Geht die Welt eher unter als der Kapitalismus?

Seite 2: Kapitalismus = Wachstum = Treibhausgas

Es sind zwei Schlüsse, die zusammengenommen die Unausweichlichkeit der Klimakatastrophe im Kapitalismus belegen. Erstens: Kapitalismus geht nicht ohne Wachstum, und zweitens: Wachstum geht nicht ohne Steigerung der Treibhausgas-Emissionen.

Dementsprechend haben sich im Diskurs zwei Positionen herausgebildet, die die Rettung innerhalb des Kapitalismus als möglich behaupten: Erstens die Postwachstums-Ökonomie ("Kapitalismus ohne Wachstum ist möglich") und zweitens "green growth", auch "green deal" genannt ("Klimaneutrales Wachstum im Kapitalismus ist möglich").

Beiden Ansätzen wohnt ein prinzipieller Widerspruch inne: denn einerseits wäre es absurd, zu erwarten, dass der Kapitalismus plötzlich von sich aus anders verläuft als seit seinen Anfängen, nämlich ungebremst hin zur allgemeinen Naturzerstörung, insbesondere zur Klimakatastrophe, so dass andererseits klar ist, dass sich ohne gravierende steuernde Eingriffe in die Wirtschaft nichts daran ändern wird und sich die Frage stellt, was denn dann vom Kapitalismus eigentlich noch übrig bleibt, oder ob man nicht schon auf dem Weg zur Planwirtschaft ist, die diese Theoretiker doch vermeiden wollen wie der Teufel das Weihwasser.

Dem Green-growth-Konzept liegt noch ein weiterer Denkfehler zugrunde: Man geht erst einmal ganz abstrakt davon aus, dass Wachstum sein solle, und dann sucht man danach, was denn wachsen könnte, damit es in klimaverträglicher Weise geschähe.

Damit lässt man den Grund außer Acht, warum Wachstum sein soll, d.h., weshalb es für Wirtschaft und Staatsmacht so wichtig ist. Stattdessen gehen die Green-growth-Theoretiker ohne weiterzufragen davon aus, dass diese beiden wohl doch ganz disparaten Kriterien in Einklang miteinander stünden.

So ist etwa von Dienstleistungen, etwa in der Altenpflege die Rede: da fällt wenig CO₂ an – aber stärkt die Altenpflege die Staatsmacht? Nein, es ist mit ihr wie bei allen Sozialausgaben, nämlich dass sie, wenn es denn politisch gewollt wäre, also den Staatszwecken entspräche, schon immer hätten wachsen können, aber tatsächlich nur nach Maßgabe der bekannten "Sparzwänge" getätigt werden. Man kann also getrost davon ausgehen, dass überall dort, wo sich die Politik Green growth auf die Fahnen schreibt, nur Greenwashing herauskommt.

Es ist das Verdienst von Fridays for Future, die Klimakatastrophe ins allgemeine Bewusstsein gerückt zu haben. Bekannt waren die Fakten allerdings schon spätestens seit dem ersten Bericht des Club of Rome, 1972, und seitdem gab es auch Debatten über mögliche Auswege, die allerdings recht wenig öffentliche Beachtung fanden; nicht einmal die kapitalismusfreundlichen Varianten, die entlang von Green growth oder Postwachstums-Ökonomie argumentierten, fanden Gehör; zu sehr war die Politik allein darauf fixiert, der Logik des Systems zu folgen, also auf den Abgrund zuzurasen.

Als Beispiel für diesen wenig beachteten Diskurs kann auf Erhard Eppler als Vertreter des Green growth (von ihm "selektives Wachstum" genannt) und Niko Paech als Vertreter der Postwachstums-Ökonomie verwiesen werden.

Diese beiden Autoren haben 2016 ein Streitgespräch in Buchform veröffentlicht.1 Es bietet uns die Gelegenheit, ihre Standpunkte näher kennen zu lernen, wobei insbesondere ihre wechselseitige Kritik aufschlussreich ist. Deshalb wollen wir zum Abschluss einen Blick in dieses Buch werfen.

Ist eine Begrenzung des Wachstums realistisch?

