Gewinnchance mit hohem Risiko
Über den Bologna-Prozess an den EU-Universitäten und die Eigenart US-amerikanischer Elite-Universitäten
Ein mehrteiliges Gespräch mit Hans Ulrich Gumbrecht, der an der Stanford University Vergleichende Literaturwissenschaft lehrt und in die USA übergesiedelt ist, über Patriotismus und Sportfaszination, über universitäre Bildung und College-Sport, über die Idee des Westens und das Schurkenstaat-Image, das Amerika derzeit in aller Welt genießt.
Seit dem Beschluss von „Bologna“ im Jahr 1998 ist das deutsche Hochschulwesen in Bewegung. Ärger und Freude darüber halten sich bei den Betroffenen aber die Waage. Wie beurteilt jemand, der in Stanford weilt, aber häufig nach Europa kommt, diese Bemühungen und die europaweite Angleichung an internationale Standards wie Bachelor und Master?
Sepp Gumbrecht: Mein erster, Institutionen bezogener Eindruck ist, dass ein Universitätswechsel, beispielsweise von Spanien nach Deutschland oder England, trotz aller EU-Nivellierungen für den einzelnen Studenten immer noch erhebliche Probleme aufwirft. Vor allem was die Förderung oder die Gewährung von Stipendien angeht. Freizügigkeit ist in der komplexen akademischen Welt Europas noch längst nicht realisiert.
Andererseits ist es aber auch immer die spezifische Stärke des europäischen Kontinents gewesen, dass er eine unerhörte Differenzierung von Sprachen, Institutionen und Kulturen auf vergleichsweise engem Raum aufweist. Gerade die Verschiedenheit der akademischen Kulturen war verantwortlich für große Bestände der intellektuellen Energie in Europa. Durch die Überbetonung von Kompatibilität könnte dieser Wert verloren gehen.
Dass man sich mit den BA-Studiengängen an das amerikanische Universitätssystem anpassen will, wirkt auf mich grotesk und tragikomisch zugleich. Im Blick hat man höchstens die Top Twenty-Five der knapp zweieinhalbtausend „Universitäten“ in den Vereinigten Staaten, ein Prozent des amerikanischen Universitätssystems. Ein „System“ in diesem Sinn gibt es aber gar nicht. Selbst innerhalb des staatlichen „University of California Systems“ sind die Unterschiede zwischen Berkeley oder UCLA, oder zwischen Berkeley, UCLA und San José State, das nochmals einem anderen, „niedrigeren“ staatlichen System in Kalifornien angehört, wohl weitaus größer als heute zwischen den Universitäten Salamanca und – sagen wir – Würzburg.
Und selbst unter den so genannten crown jewels, also den allerbesten Universitäten der Vereinigten Staaten und der Welt, ist Stanford ganz anders als Yale, das wiederum grundlegend von Princeton oder Harvard verschieden ist. Wenn ein Schüler im vorletzten Highschool Jahr ist und es um die Frage geht, wo er studieren möchte, sollte und kann, dann versucht man neben seinen Noten [„kann“] und seinen Interessen [„möchte“] auch herauszufinden, welcher Campus für seinen Charakter, sein Naturell am besten ist [„sollte“]. In dieser Hinsicht hat auch Europa einmal eine ungeheuer reiche und differenzierte Kultur gehabt, von der ich hoffe, dass sie trotz Bologna nicht ganz nivelliert und zerstört wird.
Der „Geist“ von Stanford
Was macht denn den besonderen „Geist“ oder „Charme“ von Stanford aus, den unsere Bildungspolitiker so bewundern und auf den sie auch mit gewissem Neid blicken?
Sepp Gumbrecht: Der Sprung von Stanford auf das Niveau der Ivy League Schools [die Ivy League ist ursprünglich eine Liga für College-Mannschaften im American Football, deren Institutionen – mehr oder weniger zufällig – im frühen 20. Jahrhundert zu den sprichwörtlich besten Universitäten geworden sind] hat nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden, und zwar in den 1950ern, Anfang der 1960er. Wegweisend waren seinerzeit unsere Ingenieurswissenschaften, die Business School, die Law School und, mit gewissen Abstrichen, auch die Medical School – allesamt pragmatische Fächer. Silicon Valley ist sozusagen ein Nebenprodukt dieses Aufstiegs unter die Top Five.
