Polen: Das Ende einer formellen Koalition

Bis zur Selbstauflösung des Parlaments und den Neuwahlen dürften dem polnischen Bürger weiterhin einige Spektakel geboten werden

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Nachdem Jaroslaw Kaczynski am Samstag für den Herbst Neuwahlen angekündigt hat, entließ er am Montag die letzten vier verbliebenen Minister aus den Reihen seiner Koalitionspartner und stellte klar, dass dieser Schritt auch „das Ende dieser Koalition“ bedeutet – einer Koalition, die seit der Entlassung Leppers quasi nur noch auf dem Papier bestand. Mit seinen Koalitionspartnern korrespondierte Jaroslaw Kaczynski nur noch über den Postweg, während diese immer lauter eine parlamentarische Untersuchungskommission über die Tätigkeit der Anti-Korruptionsbehörde forderten. Am Ende ebnete eine Übereinkunft zwischen der regierenden "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) und der größten Oppositionspartei, der PO, den Weg für die Neuwahlen. Die PO verzichtet dafür angeblich auf eine Untersuchungskommission, was dem polnischen Premierminister und seiner Partei trotz schlechter Umfrageergebnisse wohl als das kleinere Übel erscheint.

„Zur Zeit haben wir eine formelle Koalition. Es gibt aber Zweifel, ob diese auch real ist.“ Mit diesen Worten kommentierte Adam Lipinski, der Vize-Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS, Mitte Juli den Zustand der in Warschau regierenden Koalition. Dabei schien zu dem Zeitpunkt das Schlimmste abgewendet worden zu sein. Nachdem Anfang Juli Jaroslaw Kaczynski seinen damaligen Stellvertreter und Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper wegen Korruptionsverdacht aus der Regierung entließ, sprach sich die Parlamentsfraktion der Samoobrona (Selbstverteidigung) für den Verbleib in der Regierungskoalition und somit gegen eventuelle Neuwahlen aus – gegen den Willen ihres Parteivorsitzenden Lepper (Polnisches Bauerntheater).

Dass damit die Regierungskrise aber nicht abgewendet wurde, ist der polnischen Öffentlichkeit sehr schnell klargeworden. Nicht nur der schon erwähnte Kommentar Adam Lipinskis trug dazu bei, sondern wenige Tage später auch einige Aussagen Jaroslaw Kaczynskis. In einem Interview für die Zeitung "Gazeta Polska", nannte der Premierminister den November dieses Jahres als einen möglichen Wahltermin, falls das Verhalten des Koalitionspartners "Samoobrona" dies notwendig mache. Und der Wunsch nach einer Neuwahl scheint bei Kaczynski und seiner Partei seitdem immer größer geworden zu sein. Während die Druckerschwärze auf der "Gazeta Polska" noch trocknete, gab Kaczynski eine Pressekonferenz, auf der er einen vorgezogenen Wahltermin nicht mehr ausschloss, „da das Verhalten unserer Koalitionäre uns nicht zum Erhalt des jetzigen Models motiviert“, wie der Premier erklärte.

Koalitionspartner der PiS gründen die neue Partei LiS

Grund für diesen Stimmungswandel innerhalb der PiS, die bisher bei jeder Regierungskrise eine Neuwahl scheute wie der Teufel das Weihwasser, ist die Gründung der LiS. Quasi über Nacht entdeckten die beiden Koalitionspartner von Jaroslaw Kaczynski, die LPR und die Samoobrona, Gemeinsamkeiten und verkündeten am 16. Juli ihre Vereinigung. Als "Liga und Selbstverteidigung", dessen Kürzel im Polnischen Fuchs bedeutet, werden die beiden Parteien zukünftig bei Wahlen antreten. Und dass das Regieren mit ihnen nicht leicht wird, machten Giertych und Lepper ihrem Partner sehr schnell klar. „Wir werden nur noch jene Projekte innerhalb der Koalition unterstützen, die mit dem Programm von LiS vereinbar sind“, kündigte Andrzej Lepper selbstbewusst an.

Doch zwischen Kaczynski und seinem neuen Koalitionspartner gibt es keine Gemeinsamkeiten – allein schon deshalb, weil sich mit der LPR und der Samoobrona zwei Parteien zusammengetan haben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während die LPR immer mehr als eine rechtsradikale Partei angesehen werden kann, fiel die Samoobrona jahrelang durch linkspopulistische Parolen auf. Dementsprechend dürftig sieht auch das bisherige Programm der neuen Gruppierung aus – es fordert einen Untersuchungsausschuss über die Tätigkeit der Zentralen Anti-Korruptionsbehörde, deren Ermittlungen Leppers Entlassung aus der Regierung zur Folge hatte , sowie die Ablehnung des EU-Grundlagenvertrags, der unter der deutschen Präsidentschaft Ende Juni auf dem Gipfel in Brüssel beschlossen wurde.

Dieses dürftige Parteiprogramm zeigt aber, wer der eigentliche Gegner der LiS ist, nämlich Jaroslaw Kaczynski. Den Kompromiss von Brüssel feierte Kaczynski als einen Erfolg für Polen ("Hände Hoch!"), und mit der Entlassung Leppers bewies der polnische Premier, dass er keine Scheu hat, auch in den eigenen Reihen gegen Korruption vorzugehen. Schon 2005 machte er die Bekämpfung der Korruption zu einem seiner zentralen Wahlkampfthemen und stieß damit bei vielen Polen auf Gehör.