Paech wendet gegen Green growth ein, dass die erforderliche CO₂-Reduktion – er nennt als Zahlen elf Tonnen pro Person und Jahr, die auf 2,7 Tonnen reduziert werden müssten (116) – mit einer wachsenden Wirtschaft nicht vereinbar sein könne, und dass zudem bei der Berechnung der Umwelt-Wirksamkeit "klimafreundlicher" Technologien Nebeneffekte, vornehmlich bei Produktion und Entsorgung, sowohl hinsichtlich des Klimas wie auch anderer Umweltschädigungen, regelmäßig ausgeklammert werden.

Eppler wiederum wirft Paechs Postwachstumstheorien mangelnden Realismus vor. Schon auf die Forderung, Werbung abzuschaffen, antwortet er

Ich würde sie vielleicht stärker besteuern. Schon das würde einen Aufstand hervorrufen! Das ist ja keine Kinderei, was Sie da vorhaben, Herr Paech, das wäre eine Revolution!

und führt sodann weiter aus:

Herr Paech: Die Frage, wie sich Ihre Konsum- und Wachstumskritik zu der Tatsache verhält, dass wir ein kapitalistisches System haben, kommt interessanterweise in Ihrem Buch überhaupt nicht vor; ebenso wenig die Tatsache, dass es eine mächtige Gruppe von Menschen und Unternehmen gibt, die dieses System mit Zähnen und Klauen verteidigen. […] Ich frage mich, warum reden Sie, Herr Paech, weder über Macht noch über Interessen?

In der Tat: die genannte "Konsum- und Wachstumskritik" nimmt den überwiegenden Teil von Paechs Theorie ein, ohne dass sie wirklich in Beziehung zum Kapitalverhältnis gesetzt würde. Andererseits tauchen die Wörter "Kapital", "Kapitalismus" oder "kapitalistisch" bei Paech keineswegs selten auf, aber stets so, dass es schwerfällt zu verstehen, was er damit genau meint. Sehen wir uns das an einem Beispiel an:

Ich unterscheide zwischen strukturellen und kulturellen Wachstumstreibern. Die erstgenannten rühren daher, dass die arbeitsteilige industrielle Produktion viel Kapital benötigt. Und Kapital kriege ich nur, wenn ich seinen Eignern ausreichende Renditen versprechen kann oder den Banken, falls ich das Geld von dort nehme, Zinsen zahle. […]

Diese angebotsseitigen Wachstumstreiber zu überwinden, würde meines Erachtens voraussetzen, dann eben auch Abschied von der industriellen, also kapitalabhängigen Produktionsweise zu nehmen. Aber dann schaffen wir keineswegs den Kapitalismus ab, sondern auch die Grundlagen des Wohlstands – was dann eben ertragen werden muss.

Also: die "industrielle Produktion benötigt viel Kapital". Zweifellos gehören große technische Produktionsanlagen zum Begriff der Industrie. Aber ist das dasselbe wie Kapital? Die ökonomische Form von Kapital, also eines zum Zweck der Selbstvermehrung, d.h. der Erzielung von Geldüberschüssen, eingesetzten Werts, nehmen die Produktionsmittel nur im Kapitalismus an.

Es ist weiter von den ökonomischen Begriffen Rendite, Bank, Geld, Zinsen ganz so die Rede, als wären sie ebenso naturgemäß, d.h. durch technologische Notwendigkeiten, mit der industriellen Produktion verbunden, wie dass man zur Stahlproduktion einen Hochofen braucht.

Wenn Paech dann von der "industriellen, also kapitalabhängigen Produktionsweise" spricht, wird vollends klar, dass für ihn der auf die Produktionstechnik bezogene Begriff Industrie und der rein ökonomische Begriff Kapital ineinander verschwimmen.

Der dann folgende Fehler im Satzbau ist ein Versehen, wie es jedem passieren kann; bemerkenswert ist im vorliegenden Fall allerdings, dass gar nicht klar ist, wie es korrekt heißen müsste. Ich habe lange nachgedacht, ob "keineswegs nur, sondern auch" oder "keineswegs …, sondern vielmehr" passend wäre, habe es aber aufgegeben, denn solange Paech nicht sagen kann, was er unter Kapitalismus versteht, macht es keinen Unterschied, ob er meint, dass dieser abgeschafft werden soll oder nicht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.