Geheimdienste abwickeln
Zum 50. Jahrestag des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Der Verfassungsschutz ist, wie sein Name nicht sagt, ein Geheimdienst. Geheimdienste sind mit einer offenen demokratischen Gesellschaft nicht zu vereinbaren.
Die Geschichte des Verfassungsschutzes ist auch eine Geschichte von Skandalen. In der Regel wurden diese nicht durch die parlamentarischen Kontrollgremien aufgedeckt, sondern durch die Presse. Eine wirklich wirksame parlamentarische Kontrolle ist nicht möglich. Die Gremien werden grundsätzlich erst im Nachhinein von besonderen Vorgängen unterrichtet, wenn das Kind im Brunnen liegt. Eine weitergehende laufende Kontrolle scheitert schon an der Unzulänglichkeit der Kontrollmittel und Personen. Vor allem aber die absolute Geheimhaltungspflicht der Gremienmitglieder verhindert, dass problematische Vorgänge rechtzeitig öffentlich problematisiert werden können.
Der Verfassungsschutz wurde immer wieder auch politisch gebraucht oder missbraucht, sogar zur Wahlkampfhilfe für Regierende. Die Grünen waren nach ihrem Erscheinen im politischen Wettkampf um Wählerstimmen nicht nur über viele Jahre Objekt der Begierde und Beobachtung des Geheimdienstes. Häufig mehrere Agenten besuchten nicht nur die Pressekonferenzen der Grünen. Mitglieder der konkurrierenden CDU ließen sich vom Verfassungsschutz Dossiers über Kandidaten der Grünen anfertigen. So hatte sich der Verfassungsschutz Anfang der achtziger Jahre - wenn auch nach anfänglichem Zögern - dazu hergegeben, auf Anweisung des damaligen Innenstaatssekretärs Spranger für den CDU-Abgeordneten Todenhöfer Daten und Unterlagen über den Kandidaten Schily für den Bundestagswahlkampf zusammenzustellen.
Insbesondere der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, wie der von V-Leuten, ist häufig kontraproduktiv und brandgefährlich. Die Grenze von Zuschauen, Provozieren und Mitmachen auch bei Gewalttaten und militanten Aktionen war immer fließend und wird dies bleiben trotz aller Abgrenzungsbemühungen. Die ersten Waffen und Sprengkörper, die bei der Neuen Linken der sechziger Jahre auftauchten, stammten von Geheimdiensten. In den neunziger Jahren wurden V-Leute angeworben, die wegen rassistischer Gewalttaten bis hin zum versuchten Mord vorbestraft sind. Solche Leute haben dann militante Aktionen propagiert und angeleitet unter dem Motto: "Wir müssen uns bewaffnen !" und den "Kampfbund Nord" oder die Gruppen der "Nationalistischen Front" gegründet. V-Leute haben sich selbst an der Verbreitung der "Ausschwitzlüge" beteiligt oder am Werfen eines Schweinekopfes in eine Synagoge. Verfassungsschutzgelder wurden für rassistische Werbung und Propaganda der rechten Szene ausgegeben. Das sind keine Einzelfälle oder Ausrutscher.
V-Leute müssen sich bewähren und Vertrauen gewinnen, sonst werden sie nichts erfahren und berichten können. Die Grenze zwischen Mitläufertum und Antreiber oder Provokateur ist zuverlässig nicht zu ziehen und schon gar nicht zu überwachen. V-Leute werden vom Geheimdienst danach bezahlt, was sie liefern. Wenn sie klamm sind, werden sie sich allerhand einfallen lassen, um über die Runden zu kommen und mehr Geld und Anerkennung zu kriegen. Wenn zu wenig passiert, muss Mann eben nachhelfen. Selbst erfinden oder selber machen. Das kennen wir auch von IMs der Stasi.
Der Schutz der Verfassung soll sein. Aber Geheimdienste sind dafür ein schlechtes und ungeeignetes Mittel. Ein Beispiel, dass besonders gewichtige oder sensationelle Informationen, die für die Regierungsarbeit unverzichtbar gewesen sind, nur aus geheimen nachrichtendienstlichen Quellen erlangt werden konnten, kennen wir nicht.
Öffentliche Stellen, die Informationen über politische Parteien und Gruppierungen, über gesellschaftliche Situationen und Entwicklungen aus allgemein zugänglichen Quellen sammeln, zusammenstellen und aufarbeiten, können beim Schutz der Verfassungsordnung helfen. Die Informationen müssen der Politik, der Regierung und der Opposition, aber auch Journalisten und anderen Interessierten zur Verfügung stehen. Geheimdienste sind dafür nicht erforderlich, das Geheime gehört abge-wickelt.
Strafverteidiger Hans-Christian Ströbele ist Bundestagsabgeordneter der Bündnisgrünen