Geheimdienste in Sammelwut
Wie der Agent Tomek zum Popstar wurde, während die polnischen Inlandsgeheimdienste außer Kontrolle gerieten
Tomek sieht einfach nur gut aus. Er hat schulterlange, dunkelbraune Haare. Ein Lächeln, bei dem man geblendet wird von weißgebleichten Zähnen. In seinem Solarium gebräunten Gesicht trägt er einen Drei-Tage-Bart und auf die Haut seines sportlichen Körpers lässt er nur den feinen Zwirn der weltweit bekanntesten Modemarken. Agent Tomek, östlich der Oder auch bekannt als der "polnische James Bond", hat so wie der Spion ihrer Majestät ein Faible für Fahrzeuge mit sehr viel PS. Wenn Agent Tomek nicht mit einem Porsche oder einem Mercedes GL unterwegs ist, dann steigt er gerne auch mal auf eine Harley Davidson. Irgendwie kein Wunder, dass das Foto dieses Draufgängers und Lebemannes im Oktober vergangenen Jahres zu den meist verschickten MMS in Warschau gehörte.
Diese MMS bedeuteten für Agent Tomek aber auch das berufliche Aus. Denn Tomasz Kaczmarek ist keine Figur aus einer polnischen Vorabendserie, sondern verdeckter Ermittler des Zentralen Anti-Korruptionsbüros CBA. Zumindest war er es bis zu den Wochen, als in der polnischen Hauptstadt sein Foto per Handy die Runde machte. Eines seiner Opfer hatte es geschossen und so das Gesicht des Ermittlers publik gemacht.
Zu dem Zeitpunkt war der 35-Jährige jedoch schon längst Held unzähliger Berichte und Spekulationen in der polnischen Presse. Vor allem die Boulevardmedien stürzten sich auf Agent Tomek und veröffentlichten Fotos, auf denen der damals noch verpixelte Agent in Begleitung hübscher Frauen oder bei sportlichen Aktivitäten zu sehen war. Und wenn es mal keine neuen Fotos gab, fragten sich Super Express und das Springer-Blatt Fakt, ob Agent Tomek sich nun am Schreibtisch langweilt oder sich seine Haare, die "die Frauen ja so liebten", abschneiden ließ, um wieder verdeckt arbeiten zu können.
Kein Geheimnis war auch die Vergangenheit des polnischen Superagenten. Wie die polnischen Medien übereinstimmend berichteten, stammt Tomasz Kaczmarek aus Breslau, wo er in einer Polizeisondereinheit gegen Autodiebe trotz eines von ihm verschuldeten, tödlichen Verkehrsunfalls,seine Laufbahn begann und später zu der 2006 gegründeten Anti-Korruptionsbehörde wechselte. "Er war ein fantastischer Ermittler, eine Perle", lobte ihn noch kürzlich der ehemalige CBA-Chef Mariusz Kaminski während einer Pressekonferenz.
Das Lob ist nicht übertrieben, denn Agent Tomek war in den letzten Jahren in die spektakulärsten Fälle der CBA verwickelt. Im Herbst 2007, nur wenige Tage vor den Parlamentswahlen, wurde die damalige Parlamentsabgeordnete der Bürgerplattform (PO) Beata Sawicka in einen Korruptionsskandal auf der Halbinsel Hela verwickelt. Damals erfuhr die polnische Öffentlichkeit auch zum ersten Mal von Agent Tomek, der nach Aussagen der heute 46-jährigen Sawicka, sie zuerst verführte und später in eine Falle lockte.
