Geht es auch anders? In Richtung emanzipatorischer Kritik an Medien und Journalismus

Seite 3: Mediendebatte: Was bedeutet "alternativ" heute noch?

Tröger greift Vorschläge von Herbert Marcuse aus dem Jahr 1964 auf, denen zufolge sich die Begriffe "Kritik" und "alternativ" wechselseitig bedingen (S.66). "Alternativ" meinte zumindest früher laut Tröger vor allem sozialistisch-linke System- und Fundamentalkritik. Ihr Gegenstück bleibe, Marcuse folgend, "affirmative Kritik". Das einst (1968 ff.) Links-Alternative allerdings hat sich auch Tröger zufolge zunehmend entpolitisiert. Alternative Medien wie die 1978 gegründete "tageszeitung" (taz) adaptierten sich in Richtung "Mainstream".

Heute werde der Begriff "alternativ" vor allem mit rechtspopulistischen Parteien wie der AfD assoziiert. Sogenannte "Alternativmedien" würden wissenschaftlich tendenziell "unter dem Aspekt rechter Gegenöffentlichkeiten" diskutiert (S.67).

Allerdings gebe es in der Forschung auch andere Auffassungen, so dass fraglich bleibe, inwiefern "kritisch" im politischen Spektrum zu verorten wäre – "rechts, links, bürgerliche Mitte". Sehe man sich nun die von Weischenberg so genannte "Propaganda-Schlacht um die Corona-Berichterstattung" an, in der ja "AMK" zentraler Bestandteil (gewesen) sein sollte, wird für Tröger klar: Kategorien wie "rechts" oder "links" seien angesichts politisch ziemlich diverser Protest-Bewegungen kaum noch selbstverständlich.

Tröger unterstreicht, es bleibe zu prüfen, inwiefern die von Autoren wie Klöckner, Meyen oder Wernicke betriebene Kritik an etablierten Medien und entsprechendem Journalismus "tatsächlich von tiefen Entfremdungserfahrungen und Misstrauen in demokratische Institutionen" zeuge (S.68).

Den Kritikpunkt von Florian Zollmann (s.o.), demzufolge in alternativer Medienkritik Frauen oder Minderheiten kaum angemessen repräsentiert seien, greift auf ihre Weise auch Mandy Tröger auf. Sie habe den Eindruck, "dass diese Debatte von den Ich-Narrativen alter weißer Männer getrieben" sei (S.69). Sie bezieht sich namentlich auf Weischenberg und Meyen. Es sollten aber für eine emanzipatorische Kritik an Journalismus und Medien vor allem strukturelle Probleme im Zentrum des Interesses stehen, nicht die Summe individueller Probleme. Tröger schreibt:

Jede Kritik schwächelt an den Egos ihrer Autor:innen. Wenn im Mittelpunkt die (Re-)Produktion des Ichs steht und selbstbezogene Narrative die Argumentation zu treiben scheinen, ist das Indiz dafür, dass es sich um die Instrumentalisierung kritischer Perspektiven und die Übertragung privater Kämpfe in öffentliche Arenen handelt. Was zu einem gewissen Grad Grundlage jeder Kritik sein muss, kann durch die Übersteigerung des Ichs also kontraproduktiv werden. Auf der Strecke bleibt die Kritik selbst.

Allerdings erschließt sich nicht, warum Mandy Tröger zu fordern scheint (S.70), "die" (sic!) Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie angrenzende Fächer (wie Journalistik) sollten sowohl die "Definitionsmacht" (sic!) über Lesart und Anwendung bestimmter, auch systemkritischer Theorien ebenso "zurückerobern" (sic!) wie damit zugleich "das Feld der Medienkritik".

Derart militärische bis militaristische Metaphern hätten "alte weiße Männer" kaum schlechter (re-)produzieren können. Immerhin geht es Mandy Tröger und Kolleg:innen (wie mir) darum, "emanzipatorische Medienkritik in das Zentrum legitimer Gesellschaftskritik" zu rücken.

Und damit, wie versprochen, in Richtung möglicher Synthesen in dieser Kritik-Debatte: Folgen wir dafür beispielsweise einem Kritikverständnis aus den Kreisen des Netzwerkes Kritische Kommunikationswissenschaft, dann tritt laut Mandy Tröger eine ideale Kritik an Medien und Journalismus ein "für einen radikalen Pluralismus der Identitäten, Perspektiven und Meinungen zum Ziele kollektiver Emanzipation". Ich würde ergänzen – Pluralismus auch der sozialen (klassen- und schichtenbezogenen) Herkünfte - sowie zugleich zum Ziele individueller Emanzipation. Die Freiheit aller Einzelnen als Bedingung der Freiheit aller, wie es ähnlich schon Marx und Engels in ihrem "Manifest" 1848 formuliert hatten.

Mandy Tröger skizziert eine solche Kritik, die laut Herbert Marcuse eben nicht "affirmativ" wäre, sondern auch Systemkritik sein könne (S.70). Derartige Kritik distanziere sich von Reduktionismen oder Dogmatismen und eröffne damit "Komplexität durch selbstreflexive Forschung, die auch selbstkritisch" sei.

Solches Herangehen analysiere und kritisiere etablierte Medien wie auch andere Medien, frage nach den ideologischen Konstrukten (und damit gleichsam "blinden Flecken") beider. Tröger ist abschließend zuzustimmen: "Letztlich aber sollte jedwede Kritik-Diskussion nicht durch alte Grabenkämpfe bestimmt, sondern durch neue, theoretisch fundierte Perspektiven bereichert werden". Wir, Medienschaffende und Medienforschende, könnten also auch "anders". Die Frage bleibt: Können wir das?