Gemeinsam gegen Rothschild?
Seite 2: Verkürzte Kapitalismuskritik
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Und tatsächlich hat Hänsel hier recht. Das Scharnier, das die neurechten Montagsdemos mit Teilen der Linken verbindet, bildet eine verkürzte Kapitalismuskritik, die alle negativen, verheerenden Folgen kapitalistischer Vergesellschaftung auf das verwerfliche Treiben einer Gruppe von Bösewichtern zurückführt - und die die systemimmanenten Widersprüche, die der kapitalistischen Wirtschaftsweise notwendig innewohnen, konsequent ausblendet. Anstatt sich über das "jüdische Kapital" und die "Federal Reserve Bank in den USA" zu echauffieren, müssten die Montagsdemonstranten einfach die Interessen der USA und die Machenschaften der CIA nachvollziehen, um Krisenursachen etwa in der Ukraine zu begeifern:
Warum etwa die USA jahrelang ukrainische Nichtregierungsorganisationen finanziert haben, wie die CIA agiert und die EU mit viel Geld versucht, dort die öffentliche Meinung zu dominieren.
Damit stehen diese "Linken" in der Linkspartei bereits auf ein und derselben schiefen, nach rechts abfallenden Ebene wie viele Montagsdemonstranten. Es geht nur noch darum, die Schuldigen für die Krisen und Kriege zu benennen, während die aus den eskalierenden Systemwidersprüchen resultierende Krisendynamik, die ja den eigentlichen Motor der beständig um sich geifernden Krisen bilden, ausgeblendet bleibt.
Nirgends lässt sich dies besser illustrieren als anhand eben der Ukraine, die schon vor Krisenausbruch in einer schweren Wirtschaftskrise versank und schon auf dem Weg zu einem gescheiterten Staat war (Der gescheiterte Staat von nebenan). Selbstverständlich haben Vorfeldorganisationen westlicher Außenpolitik und deren Geheimdienste in der Ukraine interveniert - und diese Interventionen haben auch einen verschwörerischen Charakter gehabt. Doch es war die verzweifelte Wirtschaftslage und innere krisenbedingte Zerrüttung des ukrainischen Staatsapparates, die diese westliche Intervention überhaupt erst "erfolgreich" machte. Und es ist die Weltkrise des Kapitalverhältnisses, das an seiner Produktivität erstickt, die den hoffnungslos überschuldeten "Westen" überhaupt dazu verleitet, solch aggressive und ungemein riskante geopolitische Abenteuer überhaupt erst zu wagen.
Der Kapitalismus ist durch die subjektlose Herrschaft des marktvermittelten Prinzips der Kapitalverwertung gekennzeichnet. Einzelne Akteure - selbst die mächtigsten Politiker, Banker und Kapitalisten - fungieren nur als Vertreter ihrer ökonomischen oder politischen Funktion. Eine Überwindung der Krise und der durch diese Krise hervorgebrachten Kriege wäre somit nur durch die Überwindung des Prinzips der Kapitalverwertung - der hierdurch konstituierten Wertvergesellschaftung - möglich.
Der Verschwörungstheoretiker aber sieht die Schuldigen für die Krisen und Krise hingegen bei den "Charaktermasken" (Marx), die dieses System fabriziert. Abhängig von den eigenen Präferenzen und Dispositionen werden sie dann bei der Fed, den Rothschilds oder gleich in einer im totalen Fieberwahn halluzinierten jüdischen Weltverschwörung ausgemacht.
Diese Schuldigen werden somit - bei vielen Montagsdemonstranten wie auch vielen Politikern der Linken - vorzugsweise in der Finanzsphäre ausgemacht. Die einseitige Kritik der Banken und der Finanzsphäre, die mit ihrer "Gier" die schöne Marktwirtschaft in den Ruin getrieben haben sollen, bildet somit einen weiteren Anknüpfungspunkt zwischen dieser "traditionellen" Linken und der neuen Rechten, die angeblich keine mehr sein will. Die Banken und die Finanzsphäre, die mit ihrer Kreditvergabe und Schuldenproduktion ein hyperproduktives, an der eigenen Produktivität erstickendes spätkapitalistisches System überhaupt noch aufrechterhalten, werden zu den Verursachern der Krise gestempelt. Die Ursachen der Krise, die in den Widersprüchen kapitalistischer Warenproduktion zu verorten sind (Die Krise kurz erklärt), werden so überblendet von der Wut auf die gierigen Banker und das Finanzkapital, das schon die Nazis als "parasitär" und "jüdisch" imaginierten.
