Gelbwesten: Der Protest verlässt die Straße
Acte 21 zeigt Konstanz, aber auch deutlich weniger Mobilisierung. Der Widerstand gegen Macron verlagert sich auf die Wahl zum EU-Parlament
Sie sind noch da, aber es sind bedeutend weniger. Beim Acte 21, dem immerhin 21. Protestsamstag der Gelbwesten in Folge, war die große Puste raus. An keinem der Samstage zuvor wurden so wenig Gilets jaunes auf den Straßen in Frankreich wie am 6. April. Nach Zahlen des Innenministeriums waren es 22.300 gegenüber 33.700 in der Woche zuvor.
Die Angaben des Innenministeriums werden vom Protestlager stets als aus politischen Gründen untertrieben angefochten, denen eigene Zählungen gegenübergestellt werden. Diesmal sind es "mindestens 73. 420 Demonstranten" in der Schätzung von Le Nombre Jaune (Die gelbe Zahl). Wie immer liegt die Schätzung des Syndicat France Police - Policiers en colère mit 110.000 noch darüber.
Aber auch die beiden inoffiziellen Schätzungen zeigen einen Rückgang der Mobilisierung gegenüber dem letzten Samstag und den Actes zuvor (wobei das Syndicat der wütenden Polizisten den 23. März mit 90.000 zahlenmäßig als bisher schwächsten Protesttag registriert).
Das Image
In der größeren Berichterstattung, auch in Deutschland, bekommt der gestrige Protestsamstag die Prägung So wenige "Gelbwesten" wie nie zuvor. Teilnehmer, die einen anderen Blick auf die Dynamik und Vielfalt der Proteste haben als Nachrichtenagenturen und andere Außenstehende, werden wahrscheinlich auch gestern z.B. in der ansehnlich großen Demonstration mehrerer Tausend in Rouen, wohin gestern speziell aufgerufen wurde, und in den Demonstrationszügen in Paris ziemlich viel Leben entdeckt haben.
Tot ist die Bewegung nicht, aber die Regierung hat sie, was die öffentliche Wucht anbelangt, in den Griff bekommen. Das liegt, wie schon mehrmals angesprochen, daran, dass es gelungen ist, ein Bild der Gilets jaunes zu zeichnen, das stark von der Gewalt bestimmt ist und von Tendenzen, wie vorneweg der Antisemitismus, die die Proteste nicht aus ihrem Image entfernen konnte.
Der Protestbewegung, die sich in den samstäglichen actes zeigte, konnte sich dagegen nicht scharf genug abgrenzen; zumal, wie es sich zeigte, Gewalt von einigen auch als akzeptables Mittel empfunden wurde, um Aufmerksamkeit zu bekommen und politischen Druck aufzubauen.
Die Ordnungskräfte
Das Resultat war, dass die französische Regierung das Vorgehen der Sicherheitskräfte besonders in Paris veränderte - sogar die Armee wurde herangezogen. Das war allerdings nur die spektakuläre Maßnahme unter einigen anderen. Die aber so gut eingebettet war, dass sich daraus auch keine spektakulären Zwischenfälle ergaben, die den Gilets jaunes politische Bonuspunkte eingebracht hätten. Die Sicherheitskräfte waren taktisch sehr gut vorbereitet.
Wer sich die Bilddokumentationen zum Acte 21 in Rouen und Paris anschaut, bekommt den Eindruck, dass die unterschiedlichen Polizeigruppen, samt zivilen Einsatzkräften, mit ihrer Vorgehensweise nun sehr viel weniger zulassen (der noch ungeklärte Brand eines Hauses in Paris könnte die große Ausnahme sein).
Der Vorgehensweise der Ordnungskräfte kam dabei nicht zuletzt zugute, dass die Regierung die Demonstrationsgesetze ("Anti-Casseurs", gegen Randalierer) verschärft hatte, was ihr neue Möglichkeiten der Eindämmung der Demonstrationen bot. Dass der Conseil Constitutionel, in manchen Angelegenheiten ein Pendant zum Verfassungsgericht, dieser Tage einen wichtigen Passus der neuen Gesetze kassiert hat, spielte bei den Protesten am Samstag keine entscheidende Rolle in der öffentlichen Einschätzung.
