Geopolitischer Rohstoff-Poker: EU und Russland im Kampf um Serbiens Lithium
Kampf um Serbiens Lithium tobt zwischen EU und Russland. Moskau torpediert mit Desinformation die größte Mine Europas. Nimmt EU die Sorgen der Serben ernst?
Die Europäische Union und Russland kämpfen um Serbien. Im Zentrum dieses geopolitischen Konflikts steht eines der derzeit begehrtesten Metalle der Welt: Lithium, der Rohstoff der Zukunft für die Batterien von Elektroautos. Im westserbischen Jadar-Tal schlummert die größte unerschlossene Lithium-Lagerstätte Europas. Bis zu 58.000 Tonnen könnten dort jährlich gefördert werden – genug für 1,1 Millionen Elektroautos und 17 Prozent des europäischen Marktes.
Wirtschaftliche Bedeutung für Serbien und die EU
Das Lithiumprojekt von Rio Tinto eröffnet dem strukturschwachen Land enorme Perspektiven. Bis zu 16 Prozent des serbischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) könnten damit erwirtschaftet werden, schwärmte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić.
Geplant ist der Aufbau einer kompletten Lithium-Wertschöpfungskette mit Batterie- und Elektroautofabriken. So stellt es zumindest der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, in Aussicht. Das Investitionsvolumen: knapp sechs Milliarden Euro. Mit der Lithium-Mine könnte Serbien das erste Land in Europa werden, "das über das gesamte Produktions-Ökosystem für Lithium verfügt", sagte er.
Ob es dazu kommt, ist noch offen. Rio Tinto schätzt die Kosten für das Jadar-Projekt im Jahr 2021 auf rund 2,4 Milliarden US-Dollar. Für den Bau der Mine würden voraussichtlich nur 3.500 Menschen benötigt, für den Betrieb nur 1.300. Der Konzern geht auch davon aus, dass die Mine nur etwa ein Prozent direkt und vier Prozent indirekt zum serbischen BIP beitragen wird.
Doch für die EU ist die Mine ein Game-Changer auf dem Weg zur Klimaneutralität. Um unabhängiger von China zu werden, will man strategische Rohstoffe verstärkt vor der eigenen Haustür fördern. Mit dem Jadar-Projekt könne "ein wichtiger Beitrag zur Souveränität Europas" geleistet werden, so Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Juli unterzeichneten Brüssel und Belgrad eine "strategische Partnerschaft" für Lithium.
Geopolitische Probleme und Desinformationskampagne
Doch in Serbien wächst der Widerstand gegen das Bergwerk. Zehntausende protestierten zuletzt gegen das Projekt, eine Mehrheit von 55 Prozent ist laut Umfragen dagegen. Umweltschützer warnen vor einer Vergiftung von Flüssen und Grundwasser durch den Bergbau.
Doch hinter den Protesten stecken offenbar noch andere Interessen: Laut Geheimdienstkreisen aus den USA und Deutschland sei es "sehr wahrscheinlich", dass Russland eine Desinformationskampagne gegen das Projekt betreibe, heißt es jetzt im Wall Street Journal (WSJ). Ziel sei es, die Entwicklung einer wichtigen Lithiumquelle für europäische Autohersteller zu torpedieren.
In sozialen Medien und Zeitungen kursieren demnach wilde Verschwörungstheorien, etwa dass heimlich Uran abgebaut oder die Bevölkerung mit "Schwefelsäure-Regen" überschüttet werde. Rio Tinto muss diese haltlosen Behauptungen regelmäßig dementieren.
Moskau gehe es darum, einen Keil zwischen Serbien und den Westen zu treiben und die Integration Belgrads in westliche Bündnisse zu verhindern. Bereits 2021 musste die Mine nach Massenprotesten auf Eis gelegt werden – ein Erfolg für Moskau. Serbien unterhält traditionell enge Beziehungen zu Russland und weigert sich bislang, Sanktionen gegen den Kreml zu verhängen.
"Das ist eine große Bedrohung für Moskau", sagte Orhan Dragaš, Direktor des International Security Institute, einer Denkfabrik in Belgrad, dem WSJ. Das Lithiumprojekt könnte einen Wendepunkt für Serbien bedeuten, sich von der russischen Einflusssphäre zu entfernen und sich den strategischen Plänen Europas anzuschließen. "Deshalb wird Moskau keine Mühen scheuen, es zu vereiteln", so der Experte.
EU muss Bedenken ernst nehmen
Die EU steht nun vor einer schwierigen Abwägung: Einerseits ist die Lithium-Mine ein Schlüsselprojekt für die Energiewende und bietet Serbien große wirtschaftliche Chancen. Andererseits kann Brüssel die Sorgen der Bevölkerung nicht ignorieren.
Bei einem Besuch im Juli lobten Bundeskanzler Scholz und EU-Vizepräsident Maroš Šefčovič das Projekt einseitig, ohne auf Umweltaspekte oder Demokratiedefizite einzugehen.
Kritiker aus der Heinrich-Böll-Stiftung sprechen von einer falschen "Stabilitokratie"-Politik, bei der wirtschaftliche Interessen der EU auf Kosten der Zivilgesellschaft durchgesetzt werden. Um die Stabilität auf dem Westbalkan zu wahren und Serbien aus dem russischen Orbit herauszuhalten, sei Europa bereit, Vučić gewähren zu lassen, so die Kritik.