Gewalt und Medien

Der 14. Journalistentag der IG Medien bot eine Reflexion des eigenen journalistischen Handelns

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Besonders die Medien und vor allem die Medienmacher stehen immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik, wenn über mediale Gewaltwirkung diskutiert wird. Dabei wird nicht unterschieden, ob es sich dabei um Informationen über Gewaltverbrechen handelt oder um die Ausstrahlung von Filmen mit Gewaltinhalten. Den Medien wird eine Wirkung auf ein Gewaltverhalten unterstellt. Auf der 14. Journalistenjahrestagung der IG-Medien referierten am Wochenende eine Reihe von Experten über die Gewalt und Medien.

In allen Vorträgen auf dem 14. Journalistentag der IG-Medien in Hannover bezogen sich die Vortragenden auf aktuelle Geschehnisse der vergangenen Tage. Sei es der möglicherweise rechtsradikale und sadistische Mord an dem kleinen Jungen im Schwimmbad von Sebnitz oder das Quälen eines Behinderten, ohne dass Passanten eingriffen. Diese Beispiele dienen als grausame Metapher für die Gewalt im Alltag und stellen die Frage nach der Orientierungsrolle der Massenmedien im Umgang mit alltäglicher Gewalt. Zu sehen ist sie auch im Fernsehen, wobei jugendschutzgerechte Aussendungen von Gewaltfilmen in Nachtprogramm nicht mehr greifen. Der Fernseher und der Videorekorder stehen inzwischen in vielen Kinderzimmern und machen solche Filme jederzeit verfügbar. Schuld sind in den Augen der Erziehungsberechtigten immer die Medien: Sie bieten in den Print- und Bildmedien zu viel Material über Gewalt. Kinder und Jugendliche könnten ein solches Verhalten oft als einziges Konfliktlösungsmittel sehen.

Robbespierre- und Herostrat-Effekt

Gewalttaten erschrecken und werden unterschiedlich wahrgenommen. Gewaltfilme dagegen wollen unterhalten und werden in Actionform insbesondere von Jungen gern konsumiert. In den Medien werden Rollen vorgeführt und möglicherweise von Kindern und Jugendlichen übernommen. Helden sind die Symbolfiguren, doch manchmal werden in den Medien sogar die Täter heroisiert. Besonders deutlich wurde das bei dem Kaufhauserpresser "Dagobert", der die Polizei bei der Geldübergabe immer wieder narrte. Doch es stellt sich die Frage, wer den Täter zum Helden macht? Sind es wirklich die Journalisten oder ist es die klammheimliche Freude, die der "Normalbürger" für sich entdeckt und daraus eine Robin-Hood-Mentalität bildet? Wie weit ist Selbstjustiz legitim, wenn sich das Opfer wehrt? Zumindest wird es toleriert, wenn sich insbesondere weibliche Gewaltopfer wehren, auch wenn der Täter dabei zu Tode kommt.

Im Bereich von Gewalt gibt es viele Weltbilder und jeder sucht sich seine Nische, um seine Einstellung zu rechtfertigen. Und wenn sich in der Gesellschaft unerwünschte Verhaltensweisen als "Norm" festsetzen, dann beginnt die Suche nach den Ursachen oder besser nach den Schuldigen. Auch hier gilt das einfache Erklärungsmuster: Schuld haben die Medien und die Medieninhalte.

Doch bedienen die Medien nicht nur die weit verbreitete Gaffermentalität? Man muss schon eine voyeuristische Neigung haben oder den Kick aus den Actionfilmen ziehen, um der grauen Alltagswelt zu entkommen. Gewalt ist alltäglich und ist anscheinend immer ein Hingucken wert und sei es nur für den Fall, dass man sich voller Abscheu abwenden kann. Doch mit eindimensionalen Erklärungsmustern kommt man nicht weiter. Wolfgang Gast von der Universität Gießen zumindest glaubt nicht an ein einfaches Reiz-Reaktionsschema, um Wirkungen von Gewalt erklären zu können. "Keiner nimmt Geiseln, nur weil er es vorher gesehen hat", erklärt Professor Gast nach einer vorgestellten Filmanalyse und verdeutlicht, dass das Gesehene immer eine Verknüpfung des Erfahrungshorizontes der Rezipienten hervorruft, aber nie Auslöser ist.

Dennoch bleibt die Frage, wie man es bewertet, wenn sich der Täter auf zuvor in den Medien Gesehenes bezieht? Zunehmend trifft man auf den Robespierre-Effekt, wo Täter bereit sind, ihre Forderungen mit allen Mitteln durchzusetzen. Aber auch den Herostrat-Effekt sollte man nicht unterschätzen. Dabei verspricht sich der Nobody, durch eine "Heldentat" berühmt zu werden. Immer sind deshalb die Medien aufgefordert, die nötige Distanz am Tatort und in der Berichterstattung zu wahren.

Die Faszination des Guten gegen die Gewaltdarstellungen?

Ein Sexualverbrecher ist nicht nur ein "Triebtäter". Sprache kann verharmlosen oder auch blenden. Straftaten dürfen durch die Wortwahl in der Berichterstattung nicht bagatellisiert werden. Oft taucht in den Medien nach Ansicht der Referentin Jutta Röser ein Mitfühlen mit den Täter auf. Gegenüber dem Opfer kommt es in den Berichten eher zu einer empathischen Haltung. Röser verdeutlichte noch einmal anschaulich, dass die Gesellschaft nicht gewaltfrei ist. Jeder zehnte Jugendliche beobachtet Gewalt zwischen den Eltern und jeder vierte Jugendliche ist selbst Opfer von Gewaltanwendungen. Darstellungen in den Medien würden symbolisches Material darstellen und bei Konflikten herangezogen werden, aber Gewalt werde nicht durch die Medien aktiviert.

