Gegen die AfD heißt nicht für die Ampel: Kampf gegen Rechts braucht Unabhängigkeit
Ein geplantes Demokratiefördergesetz sieht Finanzhilfen für NGOs vor. Das bedeutet auch Einflussnahme. Wie viel Staat verträgt der Kampf gegen Rechts? Ein Kommentar.
Der Höhenflug der AfD scheint zwar vorerst gestoppt zu sein – allerdings würde sie laut Umfragen immer noch mehrere Dutzend Mandate hinzugewinnen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre.
Mit 10,3 Prozent war sie 2021 wieder eingezogen, bei 19 bis 20 Prozent lag sie zuletzt laut Erhebungen der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer und Insa für Bild am Sonntag. Drei bis vier Prozentpunkte hat sie damit seit ihrem bundesweiten Höchstwert im Dezember 2023 verloren.
Polarisierung hält an: Der Rechtsruck war weit fortgeschritten
Die Polarisierung der letzten Jahre ist damit nicht aufgehoben, aber sowohl Regierende als auch die geschwächte linke Opposition hoffen, dass die Zustimmungswerte für die AfD weiter so zurückgehen, wie sie angesichts der Großdemonstrationen der letzten Wochen gegen den Rechtsruck zurückgegangen sind.
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Wie das nachhaltig erreicht werden kann und ob es dafür nicht eine bessere Alternative als die Ampel-Regierung braucht und ob das gerade jetzt thematisiert werden muss, nachdem wir gerade "Alle zusammen gegen den Faschismus" gerufen haben, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
Radikale Demokratie oder bürgerliche Demokratie?
Dürfen Linke es noch wagen, eine Ausweitung der Demokratie im Sinne von "Brecht die Macht der Banken und Konzerne" zu fordern, oder müssen alle Nicht-Faschisten dankbar für eine bürgerliche Demokratie sein, in der Superreiche viel mehr Einfluss auf Politik und Gesellschaft haben als Normalsterbliche durch ihr Wahlrecht, wenn sie denn eines haben?
Auch der Protestforscher Tareq Sydiq meint, es sei noch keine klare Zielsetzung zu erkennen – einen Erfolg könnten die Demonstrierenden aber schon verbuchen: einen "gewissen Narrativwechsel", da nicht mehr ständig über Inhalte der AfD gesprochen werde, sondern "über Rechtsextremismus in der AfD", sagte Sydiq, der am Zentrum für Konfliktforschung an der Marburger Philipps-Universität arbeitet, der der Deutschen Presse-Agentur. Jetzt stellt sich die Frage: Wie weiter?
Demokratiefördergesetz: Hoffnung trotz Schuldenbremse?
Auf den ersten Blick wirkt es wie eine gute Nachricht für Organisationen, die sich gegen Rassismus, Sexismus und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit einsetzen: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellt ihnen trotz Schuldenbremse Fördergelder in Aussicht und pocht auf die schnelle Verabschiedung eines Demokratiefördergesetzes, das vor mehr als einem Jahr vom Ampel-Kabinett gebilligt, aber noch nicht im Bundestag beschlossen wurde.
Gemeint ist natürlich kein "Demogeld" für Hunderttausende, wie sich das vielleicht manche AfD-Anhänger vorstellen. Eher geht es um wenige Hauptamtliche, die recherchieren, beraten, organisieren oder Flyer gestalten, sowie Druckkosten, Räume für Veranstaltungen und Soundanlagen für Demos.
Mit NGOs gegen Extremismus?
Damit soll laut Entwurftext "eine gesetzliche Grundlage für Maßnahmen der Demokratieförderung, Vielfaltsgestaltung, Extremismusprävention und politische Bildung durch Akteure der Zivilgesellschaft sowie den Bund selbst geschaffen werden". Entsprechende Vereine und Organisationen sollen dadurch mehr Planungssicherheit erhalten.
Dafür sei es nun "höchste Zeit", meint Faeser angesichts der aktuellen Proteste gegen Rechtsextremismus – das jedenfalls ist der Minimalkonsens der Massendemonstrationen, die seit dem Bericht des Recherche-Netzwerks Correctiv über das Potsdamer Treffen von AfD-Politikern, Identititären, Unternehmern und rechten CDU-Mitgliedern zum Thema "Remigration" stattfinden.
Proteste gegen Rechts: Wie breit darf das Bündnis sein?
