Gejagter Jäger

Der nordrhein-westfälische Innenminister, der die Vorratsdatenspeicherung via Bundesrat wiedereinführen will, gerät wegen einer Parteispenden- und Korruptionsaffäre immer stärker in die Kritik

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Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger von der SPD plant dem Spiegel zufolge eine Bundesratsinitiative zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Abgesehen vom neuen Namen "Mindestdatenspeicherung" scheint sich Jägers Vorhaben, bei dem unter anderem IP-Nummern und Zugangszeiten aller Bürger ein halbes Jahr aufbewahrt werden sollen, wenig von dem zu unterscheiden, was das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr verbot.

Ob der Plan, den er im Juni seinen Innenministerkollegen vorstellen will, Chancen auf eine Annahme hat, hängt auch von den Landesregierungen mit grüner und gelber Beteiligung ab. Im gerade verabschiedeten Koalitionsvertrag für Baden-Württemberg heißt es dazu: "Bei der Vorratsdatenspeicherung setzen wir uns dafür ein, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts präzise einzuhalten". Eine recht vieldeutige Formulierung - auch wenn die baden-württembergische Landes-SPD beim Annahmeparteitag dazu twitterte, dass man die Vorratsdatenspeicherung "'nach wie vor" ablehnen würde.

Aber vielleicht ist Jäger bis Juni auch gar nicht mehr im Amt: Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), die im letzten Jahr den Ruhrbarone-Muckraker David Schraven einkaufte und seitdem verstärkt auf Themen setzt, wie sie dessen Blog behandelt, kam nämlich an Material, das den Innenminister unter einen gewissen Erklärungsdruck setzt.

Karte: Markus Baumer. Lizenz: CC-BY-SA.

Ein Teil der Vorwürfe betrifft den SPD-Unterbezirk Duisburg, dem Jäger vorsteht. In diesem Bezirk, so der Verdacht der WAZ, sollen Kandidaten für den Bezirks- und den Stadtrat nämlich nur dann aufgestellt worden sein, wenn sie sich zu einer größeren Parteispende verpflichteten. So etwas gibt es angeblich auch in anderen politischen Gruppierungen - aber in der Duisburger SPD ging man vor der vergangenen Wahl so weit, sich die Spendenbereitschaft der Bewerber schriftlich bestätigen zu lassen, was Dokumente hinterließ, deren Existenz Jäger schlecht abstreiten kann.

Der Duisburger SPD-Geschäftsführer Jörg Lorenz räumt gegenüber Telepolis ein, dass allen Kandidaten ein Papier mit drei Punkten zur Unterschrift vorgelegt worden sei. In einem davon sollten sie sich "für den Fall ihrer Wahl als Kandidat" damit einverstanden erklären, einen Teil der Wahlkampfkosten zu übernehmen. Dass dies jedoch kein Listenplatzkauf gewesen sei, würden sieben Kandidaten beweisen, die das Papier nicht unterschrieben hätten und trotzdem aufgestellt worden seien. Im Fall des nicht nominierten Marcel Lohbeck habe die angekündigte Zahlungsverweigerung nur insofern eine Rolle gespielt, als sein "unsolidarisches Verhalten" angeblich viele Mitglieder empörte.

Möglicherweise, um etwas Druck aus der Affäre abzulassen, meldete die SPD den Fall mittlerweile selbst bei der Bundestagsverwaltung an, die noch nicht entschieden hat, ob sie wegen eines Verstoßes gegen das Parteienfinanzierungsgesetz ermitteln wird. Sollte sich erweisen, dass Listenplätze tatsächlich verkauft wurden, dann könnte es nicht mehr nur um illegale Parteispenden, sondern um eine einen Verstoß gegen das Demokratiegebot und möglicherweise auch gegen das Kommunalwahlgesetz gehen, wie beispielsweise Horst Engel, der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion vermutet.

