen unter 21 Jahren finanziert werden.
Israelis und Touristen, die älter sind, müssen dies an den lizenzierten Verkaufsstellen mit einem Pass oder einem Ausweis nachweisen. Bis zu welcher Menge der Besitz von Cannabis in Israel künftig ohne Handelslizenz legal ist, steht noch nicht fest. Der Anbau im eigenen Haus oder Garten soll allerdings vorerst verboten bleiben. Erst dann, wenn sich ein legaler Markt etabliert hat, will man sich ansehen, ob man auch das "Homegrowing" freigibt. Auf Dauer verboten bleiben soll das Führen eines Kraftfahrzeugs unter Cannabiseinfluss.
Neun Monate
Im Dezember soll der Knesset ein Entwurf für ein konkretes Legalisierungsgesetz vorgelegt werden. Dessen Verabschiedung wird aber erst neun Monate später erwartet. Während dieses Zeitraums will das Gesundheitsministerium weitere Untersuchungen durchführen lassen, deren Ergebnisse in die Regulierung einfließen sollen. Der Blau-Weiß-Abgeordnete Ram Shefa befürchtet angesichts dieser langen Frist, dass der Legalisierung Neuwahlen in die Quere kommen könnten und hat angekündigt, sich trotz der Corona-Quarantäne, in der er sich derzeit befindet, "mit voller Kraft" dafür einzusetzen. Er werde, so der Sohn eines Olympiaschwimmers, dafür sorgen, dass niemand das Vorhaben stoppt - weder eine Partei noch ein einzelner Abgeordneter.
Betreut wird das Vorhaben aber nicht von ihm, sondern von seiner Parteifreundin Michal Cotler-Wunsh, der Vorsitzenden des Drogen- und Alkoholausschusses. Aber auch Cotler-Wunsh befürwortet das Gesetz - ebenso wie der Blau-Weiß-Chef und alternierende Ministerpräsident Benny Gantz: "Zu viele Bürger" haben seinen Worten nach schon "zu lange" unter der Strafverfolgung von Cannabiskonsum gelitten: nun sei es "Zeit, die Scharte auszuwetzen".
Die Likud-Abgeordnete Sharren Haskel sprach ebenfalls von "Unrecht" in der Vergangenheit und kritisierte in diesem Zusammenhang ihren Parteifreund Gilad Erdan, der die Gesetzesänderung von 2018 zu verantworten hatte und danach UN-Botschafter wurde. Unter dessen Aufsicht, so Haskel, hätte die damalige Arbeitsgruppe Empfehlungen von Fachleuten weitgehend ignoriert.
Letzteres ließe sich auch von der deutschen Bundesregierung behaupten. Sie ignoriert beispielsweise die vor zwei Jahren ausgesprochene Forderung des damaligen Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter nach einer "kompletten Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten". Man müsse, so der Fachmann, "schlicht akzeptieren", dass es "in der Menschheitsgeschichte noch nie eine Gesellschaft ohne Drogenkonsum" gab und dass "unser derzeitiges Rechtssystem Menschen stigmatisiert und kriminelle Karrieren erst entstehen lässt".
Für bessere Ansätze, mit der anthropologischen Konstante umzugehen, hält er die Anleitung zu Verantwortung im Konsum, die Fürsorge für Menschen, die das nicht schaffen, einen "tatsächlich wirksamen Kinder- und Jugendschutz" und die Gewährleistung, dass unter THC-Einfluss nicht Auto gefahren wird (vgl. "Historisch betrachtet willkürlich und bis heute weder intelligent noch zielführend").
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