Ob aber die alleinige Abneigung gegen Jaroslaw Kaczynski ausreicht, die neu entstandene "Liga und Selbstverteidigung" zusammenzuhalten, ist fraglich. Mit einem missgebildeten Tier, dessen Lebensdauer nur kurz ist, verglich der renommierte polnische Politologe Antoni Dudek die LiS, da seiner Meinung nach deren Gründung nur ein Rettungsanker für zwei Politiker ohne Zukunft ist. Roman Giertychs "Liga Polnischer Familien" dümpelt bei Umfragen seit über einem Jahr unter der Fünf-Prozent-Hürde herum und Andrzej Lepper hat in der Samoobrona, die er gründete und als sein Eigentum ansah, immer mehr mit einer innerparteilichen Opposition zu kämpfen.

Bei diesen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, dass sich Giertych und Lepper um die Gunst von Tadeusz Rydzyk (Die Graue Eminenz) bemühen, dem einflussreichen Herr über Radio Maryja. Gleich nach der Gründung der LiS reisten beide Politiker nach Tschenstochau, dem wichtigsten Wallfahrtsort Polens, wo Rydzyk mit seinen Anhängern einen Dankgottesdienst feierte, um für ihre Partei zu werben und die Unterstützung des Redemptoristenpfarrers zu erbeten. Der Erfolg dieses Treffens ist jedoch fraglich. Weder in "Radio Maryja" noch in einem anderen Medienorgan von Tadeusz Rydzyk fiel bisher eine positive Äußerung zu der neugegründeten Partei. Ohne die Unterstützung Rydzyks droht der "Liga und Selbstverteidigung" aber ein ähnliches Schicksal wie schon im November letzten Jahres. Bereits damals traten die beiden Parteien mit einer gemeinsamen Wahlliste bei den Kommunalwahlen an und scheiterten kläglich an der Fünf-Prozent-Hürde.

Wirbel um die Aktivitäten der Anti-Korruptionsbehörde

Dass die Gründung der LiS innerhalb der Koalition trotzdem für Unruhe sorgte, liegt vor allem an Andrzej Lepper. Der geborene Politdarsteller – dieses Talent muss man Lepper zusprechen, auch wenn man ihn nicht mag – nutzt die LiS als Bühne, um Jaroslaw Kaczynski selber bloßzustellen. Er forderte nicht nur eine parlamentarische Untersuchungskommission zu der CBA, der Anti-Korruptionsbehörde, sondern gab auch kurz nach seiner Entlassung bekannt, dass er von einem seiner Ministerkollegen vor der Tätigkeit der CBA gewarnt wurde. Zudem behauptet Lepper, Kaczynski nutzt die von ihm geschaffene Anti-Korruptionsbehörde, um belastendes Material gegen Politiker aus anderen Parteien zu sammeln (Polnisches Bauerntheater). Als Beweis will der Bauernführer heimlich aufgenommene Tonbänder besitzen.

Und dieses Schmierentheater hatte Auswirkungen auf Kaczynski und seine Partei. Innenminister Janusz Kaczmarek und Justizminister Zbigniew Ziobro, beide der Regierungspartei PiS angehörend, beschuldigen sich seitdem gegenseitig, Lepper vorgewarnt zu haben. Kaczynski jedenfalls ist von der Unschuld seines Justizministers mehr überzeugt und entließ Kaczmarek wegen Indiskretion aus seinem Amt, obwohl Lepper mittlerweile selber den Justizminister Ziobro als seinen Informanten benennt, was dieser natürlich bestreitet.

Nicht ohne Folgen blieb auch der Vorwurf, Kaczynski hätte die Ermittlungen der CBA genutzt, um belastendes Material gegen Politiker anderer Parteien zu sammeln. Fast alle im Sejm vertretenen Parteien haben da aufgehorcht und verlangen seitdem mehrere parlamentarische Untersuchungskommissionen – eine zu den Ermittlungen der CBA im Fall Lepper sowie eine weitere zu den Spezialdiensten, die seit der Amtszeit von Jaroslaw Kaczynski entstanden sind. Und nachdem der von Kaczynski geschasste Innenminister Janusz Kaczmarek diese Vorwürfe bekräftigte und dazu den Regierungsstil seines ehemaligen Chefs mit dem eines totalitären Staates verglich, wurde der Druck auf Jaroslaw Kaczynski immer größer.

Doch der Weg zur Neuwahlen musste erst geebnet werden. In der Presse wurde zwar schon für den 30. Juli die Entlassung der vier LiS-Minister und somit das Ende der Koalition vorausgesagt, doch erst eine Annäherung zwischen der regierenden PiS und der größten Oppositionspartei im Sejm, der bürgerlichen PO, machte den Weg für einen vorzeitigen Urnengang frei. Am letzten Donnerstag trafen sich Donald Tusk, der Parteivorsitzende der PO, und Staatspräsident Lech Kaczynski zu einem Gespräch, bei dem sich die zwei auf eine Neuwahl verständigten. Dabei soll Tusk Kaczynski zugesichert haben, im neu gewählten Parlament auf eine Untersuchungskommission zu verzichten. Für die Kaczynski-Zwillinge ist dies wohl eine interessante Option, denn eine Untersuchungskommission scheinen sie mehr zu fürchten als die für die PiS aktuellen schlechten Umfrageergebnisse. Ob zu dem Thema Untersuchungskommission aber wirklich das letzte Wort gefallen ist, bleibt abzuwarten. Die SLD, deren Stimmen auch für die Selbstauflösung des Parlaments notwendig sind, kündigte bereits an, auch im neugewählten Sejm die schon erwähnten Untersuchungskommissionen einberufen zu wollen.

Bis zur Selbstauflösung des Parlaments wird dem polnischen Bürger aber noch weiterhin viel Spektakel geboten. Die LiS hat im Sejm einen Misstrauensantrag gegen Jaroslaw Kaczynski vorgelegt, um stattdessen den von ihm entlassenen Innenminister Janusz Kaczmarek zum Premier zu machen.