Die von den Nazis ersonnene Unterscheidung zwischen dem "guten" Produktionskapital und dem "bösen" Finanzkapital, die gerade viele "Finanzmarktkritiker" in der Linkspartei implizit teilen, ermöglich eine Annäherung über die politischen Lager hinweg. Auch hier mögen sich viele Linke einbilden, dass man den Montagsdemonstranten nur ihre Obsession mit dem Bankhaus Rothschild austreiben müsse, um sie auf den "richtigen" Weg seriöser Finanzmarktkritik zu führen. In Wahrheit wird es sich wohl umgekehrt verhalten - die einseitige Bankenkritik stellt oftmals den ersten Schritt zum Abdriften vieler Linker dar.
Ein Paradebeispiel für diesen schiefen Weg nach Rechts stellt gerade der ehemalige Linke Jürgen Elsässer dar, der kurz vor seinem Abdriften in die rechte Szene sich in überschäumender Finanzmarktkritik und immer neuen Verschwörungstheorien übte. Es ist zudem kein Wunder, dass die auf Bankenkritik spezialisierte Sahra Wagenknecht auch mal lobende Worte für das Programm der Alternative für Deutschland finden kann, die laut der ehemaligen Frontfrau der "Kommunistischen Plattform" der PDS "in vielen Punkten recht" haben solle.
Das Elend des linken Populismus
Einen weiteren Impuls, der zur Ausbildung von Querfronttendenzen innerhalb der Linken beiträgt, stellt der linke Populismus dar, den vor allem Oskar Lafontaine in diese Partei getragen hat. Der Populismus bemühe sich, "die Bevölkerung zu verstehen", er schaue den Menschen "aufs Maul", erläuterte Lafontaine.
Der Populist sieht sich somit als der Erfüllungsgehilfe "des Volkes", der den Volkswillen artikuliert und zur Geltung bringt. Der Denkfehler dieses "populistischen" Politikverständnisses dabei ist offensichtlich. Hierbei wird ja unterstellt, dass die Bevölkerung ihren Standpunkt und ihren Willen frei, in einem gleichberechtigten Diskurs artikulieren kann, der ohne ideologische Verzerrungen wäre. Die Weisheit liege im Volke - dies könnte man als die Maxime des Populismus bezeichnen.
Ausgeblendet wird dabei die diskursformende Macht der Massenmedien, der von der Kulturindustrie formierte "Verblendungszusammenhang" (Adorno), der Stimmungen und Meinungen nahezu nach Belieben formen kann. Ohne eine egalitäre Medienstruktur kann sich kaum ein freier Diskurs entwickeln. Der "Stammtisch", dem der Populist "aufs Maul schauen" möchte, kaut nur das wieder, was ihm der Medienmainstream vorgesetzt hat. Ein Beispiel: Bei der Etablierung von Volksbefragungen in der Bundesrepublik würde wohl eine Kampagne des Springerkonzerns ausreichen, um - etwa nach einem skandalisierten brutalen Kindsmord - die Einführung der Todesstrafe durchzusetzen.
Deswegen scheitert der linke Populismus auch immer wieder an seinen eigenen Mitteln, die den Zielen der Linken (Emanzipation und Aufklärung der Menschen über ihre sozialen Verhältnisse) zuwiderlaufen, wie nicht nur an der berüchtigten "Fremdarbeiterrede" Lafontaines deutlich wird. Der rechte Populismus, der auf ein Bekräftigen der bereits vorhandenen Ressentiments abzielt, funktioniert hingegen einwandfrei. Wie anschlussfähig aneinander Rechts- und Linkspopulismus aufgrund derselben Prämissen sind, hat Oskar Lafontaine zusammen mit dem CSU-Renegaten Peter Gauweiler bei einer gemeinsamen kameradschaftlichen Veranstaltung im Sommer 2009 unter Beweis gestellt. Bei einem "skurrilen Wahlkampfauftritt" hätten sich Lafontaine und Gauweiler die Bälle zugespielt und links und rechts durcheinandergewirbelt, resümierte Spiegel Online.
Dabei ist es kein Zufall, dass die Krise in der Ukraine und die damit einhergehende erneute geopolitische Konfrontation zwischen dem Westen und Russland zum Katalysator dieser Querfronttendenzen wurden. Russland stellt den einzigen nennenswerten Machtfaktor dar, der den Durchmarsch der extremen ukrainischen Rechten behindert. Insofern sind die Sympathien vieler Linker für die prorussischen Kräfte in der Ukraine nachvollziehbar.
Für die Rechten hingegen ist es gerade der autoritäre und reaktionäre Charakter des russischen Staates - etwa die schwulenfeindliche Gesetzgebung des Kreml -, der anziehend wirkt. In Moskau sehen so viele Rechte, wie etwa Jürgen Elsässer, das autoritäre Gegenmodell zum degenerierten und von "Gender Mainstream" verwüsteten Westen. Diese Koinzidenz rechter und linker der Standpunkte zur Ukraine-Krise, bei der sich reaktionäre Wunschträume mit antifaschistischem Kalkül überschneiden, brachte erst eine Konstellation hervor, bei der Linke und Rechte auf den gleichen Demos auflaufen können.
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