Georgien: Wahlen auf dem geopolitischen Schachbrett – Ergebnis ohne Folgen?
Wahlleitung erklärt Regierungspartei "Georgischer Traum" zur Siegerin. Zweifelnder Westen, wütende Opposition, plausibles Ergebnis – russischer Sieg in Tiflis?
Am 27. Oktober 2024 um 16.34 Uhr deutscher Ortszeit wurde es offiziell. Wie die Tagesschau berichtet, erklärte die Wahlkommission nach der erfolgten Auszählung der Stimmen die Partei "Georgischer Traum" mit 54,09 Prozent zur Wahlsiegerin.
Kein Erdrutschsieg für Regierungspartei
Eine Schlappe für die auch im Westen unterstützte Opposition. Die Meldungen der westlichen Welt sprechen eine deutliche Sprache: "Albtraum" (FAZ) oder "Betrugsvorwürfe".
Jedoch kein Erdrutschsieg für die Regierung, sie blieb deutlich hinter der selbst proklamierten Marke einer Zweidrittelmehrheit zurück. Mit einem komfortablen oder gar autokratisch-geschönten Wahlergebnis hatten die Resultate wenig gemein.
In der Hauptstadt Tiflis, einem Zentrum der pro-europäischen Opposition unterlag die spätere Siegerin – wenn auch hauchzart – gar der Opposition. Offizieller Wahlsieger ist somit Bidsina Iwanischwilli.
Iwanischwilli, ein klassischer Aufsteiger der Privatisierungswelle der ehemaligen UdSSR-Teilrepubliken, Ehrenvorsitzender und Gründer der Partei "Georgischer Traum" und – nach der Analyse von Stefan Meister (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, ein deutscher Thinktank mit einem Unter-Institut zu "Governance" in Osteuropa) der Entscheider, "über alles Wesentliche, was in dem Land passiert".
Der Entscheider ist auch russischer Staatsbürger und wird als Kreml-nah analysiert. Der Sohn eines Kleinbauern, begrüßte das Ergebnis mit einem Feuerwerk über Tiflis und gab dann bekannt, dass das Wahlergebnis "ein guter Indikator für das Talent des georgischen Volkes" ist.
Was er wohl meinte, ist das Talent des Landes der ehemaligen Sowjetunion den Offerten des Westen zu widerstehen. Doch zunächst, wer ist reichste Mann von Georgien?
Ein Mann seiner Zunft
Dass die Person Iwanischwilli durchaus problematische Züge hat macht ein Blick auf seine Vita zügig deutlich – dazu braucht es weder westliche Nichtregierungsorganisationen noch die markigen Worte der inner-georgischen Opposition. Er sprach wiederholt in Reden von einer Wende hin zu einer autoritären Ausrichtung des Südkaukasusstaates.
Laut Forbes-Magazin wird sein Vermögen auf mehr als drei Milliarden US-Dollar geschätzt – pikant daran ist, dass Iwanischwilli, der aufgrund eines Intermezzo mit der französischen Staatsbürgerschaft 2010 seine georgische Staatsbürgerschaft verlor, einiges seiner in der Rohstoff-Arbitrage erworbenen Millionen in Steuerparadiesen verschanzt haben dürfte. Sein Name taucht in den geleakten Panama Papers auf – er versteckte sein Vermögen in einer Briefkastenfirma auf den Jungferninseln (Lynden Management Ltd.).
Das macht ihn aber nicht ungeeignet für das Amt eines Regierungschefs – sein Name würde sich in eine ganze Ahnengalerie von Steuersparern und Steuerhinterziehern einreihen.
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Mauricio Macri (ehemaliger Präsident von Argentinien), der König von Saudi-Arabien, Petro Poroschenko (ehemaliger Präsident der Ukraine), Juan Carlos, ehemaliger König von Spanien – sie alle und viele andere sind prominent in den Dokumenten der Briefkastenuniversen vertreten.
Elefant im Raum
Die Kritik der prowestlichen Opposition an Vita, obszönem Reichtum und der generellen nationalkonservativen Leitlinie seiner Politik hält sich stark in Grenzen – in den Reden der Opposition und der Berichterstattung der hiesigen Medien nach den Wahlen fehlen sie oftmalig komplett.