In der Stanford-Kultur hat der Denk-, aber auch jener Lebensstil, den diese Fächer vorgeben, zweifellos eine gewisse Dominanz. Das wissen auch unsere College-Bewerber, die statistisch gesehen eher dem „techy“ als dem „fuzzy“-Typ entsprechen [„fuzzies“ sind die Studenten und Professoren, die sich vor allem für „weiche“ Inhalte, also die Geisteswissenschaften, interessieren]. Es wird an privaten amerikanischen Universitäten sehr genau Buch darüber geführt, wer, welcher Typ unter den besten Highschool Abgängern sich an welche Universität bewirbt.
Die besten Naturwissenschaftler im Land bewerben sich tendenziell nach Stanford, während sich die allerbesten Geisteswissenschaftler traditionell für Yale entscheiden. Ausnahmen und Trends der Veränderung gibt es natürlich beständig. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass die Geisteswissenschaften in Stanford nicht großzügig gefördert würden oder sie nicht gut wären. Im Gegenteil, der Dialog, die Herausforderung und den Kontakt mit den hervorragenden Kollegen und Studenten aus diesen anderen Fächern und intellektuellen Stilwelten nutzt uns Dozenten in den Geisteswissenschaften – und unseren Studenten. Studenten, die in meinen Seminaren sitzen, pflegen mitunter eine ganz andere Herangehensweise an geisteswissenschaftliche Themen oder Stoffe als die mir vertrauten. Die Art und Weise, wie sie Fragen stellen, ist für mich oft provokativ, weil sie schräg zu meinen eigenen Denkformen ist und ich dies so nicht erwarte.
Der Geist, der in Stanford weht, ist gewiss ein nicht dominant geisteswissenschaftlicher. Aber es ist doch ein Geist, ein starker, sehr spezifischer Geist, dessen „Erscheinung“, um beim quasi-religiösen Vokabular zu bleiben, niemand geplant oder explizit gewollt hat. Er ist da – und er ist ein Produkt jeweils lokaler geschichtlicher Kontingenz.
Warum ist es so schwer, diese „Kultur“ – oder besser vielleicht: diese Kulturen – auch auf den „alten Kontinent“ zu übertragen? Liegt das an der europäischen Mentalität und ihren Borniertheiten? Oder welche Hemmungen und Hemmnisse stehen dem entgegen?
Sepp Gumbrecht: Eine Eliteförderung staatlich verordnen zu wollen, das kommt mir immer so vor, wie wenn ein Paar sagt, wir haben heute Abend Sex und das Kind, das wir dabei zeugen, soll unbedingt ein Elitekind werden. Die beiden akademischen Institutionen in Europa, die am klarsten Elitebildung betreiben können, sind die Ecole Normale Superieure in Paris und die Scuola Normale Superiore in Pisa. Beide sind als Lehrerbildungsanstalten gegründet worden.
