Polnisches Bauerntheater

Am Montag brach in Polen für 24 Stunden eine Regierungskrise aus

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Der bisherige Vize-Premier und Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper war wegen des Verdachts, in „kriminelle Tätigkeiten verwickelt zu sein, aus seinen Ämtern entlassen. Daraufhin kündigte Leppers Samoobrona die jetzige Koalition, weshalb man in Polen schon mit Neuwahlen rechnete. Doch einen Tag später war die Regierungskrise bereits beendet. Die linkspopulistische Bauernpartei kündigte an, in der Koalition zu verbleiben, gleichzeitig wurden Stimmen laut, die an den kriminellen Machenschaften Leppers zweifeln. Einen Verlierer kennt diese kurze Regierungskrise dennoch: Jaroslaw Kaczynski. Denn diese Krise bewies mal wieder, wie abhängig er und seine Politik der IV. Republik von den kleinen Koalitionspartnern ist, obwohl diese moralisch schon längst nicht mehr tragbar sind. Die Chance für einen Neuanfang, symbolisch durch einen vorzeitigen Urnengang, nutzte Kaczynski jedoch nicht, obwohl sich dies viele Konservative östlich der Oder gewünscht hätten.

Als die Polen sich am Montagmorgen ihre Tageszeitungen und Wochenmagazine kauften, rechneten sie eigentlich mit einem anderen Skandal, über den die Presse in den nächsten Tagen ausgiebig berichten würde. Das Wochenmagazin Wprost, das vor zwei Wochen noch für zusätzliche Unstimmigkeiten in den deutsch-polnischen Beziehungen sorgte, weil es auf seinem Titelbild die Kaczynski-Zwillinge zeigte, wie sie an der blanken Brust Angela Merkels nuckeln ("Hände Hoch!"), erschien zum Wochenbeginn mit einer weiteren schlagzeilenträchtigen Titelgeschichte. Im Wortlaut publizierte das konservative Nachrichtenmagazin heimlich aufgenommene Tonbänder, auf denen der Redemptoristenpfarrer Tadeusz Rydzyk, Gründer des erzkatholischen Senders Radio Maryja, über Präsident Lech Kaczynski und seine Ehefrau hetzt. Dem Präsidenten wirft er vor, politisch unter jüdischem Einfluss zu stehen, dessen Ehefrau Maria nennt Rydzyk eine Hexe, die sich freiwillig „der Euthanasie ergeben sollte“.

Ab 19.35 Uhr war dieser journalistische Knaller, der seine Ursprünge in der Debatte um die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes hat (Der Teufel frisst die Populisten), nur noch eine Randnotiz. Zu dem Zeitpunkt gab die polnische Regierung bekannt, dass der Präsident auf Wunsch des Premierministers hin, den Führer der linkspopulistischen Bauernpartei Samoobrona, Andrzej Lepper, aus seinen Regierungsämtern entlassen habe. Keine halbe Stunde später erklärte der bisherige Vize-Premier und Landwirtschaftminister im TV-Sender TVN24, seine Entlassung bedeute auch das Ende der Koalition, eine Aussage, die das Präsidium der Bauernpartei kurze Zeit später auch bestätigte.

Die Gründe für die Entlassung seines bisherigen Stellvertreters gab Premierminister Jaroslaw Kaczynski im polnischen Staatsfernsehen bekannt. „Es gibt ernste Anzeichen dafür, dass Andrzej Lepper und Tomasz Lipiec (bisheriger Sportminister) in kriminelle Machenschaften verwickelt sein sollen“, sagte Kaczynski in einem Interview für TVP 1. Gleichzeitig schloss er nicht aus, dass in näherer Zukunft Neuwahlen stattfinden könnten, „da die aggressive Opposition keine Minderheitsregierung erlaube“. Als möglicher Zeitraum für die Wahlen wurde der Herbst dieses Jahres genannt. Damit vernahm die polnische Öffentlichkeit zum ersten Mal seitdem Kaczynski Regierungschef ist, neue Töne aus dessen Munde. Noch im Herbst letzten Jahres, als Andrzej Lepper gemeinsam mit seiner Partei schon einmal aus der Regierungskoalition ausschied (Per Entengang in die Zukunft Polens), versuchte Kaczynski eine Neuwahl zu vermeiden. Als er jedoch keinen neuen Koalitionspartner finden konnte, holte er die Samoobrona zurück ins Boot, obwohl sich Wochen vorher Kaczynskis Partei Recht und Gerechtigkeit) und die Bauernpartei aufs Übelste beschimpft haben (Polski Big Brother).