Der zweite und schwerwiegendere Verdacht gegen Jäger ergibt sich daraus, dass er der städtischen Gesellschaft für Beschäftigungsförderung mbH (GfB), deren Aufsichtsratschef er ist, den Rechtsanwalt V. empfahl. Darauf hin bekam die Kanzlei des Anwalts Aufträge für fünf Gutachten, darunter eines zu "weiteren Geschäftsfeldern". Das Honorar dafür wurde auf ein Kanzleikonto bei der Commerzbank überwiesen, von dem nur der fragliche Anwalt und seine Gattin Geld abheben konnten.

Kurz danach wurden von Konten dieser Kanzlei zwei Mal größere Beträge an die SPD überwiesen, die im Verwendungszweck als Spenden zweier anderer in der Kanzlei tätiger Rechtsanwälte gekennzeichnet waren. Als diese beiden im Folgejahr Spendenquittungen an ihre Privatadressen zugeschickt bekamen, wiesen sie die SPD darauf hin, dass sie solche Spenden nie getätigt hätten, und sahen sich die Vorgänge auf ihren Sozietätskonten genauer an, was schließlich in der Entdeckung von 300.000 verschwundenen Euro und einer Strafanzeige gegen V. wegen des Verdachts auf Untreue mündete. In der Anzeige äußerten die beiden Anwälte auch den Verdacht, dass Spenden von V. als Gegenleistung für Aufträge politiknaher Unternehmen geleistet wurden.

Zu WAZ meinte Jäger, er habe "Justizminister Thomas Kutschaty gebeten, dass die Staatsanwaltschaft die erhobenen Vorwürfe untersucht". Doch Kutschaty hatte dem Landtag auf eine Anfrage hin erzählt, dass er nichts über Geldflüsse von städtischen Unternehmen an den Rechtsanwalt V. wisse, weshalb ihm die WAZ vorwirft, das Parlament nur "lückenhaft" über die Ermittlungen gegen den Juristen unterrichtet zu haben, gegen den die Staatsanwaltschaft Krefeld immer noch ermittelt.

Justizministerium-Pressesprecher Ulrich Hermanski meint dazu gegenüber Telepolis, Kutschaty habe "den Rechtsausschuss des Landtags in der Sitzung vom 23. März 2011 […] auf der Grundlage eines Berichts des Leitenden Oberstaatsanwalts in Krefeld vom 16. März 2011 unterrichtet" und "bislang keinen Anlass, an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Berichts […] zu zweifeln". Zu den aktuell veröffentlichten und weitergehenden Sachverhalten habe das Ministerium beim Leitenden Oberstaatsanwalt in Krefeld und beim Generalstaatsanwalt in Düsseldorf um eine Prüfung und einen Bericht nachgesucht, der jedoch noch aussteht.

Nachdem die Verbindungen zwischen V. und Jäger bekannt wurden, fiel das öffentliche Interesse inzwischen auch auf eine "delikate Verkehrsangelegenheit", in welcher der Rechtsanwalt für den heutigen Innenminister tätig war und die Letzterem nach Ansicht der WAZ im Wahlkampf durchaus schaden hätte können, wenn sie nicht so "diskret" gehandhabt worden wäre. Jäger dürfte deshalb in nächster Zeit alle Hände voll zu tun haben, sein politisches Überleben zu sichern. Ob er im Amt bleibt, hängt möglicherweise auch davon ab, wie viel Material Whistleblower David Schraven noch zustecken.

Bei den Grünen, dem Koalitionspartner der SPD in NRW, hat man bereits mit dem Distanzieren von Jäger begonnen: Zu seinem Vorratsdatenspeicherungsplänen meinte die Landeschefin Monika Düker öffentlich, man sehe derzeit "keinen Handlungsbedarf" und wolle erst einmal die Zukunft der dazugehörigen EU-Richtlinie abwarten, gegen die eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte läuft. Zudem wäre die verdachtsunabhängige Speicherung ein "unverhältnismäßiger Eingriff in Persönlichkeitsrechte" und anlassbezogenes Quick Freeze ein weitaus milderes Mittel.

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