Das Entstehen und die Entwicklung von erfolgreichen Eliteinstitutionen haben mit Personen zu tun, mit historischen Konstellationen – eben mit dem nicht Planbaren und Verfügbaren. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass staatliche Eliteförderung ganz unmöglich ist. Aber sie muss immer verstanden werden als Bereitstellung eines Rahmens von Möglichkeiten. Ob diese Möglichkeiten dann zu Wirklichkeiten werden, das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Nehmen wir die Stiftung Maximilianeum und die Stiftung Wittelsbach, die jedes Jahr die fünf [oder mittlerweile zehn] besten bayerischen Abiturienten unterstützen. Es ist in gewisser Hinsicht erstaunlich, wie wenig produktiv sie im Hinblick auf „Elite-Produktion“ gewesen sind. Die beiden einzigen Stipendiaten mit großem [wenn auch extrem verschiedenen] Rang und Namen unter den mittlerweile 850 Stipendiaten in den über 150 Jahren seit der Gründung des Maximilianeums waren Werner Heisenberg und Franz-Josef Strauss. Daneben gibt es ein paar Leute, die es zu etwas gebracht haben. Aus der Mehrzahl der besonders Geförderten sind hingegen – vielleicht besonders qualifizierte – Studienräte, Regierungsräte oder Staatsanwälte geworden. Es kann sein, dass diese Leute genau die Funktionen erfüllen, von denen Maximilian II. einst geträumt hatte. Möglicherweise haben sie einen langfristigen Einfluss gehabt auf die Reputation der „Lehre des Rechts und der Rechtspflege“ in Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern. Die Erwartung, die man heute gemeinhin an eine Eliteinstitution stellt, hat das Maximilianeum nicht erfüllt. Aber das scheint weder die Geldgeber, den bayerischen Staat oder das Haus Wittelsbach, noch die jeweiligen Leiter der Institution zu stören. Und vielleicht haben sie ja Recht. Vielleicht ist der Elite-Begriff, der derzeit die deutschen Diskussionen verhext [oder nur verhexte] allzu vage – und mithin naiv.
Dennoch: Was macht den Unterschied zwischen Stanford und deutschen Einrichtungen aus?
Sepp Gumbrecht: Fragen mich Kollegen oder Freunde, an welche Universität in Deutschland sie ihren Sohn oder ihre Tochter schicken sollen, dann kann ich sie immer beruhigen. „Du kannst nicht fehlgehen“, sage ich ihnen, „keine deutsche Universität ist grottenschlecht.“ Gewiss sind die LMU oder die Humboldt-Universität besser als die Gesamthochschule Duisburg. Doch auch in Duisburg kann man Substantielles lernen. Das ist ein großer Wert. Und vielleicht ist das deutsche Universitätssystem darin international gesehen einmalig oder doch wenigstens führend. Für diesen hervorragenden Durchschnitt bezahlt man dann eben unter anderem den Preis, dass Eliteförderung in diesem institutionellen Rahmen schwer zu legitimieren und vor allem zu praktizieren ist.
Was macht den Charme von Stanford aus? Was verleiht Stanford unnachahmlichen Charakter und Stil? – Stanford, so sagt man, ist heute vielleicht die allerbeste Wahl für schnellen beruflichen finanziellen Erfolg, Stanford ist auch die Top-Universität, an der Sport die mit Abstand größte Rolle spielt, Stanford ist aber auch, heißt es, kein besonders guter Ort [trotz oder gerade wegen aller landschaftlichen Schönheit] für „romantische Beziehungen“, wie man bei uns sagt – kein guter Ort, um sich zu verlieben. Nicht nur diese „Reputation“ ist dann Teil der Stanford-Kultur und des Stanford Charmes – auf sie reagiert man auch, selbstironisch, kritisch, affirmativ im Alltag.
Das geht bis hin zu öffentlichen Gemeinheiten. Weil Berkeley, unsere Nachbaruniversität, so sehr auf ihre linke Tradition und ihre politische Korrektheit pocht [und auch, weil die Zulassungsvoraussetzungen einen Hauch niedriger sind als in Stanford] singen unsere Studenten jedes Jahr beim BIG GAME, dem großen Football-Derby zwischen den beiden Unis, zu den Studenten von Berkeley gewandt: „one day, you gonna work-for-us.“ Die Berkeley-Studenten hingegen glauben [wohl nicht ganz im Ernst], dass die meisten Stanford-Studenten verwöhnte Milliardärskinder sind. Allgemeiner formuliert: Diese Universitäten haben ein hohes, beinahe schon „persönliches“ Profil – und, wer weiß, vielleicht hilft das beim Forschen, Lehren und Lernen.
