Gemeinsam gegen Russland
Im Kaukasus stand Moskau einer breiten Allianz von US-Militärberatern bis hin zu baltischen Freiwilligen gegenüber. Auch der diplomatische Druck wächst
Zunächst klang es nach der üblichen Kriegspropaganda. Genau eine Woche nach dem Angriff der georgischen Armee auf die abtrünnige Region Südossetien trat deren politischer Vertreter Eduard Kokoity vor die Presse, um andere Staaten der Region einer direkten Beteiligung an dem Waffengang zu bezichtigen. "Es gab dort Söldner aus der Ukraine und den baltischen Staaten", sagte der pro-russische Politiker. Auch habe man die Leichen von US-Amerikanern gefunden. Belege hat Kokoity zwar bislang nicht geliefert. Trotzdem ist inzwischen klar, dass die georgische Armee von den USA und aus den baltischen Staaten unterstützt wurde.
Unbestrittenen ist die Hilfestellung für Georgien aus Washington. Am dritten Tag der Auseinandersetzung mit Russland flog die US-Armee nach übereinstimmenden Angaben von Nachrichtenagenturen mindestens 800 georgische Elitesoldaten aus dem irakischen Kriegsgebiet in den Kaukasus. Mit acht Transportflügen seien je 100 Soldaten aus dem Irak ausgeflogen wurden, berichtete Generaloberst Anatoli Nogowizin, der Vizechef des russischen Generalstabs, der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti am 11. August.
Gegenüber der US-Agentur AP bestätigte ein nicht genannter US-Militär den Truppentransport am gleichen Tag. Man habe die Russen zuvor darüber informiert, um "Unfälle" (mishaps) zu vermeiden, schrieb AP-Reporter David Nowak. In Washington ging man mit dem Thema nicht ohne Grund sensibel um: Die Hilfestellung für Georgien hätte von Russland ohne weiteres als feindlicher Akt interpretiert werden können. Indirekt wurde es das auch: Der russische Generalstab begegnete der Verlegung der georgischen Truppen aus dem Irak in das kaukasische Kriegsgebiet unmittelbar mit der Entsendung der 58. Armee. Sie solle "die Friedenstruppen verstärken, um das Kräftegleichgewicht wieder herzustellen", hieß es aus Moskau.
Ministerpräsident Wladimir Putin kritisierte die Entscheidung der USA indes offen: "Saddam Hussein hatte hängen müssen, weil er mehrere schiitische Dörfer zerstört hat", sagte Putin in Moskau: "Aber die amtierenden Führer in Georgien, die zehn ossetische Dörfer auf einmal ausgelöscht haben, die alte Leute und Kinder mit Panzern überrollt und Zivilisten bei lebendigem Leibe verbrannt haben - diese Führer müssen nun beschützt werden".
Russland: Söldner aus Ukraine und Baltikum
Angesichts des Überraschungsangriffs Georgiens auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali war schon zuvor die Präsenz US-amerikanischer Militärberater in Georgien auf harsche Kritik gestoßen. Die russische Regierung und verschiedene Beobachter beziffern die Zahl der offiziell entsandten Ausbilder aus den USA auf bis zu Eintausend. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums beläuft sie sich auf 100 bis 130. Diese Größenordnung wurde am 11. August im Rahmen der US-amerikanischen Evakuierungsmaßnahmen genannt.
Für Schlagzeilen in Russland sorgte aber auch der mutmaßliche Einsatz ausländischer Kämpfer auf georgischer Seite. Die Tageszeitung Kommersant berichtete nach Ausbruch des Fünf-Tage-Krieges von 2500 bis 3000 Kämpfern "aus der Ukraine und baltischen Staaten". Bekräftigt wurden entsprechende Meldungen nicht nur von den politischen Führungen der von Georgien abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien. Auch der russische Gesandte in Zchinwali, Dmitri Medojew, bestätigte die Anschuldigungen: "Bei dem Angriff wurden die vorrückenden Panzer mutmaßlich von ukrainischen Besatzungen geführt", sagte der Vertreter Moskaus.
Nicht nur diese Anschuldigungen trugen zu den wachsenden Spannungen zwischen Moskau und Kiew bei. Der russische Gesandte bei der NATO, Dmitri Rogozin, beschuldigte die Ukrainer, die georgischen Truppen zu unterstützen. Bei der Einnahme der Stadt Senaki in Georgien hätten russische Geheimdienstmitarbeiter mehrere ukrainische Diplomatennummernschilder gefunden, sagte Rogozin bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Nach Angaben des Militärs Nogowizin wurden mehrere Autos mit ukrainischen Diplomatenkennzeichen auch in der Region Abchasien gesichtet. "Diese Fahrzeuge könnten Waffen transportieren", sagte er.
