Geschlecht und Selbstbestimmung: Wann gilt Wehrpflicht für Transfrauen?

Die Transfrau Nyke Slawik (rechts) ist Bundestagsabgeordnete der Grünen

Die Transfrau Nyke Slawik (rechts) ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und musste selbst noch zwei Jahre auf ihre Personenstandsänderung warten. Foto: Stefan Müller / CC BY 2.0

Bundestag erleichtert Änderung des Geschlechtseintrags. Im Spannungs- und Verteidigungsfall kann sie aber ungültig sein. Diese Fristen gelten.

Viel ist über das heute im Bundestag beschlossene Selbstbestimmungsgesetz debattiert worden. Dabei wurden auch reichlich Mythen gewälzt – denn um medizinische Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung geht es darin gar nicht.

Schluss mit Gutachten und intimen Fragen an Transsexuelle

Volljährige Trans- und Intersexuelle sowie nichtbinäre Menschen sollen ihren standesamtlichen Geschlechtseintrag und ihren Vornamen ändern können, ohne psychologische Gutachten vorzulegen und eine Entscheidung des Amtsgerichts abzuwarten.

Diesen Prozess, den das Transsexuellengesetz regelte, empfanden viele der Betroffenen als entwürdigend, weil sie dafür teils intime Fragen von Menschen beantworten mussten, mit denen sie aus freien Stücken nicht über private Dinge gesprochen hätten.

Erklärung zum Geschlechtseintrag unabhängig von Operationen

Nun soll eine "Erklärung mit Eigenversicherung" reichen, für die sie sich allerdings drei Monate vorher beim Standesamt anmelden müssen. Sie kann jedoch unabhängig von medizinischen Maßnahmen wie Hormonbehandlungen oder geschlechtsangleichenden Operationen abgegeben werden. Dann können Dokumente wie Personalausweis und Reisepass umgeschrieben werden.

Für Kinder unter 14 sollen die Eltern die nötige Erklärung beim Standesamt einreichen können. Jugendliche ab 14 können dies selbst tun – mit Einverständnis der Eltern oder nach einer Entscheidung des Familiengerichts, wenn keine Einigung möglich ist.

Nach der Änderung des Geschlechtseintrags gilt eine Sperrzeit von einem Jahr, in der sie nicht rückgängig gemacht werden kann.

Angst vor männlichen U-Booten und Männernamen als Beleidigung

Für heftige Diskussionen sorgte unter anderem die Befürchtung, Männer könnten sich Zugang zu Schutzräumen für Frauen verschaffen, indem sie ihren Geschlechtseintrag ändern lassen – und Gerichtsurteile, die die es in diesem Kulturkampf untersagten, Transfrauen in herabsetzender Absicht als Männer oder mit dem abgelegten männlichen Vornamen anzusprechen.

Einen solchen Rechtsstreit verlor im vergangenen Jahr der Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, der sich mit dem Online-Medium Nius selbständig gemacht hat. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch hatte im Bundestag bereits mehrfach die grüne Transfrau Tessa Ganserer als Mann angesprochen oder bezeichnet. Ganserer hatte allerdings ihren Geschlechtseintrag wegen der bisher geltenden Prozedur nicht ändern lassen.

Während sich die Grünen weitgehend einig sind, dass auch in diesem Fall des "Deadnaming" ebenso entwürdigend ist wie der Generalverdacht gegen Transfrauen, sich als männliche U-Boote in Frauenschutzräume einzuschleichen, findet sich im Selbstbestimmungsgesetz, das die Grünen als Teil der Ampel-Koalition mitverantworten, eine wenig beachtete Passage.

Wehrpflicht: Wann Transfrauen als Männer behandelt werden

Bei der bisher nur ausgesetzten Wehrpflicht ist nämlich im Ernstfall Schluss mit der Selbstbestimmung. In Paragraph 9 heißt es unter der Überschrift "Zuordnung zum männlichen Geschlecht im Spannungs- und Verteidigungsfall":

Die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bleibt, soweit es den Dienst mit der Waffe auf Grundlage des Artikels 12a des Grundgesetzes und hierauf beruhender Gesetze betrifft, für die Dauer des Spannungs- oder Verteidigungsfalls nach Artikel 80a des Grundgesetzes bestehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem die Änderung des Geschlechtseintrags von "männlich" zu "weiblich" oder "divers" oder die Streichung der Angabe zum Geschlecht erklärt wird.

Unmittelbar ist der zeitliche Zusammenhang während eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls sowie ab einem Zeitpunkt von zwei Monaten vor Feststellung desselben.

Aus der Beschlussempfehlung zum Entwurf des Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften. § 9

Mit anderen Worten: Eine junge Transfrau kann als Mann behandelt und an die Front geschickt werden, wenn siebeneinhalb Wochen nach der Änderung ihres Geschlechtseintrags der Spannungs- oder Verteidigungsfall ausgerufen wird. Mit der dreimonatigen Anmeldefrist beim Standesamt müsste der Entschluss also fünf Monate vorher stehen, um der Einberufung zu entgehen.

Im Kriegsfall zulässig: Misstrauen gegen Transfrauen

So soll offenbar sichergestellt werden, dass niemand unter falscher Flagge am Kriegsdienst vorbei segelt. Ein Misstrauen, das im zivilen Leben und in der Frauenumkleide als diskriminierend gilt.

Die Linksfraktion hatte unter anderem wegen dieser Passage einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem dieser und weitere Aspekte kritisiert wurden, dem Gesetz aber insgesamt zugestimmt, weil es das aus ihrer Sicht diskriminierende Transsexuellengesetz ablöst.

Selbstbestimmungsgesetz: Union, AfD und BSW stimmten nicht zu

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hatte dem leicht modifizierten Gesetzentwurf der Bundesregierung in seiner Sitzung am Mittwoch, 10. April 2024, mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und der Gruppe Die Linke zugestimmt.

Neben den Unionsparteien und der AfD lehnte auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die Zustimmung ab. Eine CDU-Abgeordnete sprach von gesellschaftlichem "Sprengstoff", weil die Mehrheit Geschlecht nicht unabhängig von der Biologie wahrnehme.

Sahra Wagenknecht hatte angekündigt, das BSW werde in den kommenden Wahlkämpfen die Rückabwicklung "dieses gefährlichen Irrsinns fordern, der Eltern und Kinder zu Versuchskaninchen einer Transideologie macht, von der allein die Pharmaindustrie profitiert".