Offen und attraktiv für Talente
Die amerikanische Nation ist auch deshalb so stark, sagt man, weil es ihr immer wieder gelingt, ausländische Talente und Intelligenz anzulocken und zu integrieren. Du bist ein leibhaftiges Beispiel dieser Politik der beständigen Blutzufuhr und Blutauffrischung. Was müsste hierzulande geschehen, dass hochqualifizierte Inder, Ukrainer und Osteuropäer sich hier auf Dauer niederlassen statt Deutschland als Sprungbrett für den Weg nach Übersee zu benützen?
Sepp Gumbrecht: Ich würde deine Frage gern umformulieren. Es ist geradezu das Wesen Amerikas, für Leute offen und attraktiv zu sein, die ein Risiko auf sich nehmen – und nach intensiver existentieller Verwirklichung suchen [auch wenn Durchschnittsamerikaner solche Worte nie gebrauchen würden]. Das war – im stark religiösen Licht – der Ursprung dieses Landes und das hat sich durch die Immigrationswellen des 19. und 20. Jahrhunderts fortgesetzt und weiterentwickelt.
Es gibt ja kaum staatliche Programme, um besonders talentierte Leute ins Land zu holen – mit Ausnahme sehr kurzfristiger steuerlicher Vergünstigungen. Meine Berufung nach Stanford zum Beispiel hatte gar nichts mit einer nationalen Programmatik zu tun. Stanford, hoffe ich, war der Meinung, ich sei der international beste Kandidat in einer bestimmten Altersgruppe für eine bestimmte Position. Und als Lehrender und Forschender versucht man, in diesem System schnell, ganz einfach so gut wie möglich zu sein. Werden Harvard oder Yale auf dich aufmerksam, so wird bald auch ein Ruf an eine dieser Universitäten erfolgen, gleich, ob man aus Sri Lanka, Sizilien oder Deutschland kommt. Aber nicht, weil das ein bewusstes Programm ist, sondern, weil das Land eben so – natürlich wettbewerbsorientiert – funktioniert. Das ist nicht anders bei der Evaluation meiner Lehre durch meine Studenten. Ist die über zehn Jahre lang gut, dann gestaltet sich auch meine Gehaltsentwicklung in Stanford verglichen mit allen anderen Universitätssystemen beinahe traumhaft. Außerdem genieße ich gewisse andere Privilegien, die zu rechtfertigen der Universität nie in den Sinn käme, solange ich nur gut „funktioniere.“
Und das, obwohl der Leumund oder das Image des Landes nicht gerade gut sind.
Sepp Gumbrecht: Vielleicht verändert sich gerade in unserer Zeit etwas an dieser Tradition – natürlich hoffe ich, dass dies nicht der Fall ist. Mittlerweile ist es nämlich extrem schwierig geworden, eine Arbeitsgenehmigung in den USA zu bekommen. Will mich Stanford als „full professor“ einstellen und ich habe keinen amerikanischen Pass, so muss Stanford beweisen, dass es keinen American Citizen gibt, der vergleichsweise genauso gut ist wie ich. Letztlich sagt dieser Beweis, zumal in den Geisteswissenschaften, nichts, aber die Regelung schafft hohen institutionellen und individuellen Druck.
Tatsache ist aber offenbar trotzdem, dass unser Land für Talente weiter sehr attraktiv ist, obwohl man das in Europa längst nicht mehr gerne hört. Viele junge Leute wollen unbedingt hierher – trotz der objektiv bestehenden Schwierigkeiten der Immigration. Versucht man das auf eine Formel zu bringen, so liegt ein Begriff wie „Gewinnchance mit hohem Risiko“ nahe. Wer hier erfolgreich ist, das gilt wohl weiterhin, ist hier sozusagen „intensiver“ erfolgreich, einflussreich und reicher als in anderen Ländern. Das Entsprechende gilt für jeden Misserfolg in einer Gesellschaft, die ein staatlich gepflegtes System sozialer Sicherheit nicht kennt. Das ist alles hinreichend klar – und sollte zumal für die, die sich von den Vereinigten Staaten nicht angezogen fühlen, kein Grund zur Verstimmung oder gar zum Protest sein.