Estlands Reservistenverband mobilisiert
Während über die Anzahl und die Arbeit der US-amerikanischen Militärberater in Georgien kaum Informationen vorliegen und sich die russischen Meldungen über Söldner aus anderen Regionalstaaten eher auf der Gerüchteebene bewegen, ist die Mobilisierung Freiwilliger aus Estland dokumentiert.
Am 9. August, einen Tag nach dem georgischen Angriff auf Südossetien, kursierte in Tallinn über E-Mails und Mailinglisten ein Aufruf zur Entsendung freiwilliger Kämpfer nach Georgien. Im Umlauf gesetzt wurde er von dem Vorsitzenden der Vereinigung der Reserveoffiziere (EROK), Priit Heinslau. Die Volontäre sollten ihre estnischen Uniformen mitnehmen und sich auf dem Einsatz im Kriegsgebiet vorbereiten, hieß es in dem Rundschreiben. Man hoffe, mit einem Charterflug der Regierung in die armenische Hauptstadt Eriwan zu gelangen, um von dort aus weiter nach Georgien zu reisen.
Als die Initiative publik wurde, sah sich die Regierung gezwungen, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen. Auch wurde den Freiwilligen verboten, die estnische Uniform zu tragen. Trotzdem unterstützte der ehemalige Diplomat und jetzige Leiter des Laidoner-Museums, Indrek Tarand, die Mission weiter. Der Sohn des sozialdemokratischen EU-Abgeordneten Andres Tarand begleitete die Milizionäre trotz der Distanzierung der Regierung zum Flughafen.
So reisten am Ende mehrere Dutzend estnische Freiwillige in das Kriegsgebiet - eine bunt gemischte Truppe aus Lehrern, Journalisten und einem Model. Vor Ort ließen sie sich mit georgischen Uniformen ablichten und wurden für "humanitäre Arbeiten" abgestellt. Für die Initiatoren ging die ganze Aktion zwar nach hinten los - Heinslau musste aufgrund der kritischen Berichterstattung im eigenen Land inzwischen den Vorsitz des Reservistenverbandes abgeben -, doch macht die Anekdote die Ablehnung Russlands in den baltischen und einigen kaukasischen Staaten deutlich. "Die Regierung Estlands nutzt dieses Feindbild, um von der zunehmenden Wirtschaftskrise abzulenken", meint Malle Salupere, die Vizevorsitzende der estnischen Linkspartei: "In Estland sind die Russen nach wie vor die Hauptfeinde." Nicht nur in Moskau dürfte die Mobilisierung Freiwilliger in Tallinn daher Aufmerksam verfolgt worden sein.
Baltische Staaten: Beziehung zu Russland überdenken
Auch nach dem Krieg drängen die pro-westlichen Staaten der Region auf die Stationierung ausländischer Militärs im georgischen Krisengebiet. Nach einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) plädieren die Staatschefs der Ukraine, von Polen und Litauen für die Stationierung von EU-Verbänden in Georgien. Einen entsprechenden Vorschlag habe der polnische Präsident Lech Kaszynski bereits zu Beginn der Krise seinem französischen Amtskollegen und amtierenden EU-Ratsvorsitzenden Nicolas Sarkozy gemacht. "Der erste Schritt ist eine Waffenruhe und ein Waffenstillstandsabkommen", sagte ein Berater des polnischen Präsidenten, Piotr Kownacki, in einem Radiointerview. Die Initiative für eine Stationierung von Truppenverbänden der Europäischen Union sei von dem ukrainischen Präsidenten Victor Juschtschenko vorgebracht worden.
Das interne Protokoll einer Sitzung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten, dem entscheidenden außenpolitischen Gremium der EU, bestätigt die Haltung der Regionalstaaten. Besonders die baltischen Länder hätten bei der Zusammenkunft am 13. August gefordert, die EU müsse ihre Beziehungen zu Russland überdenken. Es dürfe nun kein "business as usual" geben. Diese entsprechende Position werde auf dem nächsten Treffen zwischen der EU und Russland am 5. und 6. September im französischen Avignon vertreten, heißt es in dem Papier, das Telepolis vorliegt.
Vor einer Sondersitzung des Außenpolitischen Komitees der EU am heutigen Mittwoch kursierte in Brüssel ein weiteres Dokument des polnischen Abgeordneten Jacek Saryusz-Wolski und des deutschen Christdemokraten Karl von Wogau. "Der Europäische Rat muss nun energische Maßnahmen ergreifen, um diesen Konflikt zu beenden", heißt es in dem einseitigen Papier. Die Lösung könne nur in dem "Rückzug der russischen Truppen von georgischem Territorium und der Aussetzung des Bombardements" bestehen, "das großes Leid unter der Zivilbevölkerung verursacht hat". Von dem georgischen Blitzangriff auf Südossetien, bei dem unbestätigten Angaben zufolge bis zu 2000 Menschen starben, ist keine Rede.