Geld für Tschernobyl

Zwar wurden auf einer Geberkonferenz 550 Millionen Euro für einen neuen Sarkophag zugesagt, aber das wird nicht reichen

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Über mangelnde Aufmerksamkeit konnte sich Tschernobyl in den letzten Wochen nicht beklagen. Reportagen aus dem Sperrgebiet und Berichte über das Schicksal der noch lebenden Liquidatoren waren in der hiesigen Presse quasi an der Tagesordnung, was vor allem dem Reaktorunglück von Fukushima geschuldet war. Wiederholt verglich man die prekäre Lage in Japan mit der Katastrophe von Tschernobyl, die als Beispiel diente für das, was Nippon drohen könnte, falls es auch in Fukushima zu einer totalen Kernschmelze kommen sollte. Ein Horrorszenario, das derzeit angeblich sehr gering ist, wie die japanische Regierung behauptet.

Der zerstörte Block 4 von Tschernobyl. Bild: chnpp.gov.ua

Tschernobyl rückte aber nicht nur wegen Fukushima erneut in den Fokus des öffentlichen Interesses. Am 26. April wird der 25. Jahrestag des ersten Supergaus begangen, unter dessen Spätfolgen nicht nur die Bevölkerung in der Ukraine, Weißrussland und Russland zu leiden hat. Laut einer aktualisierten Studie des IPPNW Deutschland und der Gesellschaft für Strahlenschutz sollen europaweit über 600 Millionen Menschen gesundheitlich von dem Tschernobylunglück betroffen sein. Aber über die Zahlen der Betroffenen gibt es keine Einigkeit.

25 Jahre nach dem Unglück sind aber nicht nur die gesundheitlichen Spätfolgen besorgniserregend. Auch der Zustand des Sarkophags, der bereits 1986 um den Unglücksreaktor errichtet wurde, stimmt alles andere als optimistisch. Die Witterung und die Dauerbestrahlung haben die Betonwände mittlerweile so mürbe gemacht, dass Fachleute vor einem Einbruch der Schutzhülle warnen. Und dies wäre nach Meinung vieler Experten nach dem Supergau von 1986 eine weitere Katastrophe, da im Inneren des Unglücksreaktors ein hochradioaktiv verstrahltes Gemisch aus Asche und Lava lagert. Würde es in Verbindung mit Wasser kommen, könnte es das Grundwasser verseuchen. Durch einen Einsturz könnte radioaktiver Staub die Umgebung ein weiteres Mal verseuchen. Das konnte 2008 vermieden werden, nachdem Ingenieure die Westwand des Sarkophags, die sich um ca. 50 Zentimeter neigte und zu kollabieren drohte, durch Metalltürme stabilisiert hatten.

Pläne für einen neuen Sarkophag sind nicht neu. 2007 erhielt das französische Konsortium Novarka, an dem auch das deutsche Unternehmen Hochtief beteiligt ist, den Zuschlag für denn Bau einer neuen Schutzhülle, die man durchaus als gigantisch bezeichnen kann. 260 Meter breit und 110 Meter hoch soll die Hülle werden, deren Stahlwände bis zu 12 Meter dick werden sollen. Zudem soll der neue Sarkophag, der 100 Jahre halten soll, außerhalb des Reaktorunglücks erbaut werden. Erst nach seiner Fertigstellung soll er auf Schienen über die alte Schutzhülle geschoben werden, die dann mitsamt der kontaminierten Teile und dem bei der Explosion verteilten Kernbrennstoff entsorgt werden soll.

Sarkophag an der Südseite. Bild: Bild: chnpp.gov.ua

Wo dieser hochradioaktiv verstrahlte Müll jedoch gelagert werden soll ,ist ebenso ungeklärt wie die Finanzierung des Bauprojekts. "Wir machen uns Sorgen, dass das Unglück von Tschernobyl in Vergessenheit gerät und die Zahlungsbereitschaft sinkt", sagte im vergangenen Jahr Vince Novak, Direktor für nukleare Sicherheit bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die die Tschernobylprojekte koordiniert und finanziert. "Wir kalkulieren inzwischen mit Kosten von mehr als einer Milliarden Euro", sagte Novak damals weiter, der nicht davon ausging, dass die 864 Millionen Euro, die bis dahin von den Geberstaaten bei der Bank eingegangen sind, ausreichen dürften, um alle Pläne zu realisieren.

Die Hiobsbotschaften wurden durch die finanziell dramatische Lage der Ukraine, auf dessen Staatsterritorium sich Tschernobyl befindet, bekräftigt. Allein für dieses Jahr schätzte die ukrainische Regierung die Kosten für Erhaltung des bisherigen Tschernobylsarkophags auf 125 Millionen Euro. Geld, was die durch die weltweite Wirtschaftskrise besonders schwer getroffene ehemalige Sowjetrepublik in ihren Kassen jedoch nicht hat. Gerade mal die Hälfte der Summe sah die ukrainische Regierung in ihrem diesjährigen Staatshaushalt für Tschernobyl vor.

Finanzielle Hilfe kommt jetzt aus dem Ausland. Bei einer gestern stattgefundenen Geberkonferenz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, an der insgesamt 50 Staaten teilnahmen, wurden Hilfen von 550 Millionen Euro zugesichert. Als einen "Durchbruch" bezeichnete der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch das Ergebnis des Treffens und bedankte sich auch bei den Staaten, die aufgrund finanzieller Sorgen keine genauen Summen zusagen wollten bzw. konnten. Als Geber hervorgetan haben sich mit 110 Millionen Euro die Europäische Kommission, die USA (87 Millionen), Frankreich (47 Millionen), Russland (45 Millionen) und Deutschland (42 Millionen). Auch die Ukraine hat trotz leerer Kassen mit 29 Millionen eine respektable Summe beigetragen.

Ob die nun zugesagten 550 Millionen Euro ausreichen, den neuen Sarkophag bis 2015 zu errichten, wie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung hofft, ist jedoch fraglich. Eigentlich wollte die Ukraine bei der Geberkonferenz 740 Millionen Euro zugesagt bekommen. Doch selbst diese Summe ist nach Meinung von Experten nicht ausreichend, die die Gesamtkosten auf 1.6 Milliarden Euro schätzen.

Kritik gibt es aber nicht nur an der Finanzierung, sondern auch an dem geplanten Sarkophag. Als ein Provisorium bezeichnet Greenpeace die neue Schutzhülle und fordert von der Staatengemeinschaft andere Konsequenzen gegenüber der Ukraine. "Die Vorlage eines Konzepts zur Bergung und Verwahrung des hochradioaktiven Brennstoffs aus dem Reaktor sowie der Verzicht auf den weiteren Ausbau der Atomkraft in der Ukraine müssen Grundbedingungen für weitere Zahlungen sein", erklärte gestern der Atomexperte der Organisation, Tobias Münchmeyer. Doch daran haben die westlichen Staaten kein wirtschaftliches Interesse. Die Ukraine, wie alle osteuropäischen Staaten, baut auch nach Fukushima ihren Atomkraftsektor aus ("Atomkraft ist Zivilisation"). Zusätzlich finanziert die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung für knapp eine Milliarde Euro den Bau neuer Hochspannungsleitungen, mit denen ukrainischer Atomstrom in die EU exportiert werden soll.