Was könnte denn Deutschland tun, damit diese Begabungen und Talente hier bleiben?
Sepp Gumbrecht: Das ist nicht mein Problem. Ich zerbreche mir höchstens den Kopf darüber, wie man sicherstellen kann, dass hochqualifizierte Studenten und Kollegen aus allen Ländern weiterhin nach Stanford kommen wollen. Und weil diese Zahlen steigen, muss ich mich da nicht besonders anstrengen.
Seien wir doch ehrlich. Es ist höchst unrealistisch, wenn sich die heute in der Mitte des Lebens befindlichen [und die jüngeren] Deutschen einbilden, das Land sei „everybody’s darling“ geworden, nur weil sich die Deutschen irgendwann vorgenommen haben, in Zukunft „nett“ zu sein und auf dieser Grundlage auch noch das moralische Weltgewissen zu verkörpern. Deutschland hat wohl eher weiterhin das Image eines dunklen, unfreundlichen Landes mit aggressiver Ausländerfeindlichkeit [so haben es schon Cäsar und seine Legionäre gesehen!]. Dieses Bild mag völlig ungerecht sein. Aber ich vermute, dass solche Images, die immer auch auf historische Situationen zurückgehen, viel langlebiger wirken, als man es in Deutschland gerne hätte und als es eben auch „gerecht“ wäre. Aber woran sollte man eine solche Gerechtigkeit messen?
Ein Blick in die englische Tagespresse wirkt häufig ernüchternd, vor allem was ein realistischeres Verhältnis der Deutschen zu ihrer internationalen Reputation angeht. Amerika hat, anders als England, aber auch Frankreich, einen „soft spot“ für Deutschland schon immer gehabt – und viele Amerikaner fühlen sich etwas waidwund, wenn sie nun wahrnehmen, wie ignorant und oft arrogant anti-amerikanisch viele Stimmungen in Deutschland mittlerweile geworden sind.
Klammheimliche Freude
Nun scheint auch an Elite-Unis nicht alles Gold, was glänzt. Nimmt man beispielsweise Tom Wolfes „Ich bin Charlotte Simmons“ zur Hand, gewinnt man den Eindruck, dass an der Ivy League ein Sündenpfuhl herrscht. Statt klösterlicher Strenge und Selbstdisziplin, bewegen Suff, Sex und modischer Schnickschnack die Köpfe der Kommilitonen. Die Pointe ist, und deswegen frage ich dich das auch, dass er für das Buch auch mehrere Jahre in Stanford recherchiert und auch an diversen Partys teilgenommen hat.
Sepp Gumbrecht: Natürlich gibt es eine klammheimliche Freude der demografischen Mehrheit, wenn etwas herauskommt, was an diesen Super-Institutionen nicht gut läuft – zu denen ja, das darf man nicht vergessen, nur ein sozial rotierender Bruchteil der Bevölkerung sich Zutritt erwerben kann. Erstaunlich ist für mich aber noch mehr, dass europäische Leser Wolfes offenbar an dieser Freude teilhaben, obwohl sie, was den Sündenpfuhl-Vorwurf angeht, räumlich und existentiell von den Ivy’s und von Stanford ja Lichtjahre weit entfernt sind. Sie haben, so oder so, keine Ahnung, wie sich denn das Leben auf so einem Campus abspielt.
