Geht es auch anders? In Richtung emanzipatorischer Kritik an Medien und Journalismus

Seite 2: Debatte über alternative Medien: Weischenberg verwechsele Grundlagen und Theorien

Zollmann schreibt: "Weischenberg hätte daher gut daran getan, sich Chomkys Originaltext anzuschauen." (S.81). Insgesamt verwechsele Weischenberg Chomskys Ausführungen zu Staatspropaganda mit Edward S. Hermans und Chomskys gemeinsam entwickeltem Propaganda-Modell, das vor allem eine Kritik der institutionellen Strukturen von Massenmedien vornehme (S.84).

Florian Zollmann weist auf einen wichtigen Aspekt hin, der für die Propaganda-Thematik in westlichen Medien und Wissenschaften durchaus bemerkenswert bleibt:

Wie ich schon 2019 feststellte, werden Propagandastudien über westliche Demokratien in den Kommunikationswissenschaften marginalisiert (...). Dabei hatten schon Paul F. Lazarsfeld und Robert K. Merton (zwei Begründer der empirischen Kommunikationsforschung in den USA, S.K.) (...) darauf hingewiesen, dass Propaganda in demokratischen Gesellschaften die "Stelle von direkteren Kontrollmitteln" eingenommen habe und dass »diese Veränderung in der Struktur sozialer Kontrolle eine gründliche Untersuchung verdient«. Lazarsfeld und Merton bezeichneten die Massenmedien als eine wichtige Institution der Propaganda, denn diese seien von mächtigen Wirtschaftsinteressen kooptiert worden (...). Chomsky ist einer der wenigen Forscher:innen, die eine solche Propagandaperspektive seit Jahrzehnten vorantreiben.

Mit Blick auf eine etwaige "Alternative Medienkritik" äußert Zollmann, sicherlich sollten die Veröffentlichungen, die Weischenberg als "AMK" klassifiziere, einer kritischen Beurteilung unterzogen werden.

So gebe es in der Tat eine historische Marginalisierung von Frauen oder Minderheiten in diesem Feld der kritischen Erforschung von Medien. Insgesamt aber stelle sich ihm vor allem die Frage, ob das, was Weischenberg als Chomskys Propaganda-Hauptthese ausgebe, letztlich nur eine "Strohfigur" sei, um den gesamten kritischen Propaganda-Ansatz zielgerichtet "auszumanövrieren". (S.85)

Am ehesten eine Synthese der Thesen und Gegenthesen in dieser Debatte zu alternativen Medien und alternativer Medienkritik könnte sich aus Mandy Trögers Beitrag in "Journalistik" entwickeln lassen. Tröger ist Gründungsmitglied des Netzwerkes Kritische Kommunikationswissenschaft und derzeit Gastprofessorin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover.

Auch Tröger zufolge definiert Weischenberg weder, was "AMK" sein soll, noch begründet er die Textauswahl, aufgrund derer er diese "AMK" umreißt (S.64). Die von ihm angebotene Klassifikation sei "unbefriedigend bis unbrauchbar" (S.66). Verdienstvoll aber finde sie, dass sich Siegfried Weischenberg zumindest vornehme, was in Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie Journalismus-Forschung bisher ignoriert worden sei: eine wachsende (populärwissenschaftliche) Literatur der Medien- und Journalismuskritik, die allein schon deshalb nicht übergangen werden sollte, weil sie im (gegen-)öffentlichen Diskurs stetig an Bedeutung gewinne (S.64).

Mandy Tröger hat recht: Angesichts wachsender sozialer Spannungen und Spaltungen sind Fragen wichtig wie: Wodurch zeichnet sich Kritik an Medien und Journalismus aus, womöglich als Teil tiefgehenderer Gesellschaftskritik? Inwiefern kann ein Kritik-Begriff erreicht werden, der den Herausforderungen der Gegenwart entspräche (sie schreibt von Klimakrise und von Monopolisierung digitaler Kommunikation, ich würde jedenfalls ergänzen: Friedens- und Gesundheitspolitik)?

Ziel solcher Debatten solle sein, differenzierte Kritik-Ansätze zum Funktionieren und zum Versagen von Medien und Journalismus zu erarbeiten, allerdings "in demokratisch-kapitalistischen Gesellschaften" (S.65). Warum sich die Autorin auf die Annahme grundsätzlich kapitalistischer Verhältnisse einlässt, erschließt sich allerdings nicht.

Dieser Aspekt bleibt auch deshalb relevant, weil die Autorin ausdrücklich "konstruktive" Kritik fordert (S.69). Zugespitzt gefragt: Wären dann z.B. etwaige Vergesellschaftungen von Konzernen und mediale Debatten darüber "destruktiv", weil womöglich Kapitalverhältnisse theoretisch und praktisch infrage gestellt würden?