Endgültig Berühmtheit erlangte Tomasz Kaczmarek aber im September 2009, als das Anti-Korruptionsbüro wegen zwei Aufsehen erregender Aktionen erneut in die Schlagzeilen geriet. Zuerst verhaftete der CBA die gebürtige Ukrainerin und in Polen aus mehreren TV-Shows bekannte Weronika Marczuk, kurz darauf wurde publik, dass die Anti-Korruptionsbehörde ebenfalls die Gattin des ehemaligen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski, Jolanta, der Korruption verdächtigte. Und in allen beiden Fällen fungierte der "fantastische Ermittler" Agent Tomek als Lockvogel. Doch trotz aller Mühe, die sich der CBA und sein Agent auch machten, endeten beide Ermittlungen in einem Desaster. Während Weronika Marczuk sich nach ihrer einzigen Nacht in der Untersuchungshaft in den Medien zu vermarkten begann und vor einigen Wochen sogar ein Buch über ihre Erlebnisse mit Agent Tomek veröffentlichte, hatte der CBA nach der erfolglosen Beendigung der Aktion gegen die Kwasniewskis nur Ausgaben in Höhe von 1.5 Millionen Zloty, ca. 380.000 Euro, zu beklagen. Für eine Villa, von der der CBA glaubte, dass sie dem ehemaligen Präsidentenpaar gehöre.
Die Konsequenzen für diese beiden Fälle waren unterschiedlich. Während Mariusz Kaminski im Oktober 2009 als Chef der Anti-Korruptionsbehörde zurücktreten musste, wurde Agent Tomek in den ihn offenbar nicht erfüllenden Innendienst versetzt. Im September schied Kaczmarek freiwillig aus dem Dienst und begann trotz einer Rente von 4.000 Zloty, ca. 1.000 Euro (die Durchschnittrente beträgt in Polen 1.700 Zloty), aus seinem Ruhm Geld zu machen. Für Boulevardmedien und die polnische Newsweek posiert er seitdem effektvoll für Fotostrecken, gibt der ihn feiernden nationalkonservativen Presse Interviews, in denen er sich als ein Opfer der Medien und der jetzigen Regierung von Donald Tusk darstellt und nebenbei ein auf die Schnelle geschriebenes Buch promotet. Pünktlich zur Weihnachtszeit erschienen am 10. Dezember seine Erinnerungen, mit dem reißerischen Titel "Agent Tomek. Eine Beichte."
Das Treiben der Geheimdienste
Agent Tomek ist aber mehr als nur ein ehemaliger verdeckter Ermittler, der mit der Zeit zu einem popkulturellen Produkt wurde. Vielmehr ist Agent Tomek das Synonym für die polnischen Spezialdienste CBA und die Agentur für Innere Sicherheit (ABW), die vor allem während der zweijährigen Regierungszeit der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski quasi außer Kontrolle gerieten und zwischen 2005 und 2007 mehr die Interessen der regierenden Partei verfolgten als die des Landes – ohne dabei die Gesetze zu beachten, die sie eigentlich schützen sollten. Mit dem Ergebnis, dass sich bis heute parlamentarische Untersuchungsausschüsse und die Justiz mit dem damaligen Treiben der Nachrichtendienste beschäftigen.
Der bekannteste und seit dem 11. Januar 2008 arbeitende parlamentarische Untersuchungsausschuss ist der zum ominösen Tod von Barbara Blida. Am 25. April 2007 brachte sich die Politikerin der linken SLD und ehemalige Bauministerin bei ihrer Verhaftung durch den ABW um. So lautet jedenfalls die Version des Nachrichtendienstes, wonach Blida bei ihrer Verhaftung und der damit verbundenen Hausdurchsuchung die Beamten bat, ins Bad gehen zu dürfen und sich dort im Beisein einer Ermittlerin mit einem Revolver ins Herz schoss.
Dass die Zweifel der damaligen Opposition an den Todesumständen und den Korruptionsvorwürfen gegenüber Blida, die der ABW mit der Kohlenmafia in Verbindung brachte, nicht unbegründet waren, zeigte die Arbeit des Untersuchungsausschusses. Sowohl einige damals gegen Blida ermittelnde Staatsanwälte als auch der ehemalige PiS-Politiker und Innenminister Janusz Kaczmarek, der von Jaroslaw Kaczynski im Sommer 2007 selber geschasst wurde (Polen: Das Ende einer formellen Koalition), sagten vor dem Untersuchungsausschuss aus, dass die damalige Kaczynski-Regierung den Fall Blida politisch nutzen wollte, um die von den Nationalkonservativen viel beschworenen "linken Verbindungen" zwischen postkommunistischen Politikern und Organisierter Kriminalität zu belegen (Die Koalition der Transformationsverlierer).
