Geburtenrückgang: Jetzt will Macron den Franzosen an die Eier

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Familienpolitik mal anders: demografische Aufrüstung für Frankreich. Eine kostenlose Fruchtbarkeitsuntersuchung soll helfen. Dystopisch, sagen Kritiker.

Der Präsident wünscht sich, dass sich die Französinnen und Franzosen stärker vermehren. Dafür schlägt die Regierung einen besonderen Ansatz vor.

Für seinen großen Plan hat Emmanuel Macron bei einer Pressekonferenz vor einer Woche eine eigenwillige Wortwahl getroffen, die gut zu einem militanten Zeitgeist passt: "réarmement démographique", auf Deutsch kann man das mit "demografische Aufrüstung" wiedergeben.

Zum "großen Plan" der Regierung, der die Zahl der Geburten in Frankreich erhöhen soll, veröffentlichte La Tribune am vergangenen Sonntag folgende Maßnahme.

Nach unseren Informationen möchte die Regierung eine gynäkologische Untersuchung für Frauen und ein Spermiogramm für Männer, die zu 100 Prozent von der Sozialversicherung (Sécurité sociale) übernommen werden, generell im Alter von 25 Jahren einführen, also in dem Alter, in dem Frauen besonders fruchtbar sind.

"Wir wollen eine Signalwirkung erzielen, um den jungen Menschen zu sagen: "Stellt euch diese Frage nicht mit 35 Jahren", heißt es aus dem Umfeld von Emmanuel Macron.

La Tribune

In der Sendung Question politiques, beteiligt sind France Inter, Franceinfo und Le Monde, bestätigte die Ministerin Aurore Bergé, zuständig für Gleichstellung von Frauen und Männern, die Absicht.

Das ist eine Spur, die vom Élysée-Palast vorgebracht wird. Ich finde, dass es eine gute Spur ist. (…) Es ist kein Gadget-Thema, es ist kein kleines Thema.

Aurore Bergé

Dystopie im Anmarsch?

Die Signalwirkung ging erstmal in eine unerwünschte Richtung. Die Kritik sah eine Dystopie am Horizont erscheinen, à la The Handmaid’s Tale von Margaret Atwood (deutsch: Der Report der Magd), mittlerweile millionenfach bekannt durch die Serie. Wie kann sich ein Präsident derart in die Intimsphäre einmischen?, so der Aufschrei.

"Ich erinnere daran, dass die Gebärmütter von Frauen keine Staatsangelegenheit sind", mahnte etwa die EELV-Abgeordnete Sandrine Rousseau bei einem Fernsehauftritt.

"Wir machen keine Kinder, um irgendetwas 'aufzurüsten'‘", so eine andere Reaktion an Macron adressiert: "Es wäre schön, wenn Ihre martialischen Wahnvorstellungen wenigstens an unseren Gebärmüttern Halt machen würden."

Ein neuer Überwachungsstaat in statu nascendi?

Tabu-Thema Unfruchtbarkeit

Für die Regierung stellt sich das anders dar. Man will ein Tabu-Thema ansprechen:

"Die Wahrheit ist, wann wurden wir als Frauen in unserem Lebenslauf auf dieses Thema (Unfruchtbarkeit) angesprochen? Wann wird in den Lebensläufen der Männer darüber gesprochen? Mit wem wird darüber gesprochen? Leider spricht man oft erst darüber, wenn es zu spät ist. Sie haben 16 Departements in Frankreich, in denen es nicht einmal einen Gynäkologen gibt

Aurore Bergé

Das stellt dann Fragen danach, wie die gynäkologische Untersuchungen künftig durchgeführt werden sollen.

"Wir kommen um 19 Uhr von der Arbeit nach Hause. Verstehen Sie das?"

Zum Plan für eine größere Fruchtbarkeit in dem Land, in dem die Liebe erfunden wurde, gehört mehr. "Wir haben kein Geld. Wir sind keine Hausbesitzer. Wir haben keine Kinderbetreuung. Wir kommen um 19 Uhr von der Arbeit nach Hause. Verstehen Sie das?", wird in einem Beitrag auf dem Debattenforum X (früher Twitter) gefragt. Das Posting machte Karriere in der öffentlichen Wahrnehmung.

Ob das neue Elterngeld, das Macron in Aussicht stellte, solche Sorgen lindern wird, ist noch offen. Auch die französische Regierung hat mit einer verbreiteten Unzufriedenheit zu kämpfen, die sich an unterschiedlichen Themen aufheizen kann. Im Augenblick fürchten wohl nicht nur Leitmedien der Mitte, dass sich die aktuellen Bauernproteste zu einer neuen Gelbwesten-Bewegung entwickeln könnten.

Historischer Geburtenrückgang

Was die Fruchtbarkeit angeht, so sorgten jüngste Zahlen der amtlichen Statistiker von Insee für eine Alarmstimmung: 678 000 Babys im Jahr 2023. Damit liegt die Fertilität bei 1,68 Kinder pro Frau. Das ist europaweit noch immer ein hoher Wert, aber bedeutet einen deutlichen Rückgang (siehe die Daten von 2021 im europäischen Vergleich).

So wenig Geburten verzeichnete man in Frankreich seit 1946 nicht mehr. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Geburtenrate um 6,6 Prozent.

Besser Urlaub versprechen?

Als weitere Maßnahme für mehr Kinder in Frankreich schlägt Ministerin Bergé einen Urlaub für Frauen vor, die sich einer künstlichen Befruchtung unterziehen wollen und dazu eine Neugestaltung des Elternurlaubs, auch Macron sprach sich für einen "Geburtsurlaub" aus, um den neuen Eltern den Anfang leichter zu machen.

Ob das den Französinnen und Franzosen zu mehr Kinder anregt, ist offen. Urlaub klingt jedenfalls entspannter als "demografische Wiederbewaffnung".

Vielleicht hat sich Macron einfach in der Erfolgskurve vertan. Kürzlich hieß es, dass die Parole "réarmer la France", auf militärischem Gebiet eine Erfolgsgeschichte für die französische Rüstungsindustrie ist.