Gesucht: Der gen-iale Patient
Pharmaboss gibt öffentlich zu, dass Medikamente meist nicht wirken
Now the drugs don't work
The Verve
They just make you worse
Ob Richard Ashcroft in dem Song von Drogen oder von Medikamenten singt - die Lücke, welche ihm die englische Sprache lässt, darf offen bleiben. "The drugs don't work": Das hat jetzt erstmals ein hohes Tier aus der Pharmaindustrie gesagt, öffentlich. Aber freuen Sie sich nicht zu früh, der Mann ist kein Dissident, der die Schwachstellen der Medikamentenkonzerne aufdeckt; der Mann macht ihre Produkte nur schlecht, damit er Sie einer für ihn hochprofitablen Welt zuführen kann.
Allen Roses, weltweit Vizepräsident der genetischen Forschungsabteilung von Englands größtem Pharmakonzern GlaxoSmithKline, hat einiges Aufsehen ausgelöst, als er kürzlich auf einem Wissenschaftlertreffen in London ausführte, dass die meisten Medikamente bei den meisten Menschen, denen sie verschrieben werden, nicht wirken. Weniger als die Hälfte aller Patienten würden eine heilende Wirkung erfahren. Allen Roses:
Die große Mehrheit der Medikamente - mehr als 90 Prozent - wirkt nur bei 30 oder 50 Prozent der Patienten...Die meisten Medikamente wirken also nicht - sie wirken bei 30 oder 50 Prozent der Menschen. Die Medikamente, die auf dem Markt sind, wirken, aber sie wirken eben nicht bei jedem.
Die Medizin hilft oft nicht bzw. sie hilft vielen nicht; in der Fachwelt ist das keine große Neuigkeit, doch die Öffentlichkeit wurde bisher - zumindest von der Medizin produzierenden Industrie - nicht gerade mit derartigen Informationen gefüttert. Roses ist nun offensiv geworden, da seine Firma aggressiv in den Markt drängen wird, den die Pharmacogenomics eröffnet.
Schöne Neue Medizin
Die relativ junge Pharmacogenomics hat nichts weniger zum Ziel als das maßgeschneiderte Medikament. Mit Hilfe von pharmazeutischer Genetik und Bioinformatik wird der Patient in seinen genetischen Voraussetzungen erfasst und dementsprechend behandelt. Das soll beim jeweiligen Individuum mehr Wirkung und weniger Nebenwirkung bringen. Mit Pharmacogenetics, so Roses, könne der Arzt nicht nur die wahrscheinliche Reaktion eines Patienten auf ein Medikament vorhersagen, sondern es könnten auch Medikamente schneller klinisch getestet, mehr Behandlungen für mehr Patienten durchgeführt, Kosten für die Entwicklung von neuen Medikamenten gesenkt und daher auch mehr Medikamente für weitere Krankheiten entdeckt werden (vgl. Pharmacogenomics).
By eliminating the people that we predict will be non-responders we'll be able to do smaller, faster and cheaper drug trails.
Allen Roses
Das englische Original von Roses Aussage ist insofern interessant, als man das Wort "eliminate" (ausschließen, ausschalten, eliminieren) hier leicht falsch verstehen könnte. Natürlich sollen die Patienten mit der schwierigeren genetischen Disposition nicht "ausgeschaltet" werden; jedoch weist dieser Satz indirekt auf die Achillesferse der "individuellen Medizin" hin: Das Risiko der gesellschaftlichen und finanziellen Diskriminierung genetischer Minderheiten. Zudem: Die Gentests wären jedem Hausarzt zugänglich, der Datenschutz gefährdet und auch die Versicherungsgesellschaften würden gen-bedingt zulangen.
So warnte William Haseltine, Direktor von Human Genome Science, schon vor einigen Jahren davor, dass sich mit der Pharmacogenomics der Fokus der Medikamentenentwicklung verändert. Während bisher nach richtigen Medikamenten für viele Menschen gesucht wird, könnte in Zukunft der genetisch "richtige" Mensch für ein Medikament gesucht werden. Haseltine: "Wir wollen Medikamente, mit denen so viele Menschen wie möglich behandelt werden können."... Welche Medikamente werden in Zukunft für wen zu welchen Preisen entwickelt? Kollek und ihre Kollegen befürchten: "Pharmakogenetisch schwierige Patienten könnten an den Rand gedrängt werden und Gefahr laufen, eine neue Risikogruppe zu bilden: die der genetisch bedingten Therapieversager."... Der Blick in das Portemonnaie sagt scheinbar mehr über den Gesundheitszustand aus als der Blick auf die Gene. Die weltweit am besten belegte Beziehung, so haben zahlreiche Studien ergeben, ist die positive Wechselbeziehung zwischen Gesundheit und Einkommen.
Sabine Riewenherm in: Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 145