Doch trotz der Option einer möglichen Neuwahl, scheint die PiS kein besonderes Interesse an einem vorzeitigen Urnengang zu haben. Noch am Montagabend gab die Partei bekannt, weiterhin eine Koalition mit der Samoobrona anstreben zu wollen. Dabei kann sie durchaus auf einige Mitglieder der Samoobrona zählen. In den letzten Wochen wuchs innerhalb der Fraktion die Kritik an Lepper, was sogar zu Bildung einer kleinen innerparteilichen Opposition führte. Diese kleine Gruppe versucht die PiS seit längerem zu einem Fraktionsübertritt zu bewegen, sie selber jedoch spielt mit dem Gedanken, eine eigene parlamentarische Gruppierung zu bilden. Noch mehr als die PiS ist aber der andere kleine Koalitionspartner der Kaczynski-Zwillinge, die Liga Polnischer Familien (LPR) , gegen eine Neuwahl. Seit Monaten dümpelt die LPR bei Umfragen unter der 5-Prozent-Hürde. Und auch jetzt sagen die Meinungsforschungsinstitute der LPR einen Nicht-Wiedereinzug in den Sejm voraus. Da ist es nicht verwunderlich, dass ihr Parteivorsitzender Roman Giertych schnell das Verbleiben seiner Partei in der Koalition verkündete.

Zu früh gefreut

Die Opposition dagegen sieht in der Ankündigung einer vorzeitigen Wahl ihre Chance gekommen und tut auch einiges dafür, sie stattfinden zu lassen. Am Dienstag stellte die SLD beim Parlamentspräsidenten Ludwik Dorn einen Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments, wofür eine Zwei-Drittel Mehrheit notwendig ist, was wegen der Zusammensetzung des Sejms jedoch so gut wie unmöglich ist. Die Bürgerplattform (PO) hingegen kündigte ein Misstrauensvotum gegen alle 19 Kabinettsmitglieder an. „Dies ist der sicherste Weg, diese Regierung zu stürzen“, hieß es aus den Reihen der PO. Bis es jedoch zu einer dieser Abstimmungen kommt, dürften einige Wochen vergehen – bis zum 22. August sind die Sejm-Abgeordneten in ihrem Sommerurlaub.

Dennoch feierte schon am Dienstag fast die gesamte polnische Presse das Ende der bisherigen Koalition. „Gut, dass dies endlich ihre Ende ist“, jubelte die liberale Gazeta Wyborcza. Und selbst die Tagezeitung Dziennik, die normalerweise für ihre Nähe zu den Kaczynskis bekannt ist ("In den Krieg gegen Gazeta Wyborcza"), hieß den Koalitionsbruch gut, da Lepper und seine Partei der Idee der IV Republik, welche die Kaczynskis propagieren, nur schade.

Wie es sich am Dienstagabend jedoch zeigte, haben sich sowohl die Oppositionsparteien als auch die Medien zu früh über das Ende der Koalition gefreut. Während die Samoobrona noch am Montag verkündete, die Entlassung ihres Vorsitzenden Andrzej Lepper bedeute auch das Ende der Koalition, waren am Dienstag schon andere Stimmen aus der Partei zu vernehmen. Den ganzen Tag über diskutierte die Parlamentsfraktion über den möglichen Bruch der Koalition, um am Abend sich dann doch für ihren Erhalt auszusprechen. Eine Entscheidung, die zwei Gründe hat. So wie die LPR muss auch die Samoobrona um ihren Wiedereinzug in den Sejm bangen, gleichzeitig haben die Politiker der Bauernpartei in den letzten Monaten die materiellen Vorteile der Macht kennen gelernt. Fast wöchentlich berichten polnische Medien über von der Bauernpartei betriebene Vetternwirtschaft. So gelangten immer wieder Familienangehörige von Samoobrona-Abgeordneten in Führungspositionen landwirtschaftlicher Verbände und Behörden, und falls nicht dies, konnten sie Grundstücke zu Sonderkonditionen erwerben.