Der öffentliche Blick richtet sich auf die Europawahlen
In der Berichterstattung zum gestrigen Samstag zeigt sich eine deutliche Veränderung: Man muss Berichte zum Acte 21 fast schon suchen. In vielen Fällen geben sich die Redaktionen größerer Medien mit kleinen Modifikationen und Ergänzungen einer AFP-Meldung zufrieden.
Der Blick der französischen Öffentlichkeit wird oder ist nun stärker auf die Europawahlen ausgerichtet, so der Eindruck. So konzentrierte sich wahrscheinlich nicht zufällig die Berichterstattung von Mediapart, wo man den Gelbwesten gegenüber aufgeschlossen ist, auf die "Versammlung der Versammlungen" (Assemblée des Assemblées) der Gilets jaunes, die sich seit Freitag bis zum Sonntag in Saint-Nazaire treffen, um dort über ihre politischen Ziele und ihr Selbstverständnis zu sprechen.
Gelbwesten-Versammlung gegen eine Idealisierung der EU
Thema der 300 Delegierten, von deren Diskussion Mediapart am Samstag berichtete, war die Demokratie und die EU-Wahl. Man beriet über eine Gegenkampagne zu den üblichen Wahlkampagnen, "die die EU idealisieren". Die Wahlen zum EU-Parlament seien eine Gelegenheit, um "pädagogisch" über die Dysfunktionen der EU aufzuklären, so der Mediapart-Bericht.
Allerdings ist man sich im Lager der Gelbwesten-Delegierten zwar einig darin, die "liberalen EU-Verträge" abzulehnen, aber gespalten in der Meinung über einen Austritt aus der EU. Mitglieder einer Partei (gemeint sein könnte Le Pens Partei RN, früher FN, aber auch die nahestende Partei Debout la France, der Bericht lässt das offen), die einen Frexit unterstützen, sollen laut Mediapart (wo man wenig Sympathie für die politische Rechte hat und schon gar nicht für Le Pen und deren Anhänger) auf Ablehnung gestoßen sein. Deren Brot wolle man nicht schmieren.
Der Wahlkampf der Regierung
Kommende Woche steht die Präsentation der Regierungsreaktion auf die Große Debatte an. Erst wird Premierminister Edouard Philippe Schlüsse aus der landesweiten Debatte vorstellen oder andeuten - nicht untypisch ist, dass sich die Regierung in Paris dabei auf eine Synthese von Meinungsforschungsinstituten (OpinionWay) und Unternehmensberater (Cabinets Roland Berger) stützt.
Das letzte, gültige Wort dazu hat dann Präsident Macron. Dessen Ankündigung politischer Konsequenzen ist "für Mitte April" angekündigt. Sicher sein kann man sich darüber, dass dieser Akt, wie schon Macrons Einsatz während der Großen Debatte, völlig im Zeichen des Wahlkampfs für die Wahl des EU-Parlaments ist. Für Macron ist die Wahl eine politisch sehr wichtige Messlatte.
Am Ende der Straße
Der Mobilisierungsfaktor für die Straße, auf den nun hier und da gehofft wird, ist der 1. Mai. Gut möglich, dass da noch einmal viele aufmarschieren - und Krach machen. Davon abgesehen scheint es aber so, als ob sich das politische Gewicht verlagert hat.
Die Demonstrationen der Gelbwesten hatten zuletzt auch keine mehrheitliche Unterstützung mehr in den Umfragen. Auch wenn solche Barometer nur eine relative Aussagekraft haben, so spielen sie doch in den Medien und dadurch in der öffentlichen Meinungsbildung eine Rolle; sie werden in privaten Gespräche mithineingetragen.
Dazu kommt, dass die beiden Organisatoren der Gilet-jaunes-Demonstrationen, die als Vermittler in der Öffentlichkeit Prominenz erlangten, Eric Drouet und Maxime Nicolle, nicht den Eindruck machten, als ob sie politisch tragfähige Konzepte oder das Format hätten, um es mit der etablierten Macht aufnehmen zu können.
Sie zeichneten sich eher mit ihrem Gespür für eine Gegenöffentlichkeit aus, wobei sie wiederholt Irritierendes zum Besten gaben. Mehr Hoffnung wurde zuletzt in den Anwalt François Boulot gesetzt, der in seinen Äußerungen reflektierter vorgeht und mehr Weitblick vermuten lässt.