Geheimdienste sollen geheimer werden
Schäuble stellt die parlamentarische Kontrolle der Dienste infrage
Für reichlich Irritation sorgten Äußerungen von Innenminister Wolfgang Schäuble, der während der "Sicherheits- und Verteidigungskonferenz des Handelsblatts" die Existenz des parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages infrage stellte. Dieser auch mit Abgeordneten der Opposition besetzte Untersuchungsausschuss, der den Geheimdiensten als Repräsentant des Bundestages auf die Finger sehen soll, scheint Herrn Schäuble so lästig zu sein, dass er ihn abschaffen möchte. Angeblich behinderten die als Sicherheitsrisiko empfundenen Ausschussmitglieder die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerdiensten - die Schäuble offenbar näher stehen, als seine Bürger und Parlamentskollegen. Stattdessen solle die Kontrolle der Dienste auf eine "andere Art" durchgeführt werden, etwa eine "bestimmte Persönlichkeit" dafür berufen werden. Im Klartext würde dies bedeuten, dass die Regierung die Opposition umgehen und die ihr unterstellten Geheimdienste durch eigene Leute selbst "kontrollieren" möchte - also gar nicht.
Wer bewacht die Wächter?
Nach voraussehbarer Entrüstung seiner Politikerkollegen relativierte sich Schäuble zwar später rhetorisch, seine "Anregung", die Kontrolltätigkeit über den Bundesnachrichtendienst oder andere Dienste könne auch auf eine allgemein anerkannte Persönlichkeit oder Institution verlagert werden, sei nur als "Vorschlag" zu verstehen. Eine "Forderung" habe er damit nicht verbunden. Doch allein ein solcher geäußerter Wunsch eines Innenministers wirft auf dessen Verständnis des Rechtsstaats und die Bereitschaft, diesen einzuschränken, ein fragwürdiges Licht. Die Erfahrungen mit dem Bundesnachrichtendienst, der in allerhand Skandale verwickelt gewesen war und früher sogar verdeckten Einfluss auf die Medien genommen hatte, sprechen absolut dagegen, eine solche Behörde von parlamentarischer Kontrolle auszunehmen.
Auf Anfrage von Telepolis kommentierte der Geheimdienstexperte Dr. Erich Schmidt-Eenboom, der selbst vom BND wegen seiner Enthüllungsbücher über die rechtsstaatlich fragwürdigen Operationen des BND bespitzelt worden war:
Schäubles bewusst provozierende Forderung nach Aufhebung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste erinnert fatal an jene braunen Parolen, die einst die gesamte Volksvertretung als Quasselbude diffamierten. Sein Vorschlag, die Überprüfung von BND, BfV und MAD in die Hände eines von der Exekutive berufenen "Expertengremiums" zu legen, würde den Weg frei machen hin zu einer Geheimen Staatspolizei in inneren und äußeren Angelegenheiten.
Taktische Verhandlungsmasse?
Auch andere Experten bewerten Schäubles unverblümtes Anliegen als aussichtslos bis absurd. Es drängt sich daher der Verdacht auf, es handele sich um eine bewusst überzogene Zuvielforderung, die in Verhandlungen generös gegen weniger einschneidendere Forderungen geopfert werden soll, die auf diese Weise politisch durchgesetzt werden könnte, was sich dann psychologisch als "Kompromiss" verkaufen ließe. Denn mit der Abschaffung von einer Kontrolle der Geheimdienste durch den Souverän, die gewählten Volksvertretung, wäre der Rubikon in Richtung Polizeistaat definitiv überschritten.
Sollte Schäuble seinen Vorschlag allerdings nicht als Provokation geäußert haben, sondern ernst meinen, so fragt sich, wo das hinführen soll und wird. Bereits vor Jahren hatte ein Experte in Polizeikreisen prophezeit, wir würden absehbar den Tag noch erleben, wenn sich in Berlin wieder ein "Reichssicherheitshauptamt" formiert, sich also die heute qua Verfassung organisatorisch getrennten Institutionen Polizei, Inlandsgeheimdienst und Auslandsgeheimdienst unter einem Dach vereinigen und der Exekutive eine Allmacht einräumen würden. Auf Derartiges hatte man hierzulande seit 65 (West) bzw. 20 Jahren (Ost) eher gut verzichten können. Was einst nach Cassandra-Rufen klang, ist heute schon zu einem Gutteil Realität geworden: War es früher aufgrund der Polizeihoheit der Bundesländer noch undenkbar gewesen, dass der Bund (neben Zoll, Bahnpolizei und Bundeskriminalamt) eine eigene Vollzugspolizei unterhalten könne, hat nunmehr die seit 2005 aus dem obsoleten Bundesgrenzschutz rekrutierte Bundespolizei das Föderalismusprinzip aufgeweicht.
Während man es bislang als Ausprägung des Rechtsstaats empfunden hatte, die Inlandsgeheimdienste und den Auslandsgeheimdienst organisatorisch abzuschotten und diesen insbesondere keine Polizeibefugnisse zuzubilligen, wird die verfassungsrechtliche Trennung in der Praxis auf der Arbeitsebene informell unterlaufen: Man kennt sich, durchläuft identische Lehrgänge an Polizeischulen usw., und trifft sich gelegentlich zum diskreten Informationsaustausch. Dem früher nur für die Auslandsaufklärung zuständigen BND wurden in Sachen Organisierter Kriminalität und Terrorismus klassische Aufgabenfelder des Bundeskriminalamts eingeräumt.