Ingo Scheller von der Universität Oldenburg glaubt, dass die allgegenwärtigen Appelle unglaubwürdig klingen. Gewalt entsteht aus Ängsten bzw. der Ohnmacht vor dem Versagen, der Hilflosigkeit. Sie unterliegt den Erfahrungen in der Familie, der Schule oder am Arbeitsplatz. Manche jugendliche Täter und Opfer bedingen sich zum Teil selbst, immer öfter versagen gewaltfreie Konfliktlösungsmuster. Es werden immer weniger Grenzen gesetzt. In der Konsequenz gibt es moralische Entleerungen von Rollen und Alltagssituationen. Besonders Verhaltensrollen werden immer diffuser dargestellt und sind deshalb weniger identitätsstiftend. Insgesamt gibt es zunehmend weniger Möglichkeiten, sich körperlich auszuagieren. Panisch wird selbst von Kindergärtnerinnen darauf geachtet, dass körperlich nichts mehr ausgetragen werden kann. Medienkonsum vermittelt statt "echter" sozialer Konflikterfahrungen nur noch virtuelle Muster. Lösungen werden so aus zweiter Hand übernommen, aber nicht mehr durch Erfahrungen umgesetzt. Da Erziehungsinstanzen im Elternhaus offensichtlich versagen und man die Jugendlichen kaum noch erreichen kann, scheint für Scheller die Schule der richtige Adressat für eine präventive Arbeit zu sein.

"Gewalt ist ein Teil des Lebens und ein Teil der Welterfahrung, dem sich niemand entziehen kann", bemerkt die evangelische Fernsehpfarrerin Oda-Gebbine Holzer-Stäblein. Sie schilderte, beginnend mit Kain und Abel, wie allgegenwärtig doch Gewalt ist. Doch darf Gewalt nicht ins Ausweglose führen, und die Rezipienten darf man auch nicht mit den Identifikationsfiguren allein lassen. Für sie gilt die Maxime, dass man den Umgang mit Gewalt lernen kann, dass man erkennen soll, dass Gewalt in uns allen steckt. Frauen muss deutlich werden, dass sie nicht Opfer sein müssen. Gewalt darf nicht ins Auswegslose führen - Entmutigung darf nicht aufkommen. Gefühle dürfen nie entwertet werden. Gewalt darf nicht beiläufig auftauchen, gute Gewalt gibt es nicht. Gewalt fängt mit Sprache an, auch verschleierte Sprache. Euthanasie ist in ihren Augen so ein Wort. Der Gewalt muss man die "Faszination des Guten" entgegensetzen: "Wer macht sich die Mühe, gute Taten und gewaltlose Helden genauso packend in Szene zu setzen wie die Gewalt?", lautet fast der Appell an die anwesenden Teilnehmer des Journalistentages.

Journalismus als Frühwarnsystem

In der abschließenden Diskussionsrunde bezog sich kaum ein Teilnehmer auf die vorgetragenen Referate. Dennoch lässt sich die Diskussion in etwa so zusammenfassen:

  1. Journalisten sind gefordert, bei der Sprachwahl aufzupassen
  2. Medien können ein Frühwarnsystem sein
  3. Die Identifikation mit den Opfern kommt in der Berichterstattung zu kurz
  4. Ist die Sensation wirklich ein Abbild der Alltagsgewalt?
  5. Medien zwischen Skandalisierung und Verharmlosung
  6. Die Macht des Wortes darf nicht missbraucht werden

In dem Schlusswort zur Veranstaltung verwies Franziska Hundseder, die Bundesvorsitzende der Journalistinnen und Journalisten in der IG Medien, noch einmal auf die Aufgaben des Journalismus: "Journalismus muss eine Art Frühwarnsystem der Gesellschaft sein. Er muss frühzeitig auf gesellschaftliche Entwicklungen hinweisen und Themen nicht nur dann aufgreifen, wenn sie sich sensationell präsentieren lassen. Auch der konjunkturelle Aufschrei nach spektakulären Gewalttaten reicht nicht aus.

Journalismus muss auch Politiker beim Wort nehmen und hinterfragen, ob es nicht nur Lippenbekenntnisse sind, wenn sie rechtsextreme Gewalt ächten, aber auf der anderen Seite verharmlosend von einem "Spuk" sprechen wie Roland Koch oder die Angstgefühle in der Bevölkerung systematisch mit dem Blick auf kommende Wahlen aufgreifen und verstärken. Wenn Politiker von "Leitkultur" sprechen, sondern sie bewusst rhetorische Geschosse ab, deren mediale Ballistik strategisch auf kommende Wahlkämpfe berechnet ist. Wenn Wahlkämpfe auf dem Rücken von Ausländern gemacht werden, braucht man sich nicht zu wundern, wenn Gewalttäter die Stichworte aufgreifen und in die Tat umsetzen. ...Die Gewalt, auch die rechtsextreme, springt nicht wie ein Schachtelteufel aus der Box. Diejenigen, die stets Medien für die ubiquitäre Gewalt verantwortlich machen, übersehen, dass diese Gewalt aus gesellschaftlichen Verhältnissen kommt, aus einem unwirtlichen Schoß der Gesellschaft, und dass Gewalt Ausdruck von gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen ist."

Den Begriff "Leitkultur" will auch Oda-Gebbine Holzer-Stäblein nicht den Politikern überlassen, sondern ihn mit positiven und vielleicht gänzlich anderen Inhalten und Werten füllen. "Man darf die Menschen nicht mit einseitigen Worthülsen allein lassen."