Gemeinsam zum Wohl
Die Gemeinwohlökonomie-Bewegung in Österreich will ihre Initiative wirtschaftswissenschaftlich untermauern
Ein Gespenst geht um in Österreich. Jenes der Gemeinwohlökonomie (GWÖ). Der Autor, Hochschullehrer und im ersten Beruf zeitgenössische Tänzer Christian Felber initiierte die GWÖ-Bewegung im Jahr 2010 mit der Gründung eines Vereins. Er versucht in möglichst großer Breite gesellschaftliche Bewegungen zusammenzuführen, denen eine Sorge um die sozialen und ökologischen Folgen heutigen Wirtschaftens gemeinsam ist, und er bedient sich dabei einer Fülle von Ansätzen der Wachstumskritik.
Den dabei auftauchenden nicht gerade geringen Problemen will man jetzt mit viel wirtschaftswissenschaftlicher Expertise begegnen. Anfänglich erlaubte sich die GWÖ-Initiative gewisse "radikale" Töne, indem sie wagte zu fragen, warum in demokratischen Abstimmungsprozessen die bestehenden Besitzverhältnisse meist unangetastet bleiben und sich folglich gegen unfaire Verteilung kaum etwas tun lässt. Dies wurde Felber von manchen Kommentatoren nicht verziehen und sie sahen die Vorboten "kommunistischen Enteignungsterrors" oder eines "Räteregimes".
Am 19.2.2019 fand in Wien eine Pressekonferenz zum Auftakt der Konferenz "Gemeinwohlökonomie als Thema der Wissenschaft" statt, innerhalb der sich die Gemeinwohlökonomie-Bewegung um eine Verwissenschaftlichung ihrer Initiative bemüht.
Bei der Berichterstattung über die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) darf das Publikum innerlich die Sekunden mitzählen: "21, 22, 23, Gulag." Wie bei einer Auktion kann man in die Runde fragen: "Höre ich irgendwo Stalin? - Ja, dort hinten bietet die Industriellenvereinigung uns den ersten 'stalinistischen Terror' an und von der Wirtschaftskammer hören wir gleichzeitig 'Nordkorea'."
Es dauert erfahrungsgemäß somit keine dreißig Sekunden, bis bei der Diskussion um die Gemeinwohlökonomie alle Klischees kommunistischen Terrors auf dem Tisch sind. Während der mögliche innere Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus, der durchaus bereits wissenschaftlich und intellektuell erforscht und begründet wurde, gerne rundweg geleugnet wird und man sich hier jeden Vergleich verbittet, darf anscheinend über linke und emanzipatorische Projekte hergezogen werden, dass es nur so raucht.
Die Berichterstattung über Christian Felbers Gemeinwohlökonomie in großen österreichischen Zeitungen hat somit zuweilen etwas Karikaturhaftes. Es scheint, als sei es wichtig, auch das kleinste Pflänzchen einer Suche nach Alternativen zu ersticken. Der Wikipedia-Artikel über die Gemeinwohl-Ökonomie, der beinahe zu einem Drittel aus der Kritik an der Gemeinwohlbewegung besteht, kann als ein weiteres Beispiel tendenziöser Darstellungen angeführt werden.
Wohin geht die Reise?
Dies einmal gesagt, muss eingeräumt werden, dass es Christian Felber seinen Kritikern zuweilen leicht macht. Der Stil seiner Texte ist mitunter nicht ganz frei von einem gewissen deklamatorischen Bombast. Manche Passagen seines Werkes "Die Gemeinwohlökonomie" scheinen wenig Argumente und Argumentation zu bieten. Was sollen die Leser zu sibyllinischen Formulierungen sagen wie: "Reformen genügen nicht mehr, es braucht eine neue Vision." - Und wenn man die neue Vision dann hätte, dann setzt man diese ohne Reformen um? Felber räumt selbst sogleich ein: Es sei noch "offen [..] wohin die Reise gehen soll".
Christian Felber versucht in seinen Texten und Reden nahezu ununterbrochen eine Aufbruchstimmung zu suggerieren und gerät dabei zuweilen in eine Art Managementsprech. Man merkt, hier ist ein Motivator am Werk, der seinen Stil vermutlich in tausenden Pep-Talks erprobt hat. Dies darf ihm wohl nachgesehen werden, schließlich ist er ein Empiriker und hat gelernt, mit den Leuten in einer Weise zu reden, die diese an die Gemeinwohl-Bewegung bindet. Damit hat er bereits beträchtliche Erfolge erzielt, schließlich breitet sich die Bewegung längst international aus. Ohne Frage gibt es allerorten eine tiefe, allgemeine Unzufriedenheit und somit ist der Versuch Felbers zu würdigen, eine breite Auseinandersetzung zu starten, die es wagt, die großen ökonomischen Themen neu anzugehen.
