Gasversorgung: Europäer können erst in Jahren auf russische Lieferungen verzichten

Russisches Erdgas soll ersetzt werden, doch deutsche Forscher sagen nun, vor 2025 geht das wohl nicht. Weshalb das Gasnetz dabei eine entscheidende Rolle spielt.

Diese Woche könnte zur Schicksalswoche für Deutschland werden: Am Donnerstag sollen die Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 abgeschlossen werden – und dann wird sich zeigen, ob Russland die Gaslieferungen wieder aufnimmt.

In den letzten Wochen und Monaten war die Bundesregierung nicht untätig, um Alternativen zum russischen Erdgas zu erschließen. Doch selbst wenn sie die Mengen aus Russland – rechnerisch – komplett ersetzen könnte – eine Versorgungslücke bliebe weiterhin. Das geht aus einer aktuellen Studie hervor, die am Donnerstag vorgestellt wurde.

Es wird voraussichtlich bis 2025 dauern, bis sich Deutschland und die Länder der Europäischen Union komplett vom russischen Erdgas lösen. Doch das setzt laut Studie voraus: dass die Gasinfrastruktur ausgebaut wird; der Gasverbrauch zurückgeht; und es eine gut abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den europäischen Ländern gibt.

Es gibt also viel zu tun und einige Hürden müssen überwunden werden. Bis es so weit ist, muss mit Engpässen bei der Gasversorgung gerechnet werden. Aber auch wenn die Hindernisse überwunden sind – die Gaspreise für Verbraucher und Industrie bleiben voraussichtlich auf längere Sicht hoch, heißt es in der Studie.

Vorhandene Infrastruktur muss umgebaut werden

Das Gutachten wurde von Forschern des Fraunhofer-Instituts für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI, der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG und der Technischen Universität Berlin erstellt.

Darin analysieren sie mit strömungsmechanischen Modellrechnungen, ob der Erdgasbedarf in Europa mit der vorhandenen Infrastruktur gedeckt werden könnte, sollte kein Gas mehr aus Russland geliefert werden.

Die Antwort ist: Nein, für die nächsten Jahre bliebe eine Versorgungslücke bestehen, auch mit gefüllten Gasspeichern. Während einer typischen zweiwöchigen Kälteperiode, heißt es in der Studie, könnte in Europa ein Viertel des Gasbedarfs nicht gedeckt werden; in Deutschland wären es 30 Prozent.

Der Grund dafür ist das Leitungssystem, über das sich nicht genügend Gas verteilen ließe. "Es fehlen mittelfristig leistungsfähige Pipelines für den Import und LNG-Terminals, um größere Erdgasmengen aufnehmen zu können", heißt es weiter.

Hinzu komme, dass das bestehende Leitungssystem nicht symmetrisch sei. Es ist förmlich auf die Lieferung von Gas aus Russland ausgelegt. Röhren mit großem Durchmesser liegen im Osten Europas und nach Westen verzweigt sich das Netz wie ein Adersystem.

In einem solchen Netz ist Flussumkehr nicht so leicht möglich, denn es gibt nur eine begrenzte Zahl von Einspeisepunkten mit technisch limitierter Kapazität. Die Modelle zeigen, wo bei Flussumkehr regional hohe Netzbelastung auftritt, etwa zwischen Italien und Österreich oder Deutschland und den Niederlanden.

Gasverbrauch muss deutlich gesenkt werden

Ohne einen Ausbau der Infrastruktur und einen Umbau von Verdichterstationen, wäre es kaum möglich, Gas flächendeckend in die entgegengesetzte Richtung zu pumpen.

Zu den notwendigen Infrastrukturmaßnahmen zählen die Umsetzung bereits geplanter Pipelineprojekte und der (Aus-)Bau von LNG-Terminals sowie die Ertüchtigung von Verdichterstationen für den reverse flow.

Diese Umrüstung ist notwendig, da das Gas in vielen Teilnetzen nicht mehr in die Richtung fließt, auf die die Netze ursprünglich ausgelegt waren. Dabei kommt der Richtungsumkehr zwischen Italien und Österreich eine wichtige Rolle zu, um den Weitertransport des Gases bis in die Ukraine zu ermöglichen.

Dem deutschen Netz kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu, heißt es in der Studie weiter. Aber selbst, wenn die Infrastruktur entsprechend umgebaut wurde – es reicht dennoch nicht, um die Versorgungslücke zu schließen.

Erhebliche Einsparungen seien unumgänglich, erklärten die Wissenschaftler, um alle europäischen Länder versorgen zu können. Die erneuerbaren Energien sollen schneller ausgebaut werden, fordern die Wissenschaftler; die Energieeffizienz von Gebäuden solle gesteigert werden; und statt mit Gas zu heizen, solle man lieber auf Wärmepumpen setzen. Im "Stromsektor könnte die Kohleverstromung auch mittelfristig von Bedeutung sein, um Erdgas einzusparen".

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