Der Verlierer der Regierungskrise ist Premierminister Jaroslaw Kaczynski

Den am Dienstag verkündeten Verbleib in der Koalition, sowie die Bereitschaft, einen Nachfolger Leppers als Landwirtschaftsminister aus den eigenen Reihen zu benennen, machte die Bauernpartei jedoch von einer Bedingung abhängig. Bis Freitag soll Kaczynski Beweise für die von ihm erhobenen Vorwürfe gegen seinen bisherigen Stellvertreter vorlegen. Damit dürfte Kaczynski aber Probleme haben, da der Fall eine überraschende Wendung genommen hat. Als Grund für die Entlassung Leppers wurden Ermittlungen der Zentralen-Anti-Korruptionsbehörde gegen den Gründer und Vorsitzenden der populistischen Bauernpartei angegeben. Lepper und zwei seiner Mitarbeiter, die bereits von der Anti-Korruptionsbehörde verhaftet wurden, sollen Provisionen erhalten haben, wenn sie Landwirtschaftsgebiete zum Bauland umschrieben, was nur mit Bewilligung des Landwirtschaftsministeriums möglich ist.

Als Beweis diente der Anti-Korruptionsbehörde ein 35 Hektar großes Grundstück in den Masuren. Wie die Tageszeitung "Dziennik" in ihrer Mittwochausgabe berichtete, soll es sich bei diesem Fall jedoch um eine gezielte Kampagne der Zentralen Anti-Korruptionsbehörde gegen Lepper handeln, die nur auf falschen Vorwürfen basiert. Mariusz Kaminski, der Direktor der Anti-Korruptionsbehörde widerspricht natürlich dem Bericht der drittgrößten Tagezeitung Polens. In einer Pressekonferenz verteidigte Kaminski die Ermittlungen gegen Lepper und gab sogar bekannt, dass die CBA den Führer der Bauernpartei schon am Freitag „auf frischer Tat" verhaften wollte, was jedoch nicht gelang, da Lepper rechtzeitig gewarnt wurde.

Doch egal, ob Lepper nun schuldig oder unschuldig ist, der große Verlierer dieser kurzweiligen Regierungskrise ist Premierminister Jaroslaw Kaczynski. Mit seinem Wunsch, an der Koalition mit der Samoobrona festzuhalten und der Bedingung, unter der die Bauernpartei zu einer weiteren Zusammenarbeit bereit ist, wird bewiesen, wie abhängig Kaczynski von seinen Koalitionspartnern ist und welchen Einfluss diese auf die Politik der IV Republik haben, die der Parteichef der PiS unbedingt mit seiner "moralischen Revolution" erzwingen wollte.

Dabei hätte Kaczynski mit dem Koalitionsbruch durchaus die Möglichkeit gehabt, den Aufbruch in die IV Republik symbolisch darzustellen. Er selber trat im Wahlkampf 2005 gegen die Affären und Korruptionsskandale an, welche die Vorgängerregierungen zum Sturz brachten. Mit der Samoobrona machte er aber eine Partei zum Partner, die letzter Zeit mehr durch Skandale als durch ihre Politik auffiel. Im Dezember geriet die Bauernpartei wegen einer Sexaffäre in Verruf (Alles nur wegen Sex), und seit einigen Wochen, wie schon erwähnt, berichten die polnischen Medien regelmäßig über Vetternwirtschaft innerhalb der Samoobrona.

Stattdessen geht nun das Bauerntheater in Form der bisherigen Regierung weiter – Giertych kann weiterhin als Bildungsminister seine homophobe und nationalistische Politik fortführen und die Samoobrona in die eigene Tasche wirtschaften. Den Polen gefällt dies jedenfalls nicht, auch nicht den Anhängern Kaczynskis. Würden in Polen jetzt Neuwahlen stattfinden, würde die bürgerliche PO die stärkste Fraktion werden, gefolgt von der PiS und der bisher nicht im Parlament vertretenen LiD, den Linken und Demokraten. Eine Fortführung der bisherigen Politik wäre mit dieser Zusammensetzung des Parlaments also unmöglich. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum Kaczynski am Montag und Dienstag die Chance für einen Neuanfang freiwillig versäumte.