Gehört auch die Bereitschaft zum Krieg mit Russland zur künftigen Strategie?
Ein Kommentar zum NATO-Gipfel
Dem Kölner wird eine besondere Nähe zum Herrgott nachgesagt. Damit sich daraus keine Unannehmlichkeiten ergeben, relativiert er diese Mutmaßung, indem er dem Gebot folgt, Heilige nicht anzubeten, die "keine Wunder tun". Ein ähnliches Verhalten empfiehlt sich gegenüber der NATO und mit Blick auf deren Gipfel in Wales. Anstatt für Frieden und Stabilität im Vertragsgebiet zu sorgen, steht die Allianz direkt - oder dank einiger Mitgliedsstaaten - für eine Blutspur, die sich von Kabul bis Donetsk zieht.
Dem britischen Lord Hastings Ismay kann man als erstem Generalsekretär der Allianz eine Menge nachsagen, nicht aber, dass er sich mit seiner Prophetie über den Zweck des Bündnisses geirrt hätte: Die USA in Europa, die Russen aus Europa heraus und die Deutschen unten zu halten. Einer seiner Nachfolger, der Däne Anders Fogh Rasmussen, ein glühender Anhänger der amerikanischen Irak-Intervention von 2003, kann sich zugute halten, besonders in einer Hinsicht Lord Ismays Intention mit größtem Eifer erfüllt zu haben.
Unter seiner Verantwortung hat die NATO alles getan, um Russland nach 1990 wieder aus Europa heraus zu katapultieren. Es könnte ARD-Konsumenten geben, die nicht eben unglücklich darüber sind, den Scharfmacher aus dem liebenswerten Kopenhagen nach seinem Ausscheiden aus dem Amt am 1. Oktober nicht mehr hören und ertragen zu müssen, sobald es um den Zustand der europäischen Sicherheit geht.
Rüsten und Stationieren
Noch vor einem Jahr wäre es selbstverständlich gewesen, im Angesicht von 60 zum NATO-Gipfel in Wales geladenen Staatschefs auch Russlands Präsidenten in die Runde zu bitten. Die Präsenz von Wladimir Putin hätte ein Beleg dafür sein können, dass bei allem Dissens ein Ost-West-Interessenausgleich möglich geblieben wäre. Stattdessen tobt ein Kampf um die Vorherrschaft im postsowjetischen Osteuropa, bei dem die NATO fest an der Seite der Ukraine steht, wie Generalsekretär Rasmussen bei jeder sich bietenden Gelegenheit verkündete, nachdem der Bürgerkrieg in Syrien nicht zum gewünschten Tritt in den weichen Unterleib der Russischen Föderation geführt hat.
Diese Entwicklungen zielen ab auf einen tiefen Bruch mit Russland, zumal Berater Putins zu verstehen geben, dass es ein Auskommen mit Kiew nur geben könne, wenn ein NATO-Beitritt der Ukraine vertraglich ausgeschlossen bleibe. Die Zeit der Entgegennahme von Absichtserklärungen ist vorbei. Russland hat sich seit 1990 oft genug beschwichtigen lassen. Die westliche Allianz muss nun entscheiden, ob sie sich von den Vereinigten Staaten und dem verantwortungslosen Verbalradikalismus ihres scheidenden Generalsekretärs in die dauerhafte Konfrontation mit Russland hineintreiben lässt.
Womit zu fragen wäre, ob dies die Bereitschaft mit einschließen wird, sich mit der Großmacht im Osten gegebenenfalls militärisch anzulegen? Auf dem jetzigen Gipfeltreffen soll der "Readiness Action Plan" abgesegnet werden, der neue NATO-Basen im östlichen Bündnisgebiet vorsieht, auch wenn ständige Stützpunkte in Osteuropa noch umstritten sind. Frankreich, Spanien und Italien winken ab, die USA und Großbritannien sind dafür, Deutschland hat Vorbehalte.
Im Gespräch befindet sich die Stationierung einer amerikanischen "Battle-Group" im polnischen Stettin. Längst hat die permanente Luftraumüberwachung im Osten Europas begonnen. Von allen NATO-Mitgliedern werden höhere Verteidigungsausgaben gefordert, damit Russland keine Aufrüstungsvorteile für sich verbuchen könne. Im Durchschnitt hätten zuletzt alle NATO-Staaten ihre Verteidigungsausgaben im Schnitt um 20 Prozent gekürzt, behauptet Rasmussen, was durch vorliegende Daten nicht bestätigt wird.
Nach Angaben des Stockholmer Instituts für Internationale Friedensforschung (SIPRI) gab Russland im Vorjahr 88 Milliarden Dollar für die Ausrüstung und Modernisierung seiner Streitkräfte aus - die Ausgaben Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens kumulierten sich auf 168 Milliarden Dollar, allein die USA gaben 640 Milliarden Dollar aus - alles in allem das Achtfache der russischen Aufwendungen. Wer hat ein neues Wettrüsten begonnen?
Schließlich soll im walisischen Newport die Aufnahme neuer Mitglieder diskutiert werden. In Betracht kommen Schweden, Finnland, Mazedonien, Montenegro und Georgien, um noch näher an Russlands Grenzen zu rücken und einen russlandfeindlichen Gürtel quer über den ganzen europäischen Kontinent zu spannen. Wozu die NATO nicht alles taugt, seitdem sie vom Verteidigungsauftrag losgelöst und einer Out-of-Area-Strategie - beschlossen auf dem Washington-Gipfel im Jahr 1999 - unterworfen ist.
Willy Wimmer ist CDU-Politiker. Er war zwischen den Jahren 1985 und 1992 verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung.