Gentech-Kennzeichnung: Lob, Tadel und Gen-Detektive
Die neue Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel weist einige Lücken auf
Seit Sonntag ist die neue Richtlinie der EU zur Kennzeichnung von Lebens- und Futtermittel, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten, in Kraft. Obwohl es damit für den Konsumenten einfacher wird, einiges an Gen-Food zu identifizieren, bleiben wesentliche Bereiche von der Richtlinie unberührt. So werden in Europa gut 80 Prozent der importierten Gen-Pflanzen verfüttert und landen beim Verbraucher als Joghurt, Wurst, Ei oder Milkshake.
"Genetisch verändert" "aus gentechnisch verändertem ... hergestellt" oder "enthält genetisch veränderten ..." muss künftig in den Zutatenlisten beziehungsweise am Etikett stehen, wenn auch nur ein Bestandteil des Produkts GVO enthält. Auch bei loser oder unverpackter Ware, etwa bei Gemüse auf dem Markt, gilt die Kennzeichnungspflicht. Selbst wenn die gentechnische Veränderung nicht nachweisbar ist, muss dies ausgewiesen werden. Das gilt bei Verbraucherschützern als einer der großen Fortschritte durch die Neuregelung. Beispiele hierfür sind Öl aus gentechnisch verändertem Raps, Lecithin aus gentechnisch veränderten Sojabohnen oder auch Stärke bzw. Traubenzucker und Glukosesirup aus gentechnisch verändertem Mais. Bislang konnten diese Produkte nämlich ungekennzeichnet im Supermarktregal auf ihre nichtsahnenden Käufer warten. Ebenfalls kennzeichnungspflichtig sind nun alle Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten wie Bier mit gentechnisch veränderter Hefe oder Joghurt mit gentechnisch veränderten Milchsäurebakterien.
Kennzeichnungsfrei bleiben aber Lebensmittel und Lebensmittelzutaten bis zu einem GVO-Anteil von 0,9% , wenn die Beimischungen zufällig in das Produkt gelangt sind bzw. technisch nicht zu vermeiden sind. Nicht kennzeichnungspflichtig sind unter anderem auch technische Hilfsstoffe wie Enzyme, selbst wenn diese Stoffe mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen hergestellt wurden. Das gilt zum Beispiel für das Enzym Chymosin, das bei der Käseproduktion eingesetzt wird.
Der Schwellenwert von 0,9 Prozent ist allerdings ein Punkt, der etlichen Umweltschutzorganisationen Probleme bereitet. Es sei nicht klar definiert, in welchen Fällen Gentech-Verunreinigungen bis zu 0.9 Prozent toleriert werden, kritisiert die österreichische Umweltschutzorganisation Global 2000. "Wir befinden uns hier in einem rechtsfreien Raum", beklagt Jens Karg, ein Sprecher der Organisation. Besonders verärgert sind Organisationen wie Global 2000 oder Greenpeace darüber, dass Fleisch, Milch und Eier von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, auch künftig nicht der Kennzeichnungspflicht unterliegen.
Über 80 Prozent der nach Europa importierten Gen-Pflanzen landen im Futtertrog und werden dem Verbraucher wieder als Milchdrink, Joghurt, Ei oder Wurstbrot untergeschoben. Die neue Kennzeichnung vertuscht, dass bei diesen Produkten ganz massiv Gentechnik eingesetzt wird.
Stephanie Töwe, Gentechnik-Expertin von Greenpeace Deutschland
Schützen kann sich der Konsument nur durch den Kauf von Bio-Produkten. Hier gibt es strengere Regelungen. Die Verfütterung von GVOs ist Biobetrieben europaweit untersagt.
"Gute" und "böse" Firmen
Gegen die Verfütterung von GVOs wird weiterhin mobilisiert, zumal Risiken heute noch kaum abschätzbar sind. Global 2000 hält dazu in einer Aussendung fest:
Dass Gentech-Futtermittel ein Risiko darstellen belegen aktuelle Studien. Künstliches Erbmaterial- z.B. von Gentech-Futtermitteln stammend - kann im Verdauungstrakt von Tieren überleben und sogar in Körperzellen nachgewiesen werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass die aus Bakterien- oder Futterquellen im Mund gelöste DNA auf andere Mundbakterien übertragen werden kann. Bei den Konsequenzen für den Menschen tappt die Wissenschaft noch völlig im Dunkeln.
Das EinkaufsNetz, die Verbraucherorganisation von Greenpeace, hat über 450 Lebensmittelhersteller zur Verwendung von Gentechnik in ihren Produkten befragt und in der mittlerweile dritten Auflage des Einkaufsratgebers veröffentlicht. Zudem werden seit 1. April "Gendetektive" aufgerufen, bundesweit das Sortiment der Supermärkte zu überprüfen und ihren Befund in einem "Gen-Protokoll" zu dokumentieren. Laut Greenpeace Deutschland gehen Handelsketten wie EDEKA und tegut mit gutem Beispiel voran, indem sie nicht nur genmanipulierte Zutaten in ihren eigenen Fleisch- und Wurstmarken vermeiden, sondern auch die Biotech-Pflanzen aus den Futtermitteln dafür verbannt hätten. Firmen wie Wiesenhof oder Unilever mit der Marke "Du darfst" hätten ebenfalls gezeigt, dass es ohne Gen-Soja im Tierfutter geht.
Andere Unternehmen wie Müller Milch, Herta Fleischwaren oder Deutsches Frühstücksei hingegen würden den Verbraucherwunsch nach gentechnikfreier Nahrung ignorieren. "Diesen Firmen ist es egal, ob Kuh, Schwein oder Huhn mit Gen-Pflanzen voll gepumpt werden. Sie können sich auf der Lücke in der Kennzeichnungsverordnung ausruhen", so Töwe.
Die verschiedenen Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen hoffen weiterhin auf die Macht der Konsumenten und werden auch weiter Druck machen. Von der Kennzeichnungspflicht erwarten sie allerdings, dass diese auch zur einem Umdenken bei den noch unschlüssigen Herstellern beitragen wird. "Gerade das Kleingedruckte könnte den Albtraum der Gentech-Industrie wahr machen und dafür sorgen, dass der Anbau von Gentech-Pflanzen deutlich zurückgeht", spekuliert etwa Jens Karg von Global 2000. "Die Neuordnung der Märkte ist bereits in vollem Gang. Denn Hersteller und Händler wissen: Speiseöl, Corn-Flakes oder Schokoriegel mit Gentech-Label lassen sich in Österreich und Europa nicht verkaufen. Deshalb steigen sie immer mehr auf Zulieferer um, die gentechnikfreie Ware garantieren können. Alles andere wäre ökonomischer Selbstmord."
GV-Kennzeichnung auch auf Speisekarten
Übrigens fallen jene Deutsche, die häufig in Kantinen oder Restaurants essen, nicht durch den Rost und brauchen sich kein Gen-Food unterjubeln lassen. So betonte Alexander Müller, der Staatssekretär im Bundesverbraucherministerium, kürzlich in einer Pressemitteilung:
Wenn in Kantinen oder Restaurants gentechnisch veränderte Lebensmittel verwendet werden, muss das auf der Speisekarte oder in einem Aushang kenntlich gemacht werden. Die Verbraucher haben einen Anspruch darauf.