Gelbwesten: Der Protest und die inszenierte Debatte
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Die Regierung hofft darauf, dass die "große nationale Debatte" dem Aufstand die Luft nimmt. Bislang ist diese Hoffung vergebens
Der Graben bleibt; es gibt keinen Dialog, der Brücken bauen könnte, die Demokratie steht still. So könnte man die augenblickliche Lage in Frankreich beschreiben. Die ersten beiden Bilder sind einfach.
Es gibt die Demonstrationen der Gelben Westen, die am Samstag zum 10. Mal in Folge mobilisiert haben, und laut Angaben, wie sie die großen Medien verbreiten, in etwa so viele Personen auf die Straße brachten wie am Wochenende zuvor (Gelbwesten: Insistierende Mobilisierung. Und es gibt die "große Debatte" (le grand débat national), die Macron mit den Bürgermeistern des Landes führt und die darüber hinaus im Internet eine Plattform hat.
Macron befeuert
Am Tag vor dem Acte X der Gilets jaunes (Gelbwesten) war der französische Präsident in Souillac, einer Kleinstadt (3.400 Einwohner) im Südwesten Frankreichs, mit 600 Bürgermeistern aus der Region Okzitanien zusammengetroffen. Er zeigte, wie schon bei der Auftaktveranstaltung am Mittwoch (Macron bleibt stur), Kondition beim mehrstündigen Treffen mit den Lokalpolitikern. Macron machte, wie ihm wohlgesinnte Medien und seine Entourage bescheinigen, einen energischen Eindruck. Auch er ist mobilisiert.
Wie schon zuvor im kleinen Grand-Bourgtheroulde (3.700 Einwohner) ließ sich Macron nicht auf Gespräche mit den vor Ort protestierenden Gelbwesten ein. Die Veranstaltung wurde gut abgeschirmt. Ein paar Demonstranten sollen es dennoch geschafft haben, die Polizei-Barrieren zu überwinden. Es wird zwar von Auseinandersetzungen zwischen Gelbwesten und Ordnungskräften berichtet, aber nicht von einer Teilnahme der Demonstranten am Gespräch Macrons mit der Basis. Zugelassen sind nur gewählte Vertreter. Die Bürgermeister sollen die Vermittler sein.
Instruierte Teilnehmer und Wahlkampf
Inwieweit sie tatsächlich Brücken zwischen Regierung und der Bevölkerung bauen können, ist aber noch offen. Von den Gilets jaunes - aber nicht nur von dort - kommen kritische Anmerkungen zum Auswahlprozess der Bürgermeister und deren "Einweisung" auf den Dialog. Auffällig ist, dass kritische Stellungnahmen oder Fragen durch Lokalpolitiker jedes Mal eigens hervorgehoben werden, was suggeriert, dass sie die Ausnahme sind.
Mittlerweile merkt auch die parlamentarische Opposition der Präsidentenpartei, dass die "große Debatte" wie eine Werbe- oder Wahlkampagne funktioniert. Anders gesagt: Von den Republikanern, der ehemals großen konservativen Partei, die nach wie vor in vielen Medienberichten mit "la droite" (rechts) synonym gesetzt wird, spricht im Augenblick niemand und noch viel weniger von den kleineren Parteien. Mit Ausnahme von der Partei Le Pens, dem RN, oder der Bewegung, der Mélenchon vorsteht, dem "Frankreich, das sich nicht unterwirft" (La France insoumise). Beide Le Pen und Mélenchon haben darauf geachtet, sich schon sehr früh mit den Gelbwesten zu verbinden.
Der Bürgermeister René Revol, der Mitglied der France insoumise ist, spricht von einer "echten Maskarade", Macron mache mit seinen Auftritten vor den Bürgermeistern Wahlkampf auf Staatskosten, zitiert ihn BMTV. Von Eric Ciotti, einem bekannten Vertreter der Republikaner, kommt eine ganz ähnliche Kritik. Ende Mai ist Europawahl.
Ob Macron die Tour de France, die er gerade unternimmt, viel hilft, um bei den Wahlen zum EU-Parlament gut abzuschneiden, ist unsicher, auch wenn sich seine Umfragewerte zuletzt leicht verbessert haben. Das Ziel, mit der nationalen Debatte, dem Protest der Gelben Westen das Wasser abzugraben, hat sich jedenfalls noch(?) nicht erfüllt.
Die große Debatte sollte die Aufmerksamkeit auf sich lenken und von dem "Akt 10" der Gelben Westen ablenken, hieß es aus der Umgebung Macrons. Mit über 200 Veranstaltungen in ganz Frankreich sollten die Gelben Westen in den Schatten gestellt werden.
Das Konzept der Regierung geht nicht auf
Das Konzept der Regierung ging wieder einmal nicht auf. 84.000 Demonstranten, etwa so viele wie eine Woche zuvor, sollen am vergangenen Samstag in ganz Frankreich am zehnten Akt der Gelben Westen teilgenommen haben, berichtet Le Monde, wo man sich bei Zahlenangaben an der amtlichen Linie, also bei konservativen Schätzungen, hält. Bei den Organisatoren geht man allein schon in Paris von 50.000 Teilnehmern aus.
Dabei stand Paris wie schon beim Wochenende zuvor nicht im Zentrum der Proteste. Vor einer Woche war es Bourges, diesmal Toulouse, wohin gerufen wurde. Es kamen laut Le Monde beachtliche 10.000 Demonstranten und es kam, wie so häufig, mit fortschreitender Zeit, gegen Abend hin, zu mehreren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei.
Dass die Organisatoren das Zentrum der Mobilisierungen erneut außerhalb von Paris verlegt haben, soll nicht nur zeigen, welche Unterstützung die Bewegung der Gelbwesten in ganz Frankreich hat, es ist auch deeskalierend gedacht. Man will die Konflikte mit der Polizei vermeiden; Paris mit seinem großen Polizeiaufgebot soll nicht mehr berüchtigter Hotspot sein, der es leicht macht, die Reputation der Gilets jaunes in Richtung Krawallmacher und Schläger, die politisch irrelevant sind, zu lenken.
Wie von Beobachtern anschaulich berichtet wird, haben sich die Gelbwesten für Paris eine eigene zweistufige Absicherung ausgedacht, um Gewaltausschreitungen zu vermeiden. Selbst bei Le Monde gibt es ein Lob dafür, dass der Demonstrationszug der Gelbwesten in Paris in Ruhe verlief, mit "Contenance" sozusagen. Hintergrund dafür ist die Annahme im Protestlager, dass die Regierung mit vielen Mitteln versuche, die Gelbwesten als Chaoten (franz. casseurs) darzustellen und entsprechend mit Polizeigewalt zu provozieren.
Der Verlauf der Demonstrationen am Samstag dürfte die Öffentlichkeit davon überzeugt haben - wenn sie es nicht ohnehin mehrheitlich schon war - dass die Darstellung Macrons und seiner Regierung, wonach die Gewalt einseitig von den Gelbwesten ausgehe, nicht richtig ist.
Ob Macron die französische Öffentlichkeit darüber hinaus davon überzeugen kann, dass die von ihm initiierte große Debatte eine derartige Verankerung und Reichweite in der Bevölkerung hat wie die Proteste der Gelben Westen, bleibt abzuwarten. Noch ist unklar, wie die Schnittmenge zwischen dem Protest und den Teilnehmern an der Debatte aussieht. Das wäre eine Brücke. Im Augenblick ist sie noch nicht zu erkennen.