Gemeinsam gegen Rothschild?

Seite 3: Querfront voll im Trend der Zeit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Diese Tendenzen zur Ausbildung einer Querfront, in der die fundamentalen, seit der französischen Revolution etablierten Unterschiede zwischen linker und rechter Politik verschwinden sollen, stellen aber auch ein Symptom tief greifender gesamtgesellschaftlicher Umwälzungen dar, die objektiv zur Erosion des politischen Koordinatensystems in seiner "traditionellen" Form beitragen.

Zum einen sind da die Verheerungen der Kulturindustrie zu nennen, die inzwischen zu einem Rückzug der Schriftkultur und zur Dominanz des bewegten Bildes und der Symbolik (Fernsehen, Kino, Netz 2.0) in der gesellschaftlichen Kommunikation geführt haben. Die Symbolproduktion ersetzt die Begriffsbildung, ein Zug zum Archaischen macht sich breit, während Wörter zu leeren Sprachhülsen verkommen, die je nach Interessenslage von PR-Agenturen modelliert und mit passenden Bedeutungen aufgeladen werden - man denke nur an die Wandlungen des Begriffs "Reform" in den vergangenen Jahrzehnten! "Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein." Diese teuflische Eingebung Mephistos hat die Kulturindustrie zu längst ihrer Maxime erhoben.

Die Auflösung der Begriffe, des in einem sozialen Prozess geknüpften Bandes zwischen Wort und Begriff, bringt eine Generation hervor, die kaum noch zur Begriffsbildung fähig ist. Viele Montagsdemonstranten "nervt" die Unterscheidung zwischen "Links" und "Rechts" nur noch, sie erscheint ihnen willkürlich, sie können diese Wörter nicht mehr mit einem Realitätsgehalt aufladen, weil sie nach jahrelangem kulturindustriellen Dauerbombardement gewohnt sind, Wörter nur noch als hohle "Images" wahrzunehmen - als leere Hülsen, als Symbole, die in PR-Kampagnen nach (Markt-) Bedarf modelliert werden.

Der "traditionellen" Linken sind ihre historischen Bezugspunkte und ihr politisches Koordinatensystem abhandengekommen

Der im Spätkapitalismus voranschreitenden Auflösung der Schriftkultur korrespondiert ein krisenbedingter Umbruch des politischen Überbaus, der tatsächlich eine Neubestimmung dessen notwendig machen würde, was linke oder rechte Politik sei. Der "traditionellen" Linken sind ihre historischen Bezugspunkte und ihr politisches Koordinatensystem abhandengekommen. Beim traditionellen linken Projekt der Emanzipation/Befreiung des Menschen galt das Proletariat, galt die Arbeiterklasse als das tragende Subjekt, während die Marxsche Geschichtsphilosophie (Historischer Materialismus) den Emanzipationsprozess zu einer historischen Notwendigkeit verklärte. Die antikapitalistische Linke sah sich somit als die progressive, vorwärtsschreitende Vertreterin der Interessen der Arbeiterklasse, während die - reaktionäre, rückwärtsgewandte - Rechte mit den Interessen des Kapitals assoziiert wurde.

Mit der Einbindung der Arbeiterklasse in die kapitalistische Arbeitsgesellschaft, die spätestens in dem Nachkriegsboom abgeschlossen wurde, ging aber der Linken ihr "revolutionäres Subjekt" verloren. Die Arbeiterklasse, die doch eigentlich die Revolution machen sollte, erfuhr nicht nur eine vollständige rechtliche Gleichstellung, sie wurde von einem Prozess der Erosion ergriffen, bei dem das Industrieproletariat aufgrund fortgesetzter Rationalisierung der Warenproduktion immer weiter abschmolz - bis es nur noch einen kleinen Teil der Lohnabhängigen umfasste.

Zudem wurde spätestens mit dem Zusammenbruch des real existierenden Staatssozialismus das progressive Selbstverständnis der Linken - der Glaube an eine gesetzmäßige Aufhebung des Kapitalismus - erschüttert. Der blinde Zukunftsglaube ist illusorisch. In die Zukunft blickend können die Menschen realistischerweise keine sozialen Verbesserungen, sondern Verschlechterungen erwarten. Eigentlich befinden sich schon seit der neoliberalen Wende in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts alle sozialen und zivilisatorischen Errungenschaften, die dem Kapitalismus von der antikapitalistischen wie sozialdemokratischen Linken abgetrotzt wurden, unter Dauerbeschuss.

Diese Erschütterungen brachten eine orientierungslose und "konservativ" ausgerichtete Restlinke hervor, die in Abwehrkämpfen soziale Errungenschaften zu verteidigen versucht, die alten, von der gesellschaftlichen Entwicklung längst widerlegten "Wahrheiten" mit einer an religiöse Dogmen erinnernden Inbrunst verteidigt - und die in der Rückkehr zu vergangenen Gesellschaftszuständen ("Rheinischer Kapitalismus") und Politikrezepten (wie dem Neokeynesianismus) ein Gegenmittel zur derzeitigen Krise zu finden glaubt. Etliche Linke-Politiker sehen beispielsweise in der Rückkehr zum Nationalstaat den geeigneten Weg aus der Eurokrise, womit sie auch bei Rechten auf offene Ohren stoßen. Der sozialen Massenbasis, des "revolutionären Subjekts" beraubt, sind nun einige Linke offensichtlich bereit, auch im Trüben nach neuen "Massen" zu fischen.

Dabei hat die mit dem Kapitalismus entstehende Zweiteilung des politischen Spektrums in linke und rechte Kräfte immer noch ihre Daseinsberechtigung, die wohl erst mit dem Kapitalismus erlöschen würde. Abstrakt betrachtet strebt die Linke nach einer Verringerung des menschlichen Leidens, das die kapitalistische Vergesellschaftung durch ihre monströsen Widersprüche mit sich bringt. Die radikale Konsequenz dieses Strebens ist der Kampf um Befreiung und Emanzipation. Die Rechte betreibt eine Vergötterung und Legitimierung des Leidens, das die Individuen in der gegebenen Gesellschaftsformation erfahren. Entweder wird dieses Leiden religiös legitimiert oder - wie gegenwärtig - durch Rückgriff auf Sachzwänge und eine manische Sündenbocksuche. Die letzte Konsequenz rechter Politik stellt die Unterwerfung unter das Bestehende dar.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.