Nun will Schäuble in einer Bundesabhörzentrale alle Ermittler gemeinsam unter einem Dach das Volk bespitzeln lassen. Vergleiche mit der Stasi werden zurecht als verharmlosend kritisiert: Die Stasi konnte nämlich nur einen homöopathisch geringen Bruchteil der Kommunikation erfassen und auswerten, den die moderne Fernmeldeüberwachung mit automatisierten Systemen in Echtzeit überwacht. Angesichts der digitalen Kommunikation stehen den Schnüfflern ungleich privatere Informationen zur Verfügung, als je in bloße Telefonate oder Tagebücher eingehen würden. Deutschland gilt als Weltmeister im Abhören der eigenen Bevölkerung, was angesichts der leidvollen Erfahrung mit zwei totalitären Staatssystemen schon mehr als erstaunlich ist.
Und weil auch das nicht ausreichen soll, um Schäuble in Sicherheit zu wiegen, will der Mann auch noch die Bundeswehr im Inneren einsetzen. Wenn heute schon wieder anspruchsvoll ausgebildete Polizisten bereit sind, sich zu unkritischen Befehlsempfängern machen zu lassen, was darf man dann von Soldaten im Inneren erwarten? Selbst den Verantwortlichen in der DDR war 1989 der von Honecker gewünschte Einsatz des Militärs gegen das eigene Volk nicht geheuer gewesen.
Gefahrenlage?
Aber gegen wen soll denn eigentlich die geheime wie geballte Staatsmacht 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges eingesetzt werden? Gegen die deutschen Linksterroristen sicherlich nicht - die sind schon lange aus dem Geschäft. Die Anzahl der Todesopfer, welche der RAF zugeschrieben werden, beträgt nur einen Bruchteil der Opferzahl, die kürzlich in Afghanistan auf Befehl eines Bundeswehrsoldaten exekutiert wurde - die Staatsmacht ist offenbar sogar gefährlicher als die Terroristen. Nachdem die Afghanen darauf verzichten, in Europa Rache für den vom Westen seit acht Jahren gegen ihr Land geführten Krieg zu nehmen, kann man nicht ernsthaft von einer afghanischen Terrorgefahr sprechen, die am Hindukusch abgewehrt werden müsste. Hätte irgendein Afghane hier Terroranschläge verüben wollen, so wäre längst ein Zug entgleist, hätte längst ein Heckenschütze zugeschlagen oder eine Karawane an Selbstmordattentätern amerikanische Botschaften aufgesucht, ohne, dass irgendein Geheimdienst das hätte verhindern können. Tatsächlich ist aber nichts dergleichen passiert.
Wie gerufen für Schäubles Wahlkampf kamen da die Geständnisse der ominösen "Sauerland-Bomber" - die mit einer nicht funktionierende Bombe, bei der ihr Geheimdienste zugearbeitet hatten, publikumswirksam vor den Diensten durch halb Deutschland defilierten.
Oder fürchtet Schäuble möglicherweise einen Aufstand der Hartz-IV-Empfänger? Wozu brauchen wir auf einmal diese gigantische Überwachung, die jetzt nicht einmal kontrolliert werden dürfen soll?
Herrschaftswissen
Bei der Frage, wem man die Geheimdienste und ihre Kontrolle anvertrauen soll, muss man lange suchen, um einen ungeeigneteren Kandidaten für diese sensible Vertrauensaufgabe als Schäuble zu finden. So ist etwa sein Rätsel um die "100.000,- DM-Spende noch immer nicht überzeugend geklärt. Schäuble bewertet darüber hinaus das jahrelange Einsperren von willkürlich aufgegriffenen Menschen in Käfigen nicht als Folter, sträubt sich vehement, uns, das Volk, an unserer eigenen Geschichte teilhaben zu lassen und sperrt weiterhin alte Akten, die Aufschluss über das Verhältnis der staatlichen Dienste zur RAF geben könnten - meiert jedoch die eigene Staatsanwaltschaft, die den Mord an ihrem Ex-Behördenleiter klären möchte, schulmeisterlich ab. Und während Schäuble gerade den Staatsanwälten in den Rücken fällt und Akten sperrt, hat der clevere Politprofi den Nerv, den Wählern bei der Öffnung von Akten "weitestgehende Transparenz" zu versprechen.
Angesichts des gerade vermeldeten Fundes eines "verborgenen Archivs der RAF", das seit 1991 offiziell vom Staat versteckt wurde, wäre eine fundierte Aufarbeitung dieser Fragen eine sinnvolle Entscheidungshilfe, wem denn die Macht in unserem Staate anvertraut werden soll. Erddepots erinnern eher an die Operationsweise der GLADIO-Einheiten, eine ebenfalls noch unter unverständlicher Geheimhaltung stehende Altlast des Kalten Kriegs.
Lacht kaputt, was euch kaputt macht!
Über Schäubles Innenleben machen sich derzeit vor allem die politischen Kabarettisten Gedanken. Während Florian Schröder bei Schäuble "Wahnsinn" diagnosdiziert, verortet Volker Pispers dessen Defizite eher im charakterlichen Bereich. Mathias Richling sieht Schäuble im Krieg gegen die Bürger.
Sollte der Innenminister weiter an der verfassungsmäßigen Ordnung sägen wollen, dann wäre ihm zur Vermeidung etwaiger juristischer Komplikationen anzuraten, konsequenterweise auch Art. 20 Absatz 4 des Grundgesetzes ersatzlos zu streichen:
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.