Gentechnik: Blinde Flecken und andere Probleme
Bei der Entwicklung und Einschätzung von Gentechnik-Pflanzen wäre viel "naive Wissenschaft" zu beobachten, konstatiert ein renommierter US-Zellbiologe
Vor etlichen Jahren warnten bereits einige Wissenschaftler vor Instabilitäten bei gentechnisch veränderten Pflanzen, die erst Generationen später auftreten könnten. Die Gefahr einer unbeabsichtigten Toxizität wäre deshalb nicht so einfach von der Hand zu weisen. Diese Meinung wurde oft als Außenseiterposition von gentech-kritischen NGOs gewertet. Die Diskussion verschwand zusehends wieder aus der Öffentlichkeit. Jetzt sprach ein US-Zellbiologe dieses Problem in dem auflagenstarken US-Wissenschaftsmagazin Scientific American erneut an.
In den USA wird derzeit viel über eine Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln diskutiert. Im Zuge dessen flammte die öffentliche Diskussion über mögliche Gesundheitsgefahren wieder stärker auf. Scientific American widmete dem Thema jüngst einen ausführlichen Bericht unter dem Titel "The Truth about Genetically modified Food."
Einleitend kommt ein Forscher zu Wort, der sich über die starken öffentlichen Ressentiments beklagt. Es wäre deprimierend, dass noch immer so getan werde, als würden "Frankenstein-Monster" aus dem Labor kommen, monierte der auf Pflanzengentechnik spezialisierte Molekular-Biologe Robert Goldberg von der University of California, Los Angeles gegenüber der Zeitschrift.
Durchaus kritisch äußerte sich dahingegen Dr. David Williams, ein angesehener Zellbiologe in der Augenforschung, der ebenfalls an der UCLA lehrt. Beim Pushen der grünen Gentechnik wäre viel "naive Wissenschaft" beteiligt gewesen, so Williams sinngemäß. Vor dreißig Jahren hätte man nicht gewusst, dass das Genom reagiert, sobald man ein Gen einbringt. Heute wüsste aber jeder, der in diesem Bereich forscht, dass das Genom nicht statisch wäre. Eingebrachte Gene könnten aus verschiedenen Gründen transformiert werden und das könnte auch noch Generationen später geschehen, erklärte Williams gegenüber Scientific American. Man müsste deshalb sehr wohl davon ausgehen, dass auch potenziell toxische Pflanzen durch Testreihen rutschen könnten.
Das Genom ist nicht statisch
Die Materie ist zweifelsohne komplex. Ein Grund für Instabilitäten könnten auch spezielle Eigenschaften der eingebrachten Transgene sein. David Williams dazu gegenüber Telepolis:
One of the reasons that the transgenes used in GMOs might be particularly unstable over generations is that, like many transgenes, they sometimes consist of more than one copy of the gene in a tandem array, and they are bred to homozygosity. This is a set-up for unequal crossover during genetic recombination, resulting in the gain or loss of genes in the array - and therefore changes in the level of gene expression.
David Williams
Der Zellbiologe bestätigt damit, was von kritischen NGOs immer wieder gegen die grüne Gentechnik vorgebracht wurde. Im Zuge meiner Recherchen für das 2006 erschienene Telepolis-Buch "Einfach GEN:ial" beschrieb der österreichische Agrarbiologe und Risikoforscher Werner Müller das Problem folgendermaßen:
Wenn das neue synthetische Gen ungünstig liegt, können auch Toxine oder allergene Inhaltsstoffe der Pflanze verstärkt gebildet werden. - eine Gefahr, die bisher nicht beachtet wird, ist die Frage, welche Region wurde auf der DNA zerstört und welche Funktion hatte sie davor. Bis vor wenigen Jahren ging man noch davon aus, dass die DNA aller Lebewesen aus 'Müll' besteht und nur ein kleiner Teil des Genoms eine Funktion hat. (…) Nach dieser Theorie wäre viel Platz auf der DNA der Pflanze, wo man ein Gen hinein schießen kann, ohne damit Funktionen zu zerstören. Doch dieser Platz wird immer kleiner. Jeden Monat werden neue Daten veröffentlicht, über neue Funktionen im zuvor als Müll deklarierten Teil der DNA.