Es fällt jedoch auf, dass im Demokratiefördergesetz, das Faeser anlässlich dieser Proteste gegen extreme Rechte bewirbt, allgemein von "Extremismus" die Rede ist. Zweimal wird neben Rechtsextremismus und islamistischem Extremismus auch explizit Linksextremismus erwähnt.
Insofern die Frage, wie breit die hochgelobten Proteste breiter Bündnisse gegen AfD und Co. nach Meinung der Regierenden überhaupt sein dürfen.
Auch Faeser hat diese Proteste gelobt. Einige ihrer Parteifreunde, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD-Chefin Saskia Esken und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach waren auch dort – aber etliche Menschen, die gekommen waren, um gegen den Rechtsruck auf die Straße zu gehen, sind auch nicht einverstanden mit der Politik von Regierungsmitgliedern, die versuchen, sich an die Spitze der Proteste zu setzen.
Rassismus vs. Kapitalismuskritik: Gefährliche Gleichsetzungen
Viele, die sich seit Jahren kontinuierlich gegen Rassismus engagieren, lehnen die Gleichsetzung von "Links- und Rechtsextremismus" ab. Sie verweisen dabei auf den Unterschied zwischen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die sich auf Herkunft, Geschlecht oder sexuelle Orientierung bezieht, und Kapitalismuskritik, die sich gegen Privilegien, Macht- und Eigentumsverhältnisse richtet.
Nicht zuletzt, weil es diese Verhältnisse sind, die aus ihrer Sicht erst den Boden für rechtsextreme Parteien bereiten.
Auf der Berliner Großdemonstration am Samstag, zu der fast 1.000 Vereine, Verbände und Organisationen aufgerufen hatten, gab es durchaus Redebeiträge, die auch mit den Ampel-Parteien hart ins Gericht gingen – sowohl wegen ihrer Kürzungspolitik, die verschiedene Gruppen gegeneinander ausspielt, als auch, weil sie durch die Verschärfung der Asylgesetze der AfD entgegenkämen.
Auch Sprüche wie "Schuldenbremse = AfD-Turbo" hatten einzelne Teilnehmer auf Pappschilder gemacht. Die Partei Die Linke hatte Plakate drucken lassen, auf denen zuspitzend stand: "Wer AfD-Politik macht, bringt die AfD an die Macht".
AfD-Kritik und Ampel-Politik: Wer spielt wem in die Hände?
Unfair findet das zum Beispiel der SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir: "Wer den Plan der Rechtsextremisten, die Millionen von Menschen deportieren wollen, mit der Politik der Ampel vergleicht, ist einfach nur populistisch unterwegs", sagte er am Wochenende der Deutschen Presse-Agentur.
Schließlich habe die Koalition mit dem Chancenaufenthaltsrecht für Geduldete, dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der Reform des Einbürgerungsrechts deutliche Verbesserungen erreicht.
Genau das – kombiniert mit dem "Rückführungsverbesserungsgesetz" zur schnelleren Abschiebung der Chancenlosen – würden Teile der Antirassismus-Bewegung, die nicht nur in den letzten Wochen, sondern in den letzten Jahren aktiv waren, aber eher als Nützlichkeits-Rassismus bezeichnen.
Wieviel AfD steckt im Rückführungsverbesserungsgesetz?
Manche von ihnen sagen, westliche Industrieländer müssten mehr Verantwortung für die Opfer kolonialer und neokolonialer Ausbeutung von Mensch und Natur in anderen Teilen der Welt übernehmen, statt nur auf die ökonomische Verwertbarkeit von Migranten zu schielen und den "Brain Drain" im Globalen Süden zu fördern.
Einige verweisen auch darauf, dass mit der Existenzangst in Teilen der Bevölkerung die Vorstellung zunimmt, wer irgendwo neu ist, müsse sich erst einmal hinten anstellen – und dass deshalb Spardiktate eben auch Rassismus fördern, egal, ob sich die verantwortlichen Politiker in Antirassismus-Demos einreihen oder nicht.
Wenn Ampel-Politiker auf Demos posieren
Ungeachtet der Kritik ließen es sich Spitzenpolitiker von SPD und Grünen aber nicht nehmen, auf der Berliner Großdemonstration am Samstag Fotos und Videos von sich als Teil der Protestbewegung gegen die rechte Gefahr anzufertigen. Es scheint, als strickten sie schon jetzt an der Erzählung, dass sie es waren, die das Schlimmste verhindert zu haben – und erwarten dafür Dankbarkeit von Wahlberechtigten und Zurückhaltung von der linken Opposition, wenn sie das nächste Wahlversprechen brechen.
