Geht der Wahlkampf 2.0 an der Zielgruppe vorbei?

Seite 2: Wer hat mehr Fans?

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Mehr als 47.000 Facebook-Nutzern gefällt die Alternative für Deutschland. Was die Besucher öffentlich von sich geben, gereicht der Partei nicht immer zum Vorteil. "Oh, alle Wähler auf einem Bild", heißt es mit Blick auf das 15-köpfige AfD-Team und viele Kommentare fungieren vornehmlich als eine Art Selbstentblößung der potenziellen Wählerschaft.

Trotzdem hat die AfD nicht nur mehr Fans als andere kleine Gruppierungen wie die Partei Bibeltreuer Christen (25) oder die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (27), sondern auch mehr Facebook-Anhänger als SPD (45.000), CDU (40.000), Grüne (38.000), FDP (21.000) und Linke (31.000). Mit fast 80.000 Likes sind die Piraten die mit Abstand beliebteste Facebook-Fraktion. Parteigeschichtlich keine große Überraschung, auch wenn die Nutzung der "Datenkrake" intern seit geraumer Zeit umstritten ist.

Die extreme Rechte hat Facebook ebenfalls für sich entdeckt. Fast 34.000 Menschen gefällt der Auftritt der NPD, die hier tagesaktuell über den Stand ihrer schlecht besuchten "Deutschlandfahrt" berichtet oder spontan Aktivisten sucht, die gegen das Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf demonstrieren und die "einheimische Bevölkerung in ihrem Kampf um Sicherheit und Ordnung" unterstützen.

Auf Twitter haben die Rechten nur etwa 1.300 Follower und auch die bei Facebook so beliebte AfD kommt gerade einmal auf 5.000. Die Piraten (Zahlenangaben gerundet. Stand: 21. Juli 2013) liegen hier erneut und vorerst wohl uneinholbar in Führung (118.000), gefolgt von Bündnis 90/Die Grünen (63.000), der SPD (38.000), CDU (31.000), Linkspartei (14.000) und FDP (12.000). Auch die "Twitterpolitik" ist bereits Gegenstand umfangreicher Untersuchungen.

Twittern wie Obama

Die Parteien haben aus den jüngsten amerikanischen Wahlkämpfen gelernt und im Ansatz bereits eigene Konzepte entwickelt. Die jeweiligen Kampagnenleiter wissen interessante Dinge über die "reichweitenstärksten Angebote Facebook, Twitter und YouTube", das "Thema Bewegtbild" und die "rasant steigende Nutzung im Bereich der mobilen Endgeräte" zu erzählen. Sie kennen den Dreiklang von "Sensibilisieren, Aktivieren und Mobilisieren", denken über neue Distributionskanäle und Rapid Response-Videos oder das richtige "Agendasetting im Netz" nach.

Es gibt allerorten Mitmach-Portale, Wahlkampf-Tumblr und wer gerade nichts Besseres zu tun hat, kann sich die Parteiprogramme sogar vorlesen lassen. Nach dem Vorbild der Grünen, deren Inhalte als MP3 oder Daisy-Hörbuch präsentiert werden, hat die SPD Aydan Özoguz und den unvergessenen Wolfgang Thierse vors Mikrophon geschickt.

Der CDU-Netzexperte Peter Tauber betreibt derweil neben seiner Website einen YouTube-Kanal, einen Facebook-Auftritt, einen Twitter-Account, den Blog "Schwarzer Peter" und den Newsletter "Brieftauber".

Der Aufwand ist gestiegen, aber erfahren die Wähler auf Facebook, Twitter und Youtube tatsächlich mehr als auf der Homepage der Parteien? Ein Großteil der Inhalte wird von Auftritt zu Auftritt kopiert – ohne Neuigkeitswert für den Besucher. Gezielte Interaktion sucht man auf den meisten Seiten vergebens.

Dass sich das Medium mitunter rächt, ist da nur fair. So wurde aus einem blassen Kanzleramtsminister ohne große Facebook-Fangemeinde ein echter Tumblr-Star, der nicht nur die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung beendet, sondern auch das iranische Atomprogramm, die Ära des Chuck Norris und Schuberts 8. Sinfonie.

Mit der Aktualität ihrer Inhalte haben viele Betreiber zu kämpfen – wenn auch selten so lange wie Karl Lauterbach. Der Gesundheitsexperte der SPD twitterte vor geraumer Zeit: "hallo köln und leverkusen, wie obama werde ich im wahlkampf twittern, um die einsicht in gesundheitsreformen zu fördern! ärzte schachmatt." Und beließ es dann dabei.

"Nicht alle Politiker haben verstanden, die sozialen Medien interaktiv zu nutzen", meint Simone Jost-Westendorf, Redaktionsleiterin bei politik-digital.de. So sieht es auch Markus Voeth, Lehrstuhlinhaber an der Uni Hohenheim und Leiter des eingangs erwähnten Master-Seminars.

Es ist den Parteien noch nicht gelungen die Chancen dieser Medien analog zum amerikanischen Wahlkampf zu nutzen. Hier verschenken alle Parteien viel Potenzial mögliche Wähler mit aktuellen Informationen zu erreichen.

Prof. Dr. Markus Voeth, Universität Hohenheim

Lauterbach gibt aber nicht auf. Seit August ist er bei Facebook.

"Stuck in the middle"

29.000 Likes gegen 339.000: Wenn es nur nach Facebook ginge, hätte Peer Steinbrück seine Kandidatur längst zurückziehen können. Doch der angeschlagene Bewerber ist nicht das einzige Problem der SPD, wie die Analyse der Hohenheimer Studenten zeigt. Zwar wurden die Genossen bei vielen Themen als kompetent eingeschätzt, die Meinungsführerschaft verortete man aber durchgängig bei der Konkurrenz.

Das Problem der SPD besteht darin, dass sie kein Thema alleine oder am stärksten besetzt – in vielen Bereichen also nicht den ersten Platz, sondern nur den zweiten Platz belegt und sich damit schwer tut, einen klar umrissenen komparativen Konkurrenzvorteil gegenüber anderen Parteien aufzubauen.

Prof. Dr. Markus Voeth, Universität Hohenheim

So assoziierten die 814 Befragten die Themen Europa und Finanzkrise mit der CDU, die Grünen wurden mit der Energiewende sowie mit Migrations- und Bildungspolitik in Verbindung gebracht. Den Mindestlohn besetzte die Linkspartei, die Steuerentlastung für den Mittelstand ging an die FDP.

Entsprechend durchschnittlich wurde der Wahlkampfslogan der SPD bewertet. "Das WIR gewinnt" kam auf der Skala von 1 ("eher unpassend") bis 5 ("eher passend") zwar auf 3,45, wurde aber deutlich schlechter bewertet als "Deutschland ist erneuerbar" (Die Grünen, 4,37), "Klarmachen zum Ändern" (Piraten 4,17) oder "Wählen Sie die Alternative" (AfD, 3,99).

Bei den Jungwählern in Baden-Württemberg konnten die Genossen ihr trübes Image also nicht aufpolieren – trotz Facebook & Co. Das Ergebnis der Sonntagsfrage ("Wen würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?") war im Gegenteil noch deutlich unerfreulicher als die aktuellen Umfragen auf Bundesebene.