Der damalige Justizminister Zbigniew Ziobro verlangte von der Kattowitzer Staatsanwaltschaft gar schon einen Tag vor Blidas missglückter Verhaftung Material, welches er auf einer Pressekonferenz präsentieren wollte. Da der Staatsanwaltschaft aber die endgültigen Beweise fehlten, übten die Regierung und der vom PiS-Mann Bogdan Swieczkowski geleitete ABW Druck auf die Justizbehörden aus.
Mit der Arbeit des Untersuchungsausschusses sind auch die Zweifel an den Todesumständen Blidas größer geworden. Schon 2007 stellten Oppositionspolitiker, allen voran die Parteifreunde Blidas aus der SLD, und die liberale Presse die offizielle Version des Inlandsgeheimdienstes in Frage. Allein schon deshalb, weil der ABW seine Verhaftungen normalerweise filmt und dieses Material bei spektakulären Fällen gerne an die TV-Stationen des Senders weiter reicht. Doch ausgerechnet von der Verhaftung Blidas, die die Kaczynski-Regierung für ihre Zwecke benutzen wollte, haben sich keine Videoaufzeichnungen gefunden.
Und dies wohl nicht grundlos. Gegen den Widerstand nationalkonservativer Politiker und der damaligen Ermittler strahlte das polnische Staatsfernsehen TVP2 am 1. Dezember eine Dokumentation über das Leben und den Tod von Barbara Blida aus. "Alle Hände sind gewaschen" heißt das Dokudrama, das Sylwester Latkowski und Piotr Pytlakowski anhand von Dokumenten und Interviews mit Schauspielern gedreht haben. Darin rekonstruieren sie nicht nur die Ermittlungen gegen Blida, sondern auch den Tod der Politikerin. Und dies ist auch die sensationellste Stelle des Films, denn wie der Film darstellt, hat sich Barbara Blida nicht selbst ins Herz geschossen, sondern kam bei einem Handgemenge mit der sie überwachenden ABW-Beamtin ums Leben, in dem sich ein Schuss aus Blidas Pistole löste. Danach verwischte der ABW die Spuren und ließ die Sache wie einen Selbstmord aussehen.
Dies behaupten jedenfalls die Macher des Films und widersprechen so sogar der Familie der toten Politikerin, denn weder der Ehemann von Barbara Blida noch ihr Sohn zweifeln an einem Selbstmord der ehemaligen Bauministerin. Dass der ABW aber Spuren vernichtete, davon sind nicht nur die Angehörigen Blidas überzeugt, sondern auch Ryszard Kalisz, der Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Dies behauptete er jedenfalls in einem am 10. Dezember veröffentlichten Interview in der Gazeta Wyborcza, die schon in den Tagen zuvor über die seltsame Vorgehensweise des Geheimdienstes am Tatort berichtete. Den endgültigen Bericht zum Tode Barbara Blidas wird der Untersuchungsausschuss aber erst im Frühling nächsten Jahres vorstellen.
Im Zuge der Untersuchungen zum Tode von Barbara Blida sind aber nicht nur Ungereimtheiten in dem Fall publik geworden. Wie bekannt wurde, hörte der ABW die Telefongespräche der Gazeta-Wyborcza-Journalisten Bogdan Wroblewski und Wojciech Czuchnowski ab, die sich mit dem Fall Blida und anderen Aktionen der polnischen Spezialdienste befassten. Doch dies war nur die Spitze eines Eisbergs, denn wie sich schnell herausstellte, hörten der ABW, der CBA und sogar die Polizei nicht nur die Journalisten der liberalen Tageszeitung, sondern in den Jahren 2005 bis 2007 acht weitere Journalisten ab – natürlich ohne richterlichen Beschluss.
Die Empörung der polnischen Journalisten war dementsprechend groß. Nicht zu Unrecht sahen sie die Pressefreiheit in Gefahr und sorgten mit ihrer Kritik dafür, dass sich die Staatsanwaltschaft in Grünberg und ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit den Abhöraktionen der polnischen Spezialdienste beschäftigt. Der einzige Erfolg jedoch, den die Journalisten erzielen konnten, ist ein Urteil des Warschauer Kreisgerichts vom 20. Dezember, das die Grünberger Staatsanwaltschaft zwingt, seine Ermittlungen wieder aufzunehmen. Zuvor hat diese die Ermittlungen zweimal eingestellt, da sie kein Vergehen feststellen konnte. Genauer begründen wollten die Staatsanwälte dies jedoch nicht und beriefen sich dabei auf eine angeblich "notwendige Geheimhaltung".
Aber so sehr die zweimalige Einstellung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft auch skandalös ist, bei genauerer Betrachtung ist sie wenig überraschend. Denn auch wenn die jetzige Tusk-Regierung ihre Vorgängermannschaft um Jaroslaw Kaczynski wegen der Abhöraktionen und der Skandale rund um die Spezialdienste kritisiert: die Daten der polnischen Bürger sammelt auch diese gerne und am liebste, so viele wie sie nur kann.
Auf dem Weg zum Bürger ohne Geheimnisse
Bereits 2008 wurde publik (Achtung, Geheimdienste außer Kontrolle!), dass im Posener Briefzentrum der Poczta Polska der ABW Siemens-Geräte testete, die nicht nur die Adressen, sondern auch die graphologischen Merkmale der Absender speichern sollten. "In Zeiten des Ausnahmezustands besteht eine globale Gefahr. In solchen Fällen besteht die Notwendigkeit einer Briefzensur. Und die Post muss darauf vorbereitet sein", begründete damals der ABW den Aufbau solch einer Datenbank. Und auch wenn die Empörung damals groß war, viel geändert an der Datensammelwut der polnischen Spezialdienste und der Polizei hat sich seitdem nicht.
Nach Schätzungen von Experten werden jährlich mehrere Tausend polnischer Bürger von den Spezialdiensten gerastert, genaue Zahlen kennen nur die Geheimdienste, ohne dass dazu ein richterlicher Beschluss notwendig wäre. Lediglich die Überwachung des Briefverkehrs und das Abhören von Telefongesprächen unterliegen richterlicher Kontrolle. Für die Verfolgung per GPS und Mobilfunk, das Abhören von Gesprächen und das Filmen auf öffentlichen Plätzen, sowie für die Überwachung von Telefonverbindungen, SMS und Internetverbindungen ist ein richterlicher Beschluss dagegen nicht nötig.
Viele Lücken und Freiheiten für die Spezialdienste sieht die Gesetzgebung, die in jetziger Form aus der Feder der Tusk-Regierung stammt, auch bei der Speicherung der Daten vor. Falls aus den abgehörten Gesprächen nichts über die Straftat hervorgeht, haben die Bürger das Recht, die Löschung der Daten beim Gericht zu beantragen. Dies können die Geheimdienste jedoch verhindern, wenn sie behaupten, dass aus dem Inhalt der Daten etwas über eine mögliche Gefährdung des Staates zu erfahren wäre. Eine Gesetzesvorgabe, die die Löschung von Daten quasi unmöglich macht.
Das lässt die Kritik immer lauter werden. Wie die Bürgerbeauftragte des polnischen Staates, Irena Lipowicz, erst vergangene Woche ankündigte, werde sie vor dem Verfassungsgericht eine Beschwerde wegen der vorhandenen Abhörgesetze einlegen. Auch deshalb, weil die dadurch gewonnen Informationen des Öfteren von den Ermittlern für eigene private Zwecke missbraucht wurden. Doch die aktuelle Ankündigung scheint die polnische Regierung nicht abzuhalten, weiterhin an der Schaffung eines Bürgers ohne Geheimnisse zu arbeiten. Demnächst dürfen auch Finanzbehörden die Bürger beobachten, abhören und ihre Daten sammeln.