Manche vage Konzeption, wie jene der "Kokreativität" will zunächst wohl auch nicht mehr sagen, als dass sich möglichst verschiedene und diverse Gruppen zusammenfinden sollen, um gemeinsam nach neuen Wegen zu suchen. Tatsächlich gilt es zunächst ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber der scheinbar alternativlosen, herrschenden Wirtschaftsordnung zu überwinden. Dies versucht die Gemeinwohlökonomie-Bewegung nun seit einiger Zeit durch eine Verwissenschaftlichung ihrer Forschung und Konzepte zu erreichen. Bei der Suche nach universitärer Institutionalisierung wurde man bereits fündig. Insbesondere im krisengeschüttelten Spanien ließen sich Lehrstühle erringen, wie jener für Joan Ramon Sanchis in Valencia. Auch dies darf füglich als Erfolg bezeichnet werden und es mag sein, dass sich auch so die harte Front etablierter Standardlehre aufweichen lässt.
Nachhaltige Wertschöpfung
Die in Wien neben Felber anwesenden Professoren Günter Koch, Joan Ramon Sanchis und die Studienautorin Vanessa Campos bemühen sich redlich Wege aufzuzeigen, wie eine "soziale Innovationskraft" mit unternehmerischem Gewinn zu verbinden sei. Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Untersuchungen ist hierbei das GWÖ-Modell und die Frage, inwieweit dieses hilft, sowohl soziale und ökologische Kriterien, wie jenes der "Nachhaltigkeit", zu erfüllen und zugleich monetäre "Wertschöpfung" ermögliche. Bekanntlich leiden Profit und Reinerlös eines Unternehmens meist unter der Berücksichtigung ökologischer und sozialer Verantwortung. Was die Gemeinwohlökonomie hier anbietet, ist letztlich eine Art Rating, das neben den Gewinnaussichten auch die soziale und ökologische Verträglichkeit zertifiziert.
Dieses Rating soll in möglichst vielen Gemeinwesen installiert und von Unternehmen und Banken akzeptiert werden. Vanessa Campos Erhebung führt zu dem etwas überraschenden Ergebnis, dass sich sehr wohl auch ein größerer Profit erwirtschaften ließe durch Beachtung der Gemeinwohlkriterien, da diese auf Firmen motivierend wirken und zu Verbreiterung der unternehmerischen Strategien anleiten. Dies ist teilweise nachvollziehbar, schließlich waren Sklaven in der Geschichte auch nicht durch ihre große Produktivität bekannt und soziale Mitbestimmung kann Unternehmen sehr wohl erfolgreicher machen.
Gleichzeitig räumt das Panel ein, dass sich dieses GWÖ-Modell wohl erst allgemein durchsetzen ließe, wenn es zugleich Sanktionsmöglichkeiten gibt, indem etwa Unternehmen, die nicht aufs Gemeinwohl achten, Förderungen entzogen und Marktzugang erschwert würde. Es gäbe im Kleinen bereits erfolgreiche Versuche, die mit steuerlicher Bestrafung hier eine Lenkungswirkung erzielen konnten. Unterm Strich also erfreuliche und ermutigende Ergebnisse allseits.
"Revolutionäre sind wir nicht"
Der Schritt die Gemeinwohlökonomie statt als "Player" eher als einen "Berater" zu etablieren, wurde nötig, weil der "Projekt Bank für Gemeinwohl" die Lizensierung durch die österreichische Finanzmarktbehörde verweigert wurde. Das Bankprojekt war letztlich an unerwartet hohen bürokratischen Hürden gescheitert. Ironischerweise bejaht die Gemeinwohlökonomie fraglos eine gewisse Zunahme an Bürokratie. Christian Felber bestätigt, dass zu den bisherigen nicht gerade wenigen Ratings nun noch weitere hinzukommen würden, sobald das GWÖ-Modell breit implementiert wäre.
Ein wenig irritiert die zuweilen widersprüchliche Wortwahl. Das Ziel der GWÖ sei letztlich, die finanziellen Gewinne der Unternehmen als Mittel zur Verbesserung des Gemeinwohls zu nutzen und damit die "Erfüllung der Verfassungswerte" zu erreichen. Nun finden sich genau dort aber eben keine "Werte". Verfassung und Recht sollen die Würde des Menschen schützen und gerade eben nicht seinen Wert. So kritisiert die Gemeinwohlökonomie ja auch mit vollem Recht die ökologische soziale Marktwirtschaft, weil diese Natur in ein handelbares Gut zu verwandeln gedenkt und sie einzig durch den hohen Preis schützen will.
Gefragt nach diesem immanenten Widerspruch der GWÖ, die auf falsche Zertifizierung des "Neoliberalismus" mit besseren Zertifikaten reagieren will, wohl ahnend, dass das Zertifizieren an sich bereits die Crux sein könnte, weil es die gesamte Weltwahrnehmung wirtschaftlichen Kriterien unterwirft, meinte Felber, die Marktwirtschaft sei nun eben das "Mainstreammodell". Alles beruhe hierbei auf finanziellen Anreizen und die müssten eben auf die "qualitativen Werte" des Adam Smith gelenkt werden. Eine Abkehr von der Marktwirtschaft erschiene derweil aussichtslos und man müsse sich eben zunächst mit dem Versuch, diese komplexer zu machen, bescheiden. "Ich glaube nicht, dass wir Revolutionäre sind", ergänzte Professor Günter Koch, "wir haben die Idee einer evolutionären Weiterentwicklung."
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