Die Frage ist also, ob das Demokratiefördergesetz tatsächlich Vielfalt fördern oder letztendlich den Meinungskorridor verengen soll, indem innerhalb der Organisationen und Bündnisse zur "Verteidigung der Demokratie" regierungskritische und antikapitalistische Stimmen klein gehalten werden. Wo genau fängt Linksextremismus an? Bei Kapitalismuskritik oder vielleicht bei Gewalt gegen Sachen?
Die Rolle des Verfassungsschutzes: Wächter oder Partei?
Die Definitionsmacht über den "Extremismus" einzelner Gruppen hat maßgeblich der Verfassungsschutz, der die üblichen Verdächtigen in seinen Jahresberichten aufführt – also auf Bundesebene eine Behörde, die ihren Ex-Chef Hans-Georg Maaßen gerade als Rechtsextremisten eingestuft hat. Er wollte Deutschland metaphorisch eine "Chemotherapie" und "schmerzhafte Operationen" verordnen.
Wird deshalb jede Einstufung im Bereich Linksextremismus aus Maaßens Amtszeit noch einmal überprüft - und ist noch von ihm ausgewähltes Personal in diesem Bereich tätig? Betroffene Gruppen und Einzelpersonen wissen es nicht. So genau lässt sich ein Geheimdienst nicht in die Karten schauen.
Extremismusdebatte: Gefährliche Gleichsetzungen
Generationen von Deutschen sind mit einer schwammigen Definition von "Extremismus" aufgewachsen, die immer noch weit verbreitet ist und mit der die Ermordung von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft verharmlost wird.
2012 musste die Bundeszentrale für politische Bildung (!) einen im Comic-Stil gestalteten Videoclip zum Thema "Was ist Extremismus" überarbeiten – er begann mit den Worten: "Es herrscht Bombenstimmung in Deutschland. Die Linken fackeln Luxuskarossen ab und die Rechten kontern mit den sogenannten Döner-Morden."
Als "Döner-Morde" waren jahrelang die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) an Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund bezeichnet worden; nach der Aufdeckung des NSU 2011 war "Döner-Morde" zum Unwort des Jahres gekürt worden.
Aktuell definiert die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) den politischen Extremismus so, dass er "den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt oder ihn einschränken will". Alle Varianten des Extremismus stehen demnach "im Kern mit der Pluralität der Interessen, der Gewaltenteilung oder/und den Menschenrechten auf Kriegsfuß".
Nun kritisieren aber etliche linke Gruppen gerade, dass die Bundesregierung Menschenrechte nicht konsequent für alle gelten lässt, sondern oftmals mit zweierlei Maß misst und die Asylgesetze verschärft. Manche sind auch der Meinung, dass man sich im Namen der Menschenrechte nicht an Kriegen beteiligen sollte.
Beim Thema "Pluralität der Interessen" wird es besonders knifflig; Wessen Interessen sind wie zu berücksichtigen? Dürfen Profite vor Menschen und Umwelt gestellt werden oder nicht? Ist es extremistisch, der Meinung zu sein, dass Kohlekonzerne keine "Entschädigung" in Milliardenhöhe dafür verdienen, dass sie das Klima nicht weiter schädigen?
Und wie viel Pluralismus ist von der Meinungsfreiheit gedeckt? Ist die Parole "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" schon extremistisch, oder muss die Meinungsfreiheit eben genau da enden, wo Freiheit, Leben und Gesundheit von anderen vollständig negiert werden?
Demokratieförderung und Meinungsfreiheit: Wer setzt Grenzen?
Das Demokratiefördergesetz hat zumindest das Potenzial, Gruppen und Organisationen zu verunsichern, die Fördermittel beantragen wollen oder davon abhängig sind. Regierungsparteien könnten sich damit auch dauerhaft (oder solange sie eben regieren) Einfluss auf diese Organisationen sichern und bei den dort engagierten Einzelpersonen eine "Schere im Kopf" entstehen lassen.
Denn: "Ein Rechtsanspruch auf Förderung wird durch dieses Gesetz nicht begründet", steht in dem Entwurf unter "Förderung von Maßnahmen Dritter" – gemeint sind nichtstaatliche Organisationen und Initiativen. "Die jeweils zuständige Bewilligungsbehörde entscheidet aufgrund ihres pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel."
Anzumerken bleibt, dass der erste "Aufstand der Anständigen", zu dem der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2000 aufgerufen hatte, eben nicht nachhaltig gewirkt hat. Warum, das gilt es ohne Schere im Kopf zu analysieren.