Geschlossene Leserforen bei Spiegel Online
- Geschlossene Leserforen bei Spiegel Online
- "Hate Speech" als Vorwand?
- Google will "giftige" Forenbeiträge markieren
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Google will mit einem Programm "das Gift aus Kommentarspalten saugen" (Spiegel)
Eine Auswertung zeigt, dass die Kommentierbarkeit von Artikeln bei Spiegel Online in den letzten zwei Jahren massiv zurückgegangen ist. Insbesondere bei heiklen Themen wie Syrien, Afghanistan oder der Flüchtlingskrise bleibt das Leserforum meist ausgeschaltet. Nun äußert sich die Chefredaktion zu den Hintergründen. Derweil arbeitet Google an einer neuen Software.
Die Zahlen sind brisant: Bei nur noch gut 50 Prozent der Artikel erlaubt Spiegel Online (SPON) mittlerweile ein Leserforum, also einen offenen Austausch von Meinungen des Publikums. Vor zwei Jahren lag dieser Wert noch bei etwa 80 Prozent. Ermittelt hat das der Informatiker David Kriesel, der von 2014 bis 2016 sämtliche SPON-Artikel automatisiert abspeicherte und diesen riesigen Datenpool nun nach verschiedenen Kriterien auswertet. Öffentlich machte er einige Zahlen bereits im letzten Dezember bei einem Vortrag auf dem 33. Kongress des Chaos Computer Clubs in Hamburg.
Auf meine Nachfrage ermittelte Kriesel nun die Kommentierbarkeit bei einzelnen Themenfeldern. Artikel werden von den Redakteuren mit Keywords versehen, nach denen man bei einer Auswertung filtern kann. Einige der Ergebnisse: Artikel mit dem Keyword "Syrien" ließen sich vor zwei Jahren noch zu gut 70 Prozent kommentieren. Mit Beginn des deutschen Kriegseintritts in Syrien Ende 2015 fiel dieser Wert jedoch rapide. Seither aktiviert SPON nur noch bei etwa 30 Prozent der Texte ein Leserforum. Von 960 Artikeln, die zwischen November 2015 und November 2016 zum Thema Syrien erschienen, war bei 642 eine Leserkommentierung nicht möglich, das entspricht 67 Prozent.
Öffentliche Leserdebatten zum Syrienkrieg wurden also massiv eingeschränkt - und das zu einem Zeitpunkt, da das Interesse daran besonders groß war. Man darf fragen: Was soll das? Wessen Interessen dient diese breite Abschaltung von Leserdebatten?
"Frequenz kontroverser Themen hat zugenommen"
Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich bei den Keywords "Flüchtlinge", "Afghanistan" oder "Türkei" (siehe Grafiken). Es entsteht der Eindruck, dass bei politisch heiklen Themen, wo die Bevölkerung mehrheitlich andere Ansichten vertritt, als die Regierung oder die Nato, eine Kommentierung zunehmend unerwünscht ist.
David Kriesel, der diese Informationen bereitstellte, weist darauf hin, dass Daten generell unterschiedlich interpretierbar seien und er sich keine Interpretation zu eigen mache. Matthias Streitz, Mitglied der Chefredaktion von Spiegel Online, kommentierte die Daten mir gegenüber so:
Wir entscheiden nach unseren Erfahrungswerten. Es gibt Themen, zu denen typischerweise besonders viele diffamierende oder sogar hetzerische Kommentare einlaufen. Deswegen gibt es rund um die Themen Israel, Holocaust, Antisemitismus in der Regel gar keine Kommentierungsmöglichkeit, und bei Themen wie Kriminalität, Syrien oder Flüchtlinge ist die Kommentierbarkeit eher die Ausnahme. (…)
Der Rückgang der Kommentierbarkeit hat vor allem damit zu tun, dass die Frequenz kontroverser Themen, die extrem problematische bis unsendbare Kommentare anziehen, in den vergangenen Jahren zugenommen hat - das begann gefühlt rund um den Maidan, ging weiter mit Krim-Konflikt, Erdogan, Pegida, Flüchtlingen, Terrorismus. Wir beobachten eine stärkere Polarisierung der Öffentlichkeit, auch eine Zunahme von hate speech. Unsere Forumsmoderatoren sind schlechter als vor noch ein paar Jahren in der Lage, die Masse der problematischen Postings zu sichten und zu filtern.
Matthias Streitz
Diese Stellungnahme lässt Raum für Fragen. Warum ist SPON inzwischen "schlechter in der Lage", die Beiträge zu sichten? Hat die Kommentierung derart zugenommen, dass die Mitarbeiter überlastet sind? Fehlt es an Geld für weiteres Personal? Die Chefredaktion ließ entsprechende Nachfragen offen. Wiederum entsteht der Eindruck, dass die Vielzahl kritischer bis ablehnender Leserkommentare den Journalisten schlicht "lästig" wird, man sich lieber gar nicht mehr damit befassen möchte.
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