Werner Müller 2005 - zitiert in: Einfach GEN:ial
Werner Müller war zum Zeitpunkt dieses Interviews bei der österreichischen Umweltschutzorganisation Global 2000 beschäftigt. Im Zuge meiner Recherchen verstärkte sich bei mir der Eindruck, dass kritische Forscher im regulären Wissenschaftsbetrieb kaum Betätigungsfelder fanden. Im generell GVO-kritischen Österreich gab es teilweise noch öffentliche Aufträge für Risikoforschung, von der Gentechnik-Euphorie abweichende Positionen fand ich vorwiegend in NGOs speziell im Umweltbereich. Aus der Umweltforschung gingen inzwischen auch die stichhaltigsten Argumente gegen inzwischen etablierte Anwendungsformen der grünen Gentechnik hervor.
Dilemmata im Forschungsbetrieb
Das Feld der universitären Erforschung toxikologischer Aspekte bei gentechnisch veränderten Pflanzen ist aber so gut wie nicht vorhanden. Dabei wäre ausreichend dotierte Grundlagenforschung in diesem Bereich sicher wichtig und im Sinne der Bevölkerung, die über Risiko-Potenziale im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln informiert werden möchte.
Innerhalb der akademischen Community, die sich mit Feldversuchen und der Entwicklung von gentechnisch veränderten Pflanzen beschäftigt traf ich fast ausschließlich auf Menschen, die sich zutiefst überzeugt von der neuen Technologie zeigten. Geradezu mantra-artig wurde und wird die Notwendigkeit der grünen Gentechnik für die Bekämpfung von Hunger betont. Und das, obwohl es keinen haltbaren Beweis dafür gibt. Der Welthunger hat derart viele - politische, klimatische, ökonomische, soziologische etc. - Ursachen, dass eine einzelne Technologie keine "Allheilmittel" sein kann.
Objektivität und akademische Verwicklungen
Trotz der vielen Problem-Aspekte, die sich inzwischen bei der grünen Gentechnik zeigen, keimen kaum tiefer gehende Diskussionen innerhalb der akademischen Gemeinde darüber auf. Kritische Stimmen kommen eher von "außen".
Telepolis stellte in einer Email die Frage an den US-Zellbiologen David Williams, ob es für ihn leichter sei, kritische Positionen zur grünen Gentechnik zu äußern, zumal er die Materie zwar versteht, aber nicht direkt in diesem Forschungsbereich arbeitet. Seine Antwort darauf war ein klares "Ja". Ein außenstehender Wissenschaftler könne sich objektiver mit der Materie befassen. Zum anderen gebe es speziell im Bereich der grünen Gentechnik sehr starke Verflechtungen mit der Industrie und viele Forscher müssten um Gelder konkurrieren. Statement von David Williams:
Dr. Williams, you are working in another research area. Would you say it is easier for you to speak out critics on GM-plant-risks?
David Williams: Yes, for two reasons.
1. It is easier to be more objective about a research area in which you understand the basic science involved, but have not contributed to the hypotheses.
2. It is also easier to speak out against dogma, and have controversial opinions, if you are not trying to compete for research funding in that area. Research funding applications are reviewed by peers in the specific research area, and, in some cases - especially in plant molecular biology - it is funded by corporations that have clear conflicts of interests in the outcomes of the research.
Jeder Mensch, jede Gruppe hat "verdrängte" Aspekte. Das lehrt die Psychologie seit Sigmund Freud und es scheint auch im akademischen Betrieb so zu sein. Letztlich aber geht es immer darum, wie man mit diesen Potenzialen umgeht, beziehungsweise wie man sie integriert. Im Bereich der grünen Gentechnik treten daraus resultierende Konflikte besonders deutlich hervor. Dieses Feld wird von enormen wirtschaftlichen aber auch von einseitigen akademischen Interessen überlagert, was echter Forschung im Sinne von Erkenntnisgewinn nicht unbedingt förderlich ist. Manche Wissenschaftler werden vielleicht aufgrund existentieller Überlegungen Zurückhaltung üben. Schließlich gab es in der Vergangenheit immer wieder Fälle in denen Forscher unter Druck gesetzt oder ins wissenschaftliche Abseits gedrängt wurden, die mit "unerwünschten" Ergebnissen oder Meinungen aufhorchen ließen. Meist fehlten dann auch finanzielle Mittel für tiefer gehende Nachforschungen.
Die Meinung von David Williams, dass potenziell toxische Pflanzen durch Testreihen rutschen können, sollte auf jeden Fall für die Sicherheitsbewertung von GVP durch unabhängige Forscher aufgegriffen werden. Es läge an der Politik dafür ausreichende Finanzmittel bereitzustellen und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.