Gaskrise: Russland dreht Deutschland den Hahn wieder zu

Gasspeicher lassen sich kaum noch auf geplanten Füllstand bringen, auch, weil Robert Habeck nicht auf Ökonomen hörte. In Baden-Württemberg appelliert man nun deshalb schon an den deutschen Patriotismus.

Russland macht ernst – und kündigt an, die Gaslieferungen nach Deutschland erneut drosseln zu wollen. Am Mittwoch, um 6 Uhr mitteleuropäischer Zeit, soll die Gasmenge halbiert werden, die aktuell über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 geliefert wird.

Nur noch 33 Millionen Kubikmeter Gas sollen damit durch die Leitung fließen. Würde die Pipeline komplett ausgelastet, wären es 160 Millionen Kubikmeter täglich. Die russische Seite begründete den Schritt mit einer weiteren Gasturbine, die zur Wartung nach Kanada verschickt werden soll – und mit der Gasturbine, die immer noch nicht aus Kanada zurückgekehrt ist.

Unerwartet kam dieser Schritt nicht. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte letzte Woche vor dieser Situation gewarnt. Dabei hatte er darauf aufmerksam gemacht, dass Ende Juli eine weitere Gasturbine zur Reparatur geschickt werden solle.

Die Bundesregierung reagierte am Montag mit Unverständnis auf die Ankündigung. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums erklärte: "Es gibt nach unseren Informationen keinen technischen Grund für die Reduktion der Lieferungen".

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warf dem russischen Präsidenten ein "perfides Spiel" vor. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erklärte er ebenfalls, dass es keine technischen Gründe für die Lieferkürzungen gebe. Außerdem stünde die besagte Gasturbine bereit, um nach Russland ausgeliefert zu werden. Die Ausfuhrdokumente von Siemens Energy lägen vollständig vor, aber Russland weigere sich, die Einfuhrdokumente auszustellen, so Habeck.

Gazprom hatte zuvor bestätigt, von Siemens Energy die Dokumente zur Rückgabe einer Turbine aus Kanada erhalten zu haben. Doch die zuvor identifizierten Risiken seien nicht beseitigt worden und die Papiere würden zusätzliche Fragen aufwerfen. Man habe unter anderem noch Fragen zu Sanktionen der Europäischen Union und von Großbritannien. Deren Lösung sei "für die Lieferung des Triebwerks nach Russland und die dringende Überholung weiterer Gasturbinentriebwerke für die Verdichterstation Portovaya wichtig", hieß es von Gazprom.

Kaum noch möglich, Gasspeicher aufzufüllen

Die europäischen Börsen reagierten sofort auf die Ankündigung: Der Preis für Erdgas ging nach oben. Eine Megawattstunde notierte an der Energiebörse in den Niederlanden bei rund 175 Euro, was ein Anstieg von 7,7 Prozent ist im Vergleich zum Freitag. Höhere Preise sind künftig nicht auszuschließen.

Gut über den Winter zu kommen, scheint unter diesen Bedingungen kaum noch möglich zu sein. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte erst kürzlich gewarnt: "Auch bei einem Niveau von 40 Prozent müssen wir erhebliche Anstrengungen unternehmen, um gut über den Winter zu kommen". Mit der halbierten Liefermenge wird es deutlich schwieriger.

Die Bundesregierung hatte erst kürzlich neue Ziele für das Auffüllen der Gasspeicher beschlossen. Zum 1. November sollen sie einen Füllstand von mindestens 95 Prozent aufweisen. Ein unrealistisches Ziel, wie nun Müller auch eingestehen musste.

Bei einem Krisengipfel der baden-württembergischen Landesregierung sagte er am Montag laut dpa: Das sei unrealistisch, selbst wenn durch die Pipeline 40 Prozent der Lieferkapazität fließe. Im besten Fall seien maximal 80 bis 85 Prozent möglich. Bleibt es aber bei der halben Menge, dann dürfte das Ziel nur schwer zu erreichen sein.

Habeck hört nicht auf Rat von Ökonomen

Inzwischen wächst der Druck auf Wirtschaftsminister Habeck. Zahlreiche Ökonomen werden Habeck laut Handelsblatt (Dienstag) vor, zu zaghaft agiert zu haben. Hätte Habeck sofort Stein- und Braunkohlekraftwerke wieder ans Netz gehen lassen, dann hätte man zehn Prozent Gas pro Monat sparen können, sagte ein Ökonom zum Beispiel.

Doch Habeck habe zahlreiche Ratschläge in den Wind geschlagen, so die Ökonomen. Sie hatten vorgeschlagen, die Preise schnell auf die Verbraucher durchschlagen zu lassen. Denn auf nichts reagieren sie so effizient wie auf "Preissignale", so die Meinung der Ökonomen.

Auch Vorschläge, den Verbrauchern Geld dafür zu zahlen, damit sie Gas sparen, schlug Habeck in den Wind. Im ZDF hatte er zu Vorschlägen erklärt, Bürgern Gelder fürs Energiesparen zu belohnen: "Die kriegst Du nicht, Alter". Er wolle nicht in einem Land leben, in dem man sich nur noch bewegt, wenn es dafür Bares gibt.

In den Augen der Ökonomin und "Wirtschaftsweisen" Veronika Grimm ist das nur eine romantische Vorstellung. Die Forschung lege aber nahe, "dass man nur bei klaren Preissignalen einen signifikanten Effekt erzielen" werde.

Aus Sicht der Bundesregierung ist Habecks Agieren nachvollziehbar: Die Mehrheit der Menschen in Deutschland wird wohl erst im nächsten Jahr mit einer enormen Energierechnung konfrontiert. Lediglich 18 Prozent haben laut Handelsblatt eine Heizkosten-Nachzahlung erhalten.

Insofern hat die Bundesregierung Zeit gewonnen, damit ihre Sanktionen nicht am Unmut der Bürger scheitern. Doch das gilt nur, wenn der Gasfluss aus Russland nicht dauerhaft so niedrig sein wird, wie in der nächsten Zeit.

Sollte es im Winter zu einem Gasmangel in Deutschland kommen, dann könnte die Gesellschaft auseinanderreißen, warnte am Montag Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).

Die gesellschaftlichen Fliehkräfte würden groß sein, wenn Deutschland in eine Gasnotlage komme, so Kretschmann. Und diese Fliehkräfte seien dann größer "als bei Corona, und dieses Problem haben wir ja noch zusätzlich an der Backe".

In den nächsten Monaten gehe es darum, "dass wir uns in den wesentlichen Punkten nicht auseinanderdividieren", erklärte Kretschmann weiter. Und seiner Meinung nach hilft dagegen ein Appell an den Patriotismus; der sei dann gefragt.

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