Der Elefant im Raum ist Russland – Iwanischwilli hat – nahezu als einziges seiner gegeißelten Verbrechen - die "falsche" geopolitische Orientierung im globalen Wettstreit um eine multipolare Weltordnung.
Zweifel und Vorwürfe
Festzuhalten bleibt: Die Opposition erhielt offiziell 37 Prozent der abgegebenen Stimmen und unterlag damit bei den Wahlen. Zwar versuchte die Oppositionsführerin und Präsidentin Salome Surabischwili demonstrativ Geschlossenheit zu demonstrieren – sie trat bei Kundgebungen beispielhaft mit dem ehemaligen Premierminister Gacharia auf – doch auch dies konnte die jetzige Niederlage nicht beschönigen.
Ob und welche Teile der Opposition ihr errungenes Mandat überhaupt antreten werden, ist derzeit fraglich. Fakt ist aber auch, dass die notwendige Zweidrittelmehrheit für die angestrebten Verfassungsänderungen durch den "Georgischen Traum" klar verfehlt wurde.
Die Gestaltungsfreiheit, von der Iwanischwili vor der Wahl träumte, ist damit für die nächsten Jahre erst einmal dahin.
Zweifel und Vorwürfe hagelte es postwendend aus dem Westen: Der Hochrangigste kam am folgenden Abend – 13 Minister aus EU-Staaten forderten in einem gemeinsamen Statement eine Untersuchung der angeblich manipulierten Wahlergebnisse. Die EU-Vertretungen sprachen offen vom "Verrat am georgischen Volk".
Interessant ist, dass die Opposition um internationale Unterstützung trommelt – Präsidentin Surabischwili bekannte freimütig, dass sie 17 internationalen Medien ein Interview gab und mit dutzenden Regierungen telefonierte. Zumindest im EU-Land Ungarn dürfte niemand ans Telefon gegangen sein.
Präsident Orbán gehörte zu den ersten Gratulanten in Tiflis – er besuchte mit Teilen seines Kabinetts die georgische Hauptstadt, Gratulationen kamen zudem aus anderen Staaten. Während die offiziellen Ergebnisse einer Wahluntersuchung noch gar nicht da sein konnten, rief die Opposition zu Straßenprotesten auf. Es blieb friedlich.
Ein Strich durch das Drehbuch
Dass es nach den Wahlen zu Protesten kommen würde, wenn nicht die Opposition einen Erdrutschsieg erringen könne, galt im Vorhinein als ausgemacht. Insgesamt erinnert einiges an das aus Venezuela (die Posse um Juan Guaidó) oder Belarus bekannte Drehbuch der westlich-orchestrierten Einmischungen.
Auf Wahlniederlage folgt Betrugsvorwurf, auf Betrugsvorwurf folgt mediale Stimmung und westliche Solidarität und – ohne eine objektive Untersuchung abzuwarten – folgt der Ruf nach Sanktionen, einem Ende der "russischen Spezialoperation" (FAZ) in Georgien und der Schrei auf entzündeten Demonstrationen nach Neuwahlen und Demokratie nach westlichem Modell.
Doch ein entscheidender Faktor dürfte in Georgien fehlen: Selbst, wenn es ernsthafte Manipulationen gegeben haben sollte, sind sie keinesfalls so offensichtlich wie in anderen Fällen und lösen daher auch nicht die gleichen Reaktionen aus.
Vieles spricht gegen einen Brandherd in Georgien und ein Aufflammen der Opposition: Die ersten Tage blieben bisher ruhig, eskalierende Straßenschlachten, insbesondere mit massiven Repressalien, blieben gänzlich aus.
Damit fehlt dem westlichen Narrativ das Blitzlichtpanorama, die Wahlergebnisse selbst ergaben keine 67 Prozent für die amtierende Regierung, sie erscheinen plausibel und wurden auch von Demonstranten zur Kenntnis genommen, eine allzu offene Manipulation wie in Turkmenistan kann daher ausgeschlossen werden.
Es könnte der – aus Sicht Iwanischwilis – clevere Strich im prowestlichen Drehbuch gewesen sein. Den Rest müssen die kommenden Tage und eine unabhängige Untersuchung der Ergebnisse zeigen. Die internationalen Reaktionen zeigen jedoch, woher der Wind weht. Es geht weniger um demokratische Standards als um die weltpolitische und geostrategische Ausrichtung des russischen Anrainerstaates.