Der moralische Druck im Land, und mithin auch der Anspruch an solche amerikanische Elite-Institutionen ist sehr hoch, auf dem flachen Land zwischen den Küsten gewiss noch höher als in Massachusetts oder der Bay von San Francisco. Die Küsten, und noch mehr die besten Universitäten, sind in dieser Hinsicht wie Inseln, die Europa und seiner Moral näher sind und deshalb auffallen. Von daher kommt die amerikanische Lust, in Yale oder Stanford Skandale zu entdecken, die es vielleicht gar nicht [oder nur als Ausnahmefälle] gibt. Wenn jemand sagt: „Sexual preference or your sexual practice is supposed to be everybody’s responsibility“, dann kann er sich unter außer-akademischen amerikanischen Alltagsbedingungen mit Recht für sehr progressiv halten, und das gilt auch noch, wenn nicht weiter nachgefragt wird, obwohl man mit dem Satz eigentlich nicht einverstanden ist. In den akademischen PC-Welten allerdings wird aus angeblich progressiven politischen Gründen nachgefragt, weil man den Ehrgeiz hat, seine Toleranz oder gar seine Präferenz für Minderheiten-Sex zu „affirmieren“ – und man kann diskutieren, ob die offensichtliche „Umkehrung der traditionellen moralischen Werte der Nation“, die hier betrieben worden ist [etwa nach dem Motto: „Schwuler Sex ist der politisch korrektere Sex“], nicht strukturell gesehen nur eine neue Variante des alten Fundamentalismus war. Anders gesagt: Vieles was an den Colleges vorgeht und in Europa kaum Anstoß erregen würde, ist für den Durchschnittsamerikaner im Bible Belt skandalös – obwohl, das ist sozusagen meine Pointe, der politisch korrekte Sex intrinsisch eine Form des Fundamentalismus sein könnte.
Aber um nicht nur so defensiv zu reagieren – es gibt durchaus prominente Colleges, die bekannt dafür sind, dass sie ein Alkoholproblem in ihren dorms haben. Von Dartmouth, einem sehr prominenten College, wird das oft gesagt. Man redet davon dann wie von einem Virus, von dem man sich nicht ohne weiteres befreien kann und der von Generation zu Generation weitergegeben wird. Warum ist das so?
Die Erklärung findet man in einigen Fällen, wenn man auf die Karte schaut. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Colleges an sehr abgelegenen Orten gegründet, damit die Studenten nicht Prostituierten, Tabak oder dem Alkohol „verfielen.“ Das Pendel schlägt heute zurück. Im Winter ist es dort in Dartmouth so kalt und so langweilig, dass man die Zeit mit Alkohol „totschlagen“ muss.
Grundsätzlich ist mein Eindruck – nicht nur von Stanford – aber ein ganz anderer als der von Wolfe [und ich werde nun nicht gleich konzedieren, dass ich seit siebzehn Jahren ganz blind durch meine eigene Alltagswelt laufe]. Wie hart und mit welcher Motivation, die nicht unbedingt primär berufsqualifizierend ist, fast alle unserer Studenten arbeiten, das ist das wirklich erstaunliche Faktum. Ich frage mich oft, ob ich solche Härte und Ausdauer mit achtzehn oder zwanzig Jahren auch schon an den Tag gelegt hätte.
Interessant wird das Ganze durch die Tatsache, dass George W. Bush, der wie sein Rivale John Kerry in Yale derselben Fraternity angehörte, den Roman zu seinem Lieblingsbuch erklärt und es Freunden zur Lektüre empfohlen hat.
Sepp Gumbrecht: Das ist nicht so überraschend – eigentlich nur, wenn man Bush zum religiösen Monster dämonisieren will. Ich vermute eher, dass er persönlich der eher sympathische Durchschnittstyp ist – das ist wohl ein Grund, warum er in Wahlkämpfen so erfolgreich ist. Jedenfalls – College ist für viele, College war für George Bush, die eine Zeit im Leben, wo Exzesse des Austobens gewährt wurden – danach geht man dann umso motivierter in die Kirche. Außerdem leben auf so einem Campus im Normalfall so etwa 12.000 bis 15.000 Studenten, da gibt es schon immer pockets, in denen der Pegel des Austobens besonders hoch ausschlägt. Und ich will gar nicht behaupten, dass das absolute Ausnahmen wären. Dennoch [und noch einmal] meine ich, dass das der Grundtenor oder die Stimmung des Campus ein anderer ist. Jeden Morgen habe ich das Gefühl großer Konzentriertheit. Die allermeisten College-Studenten wollen die vier Jahre intensiv nutzen.
Was Bush angeht – da tut sich eine Parallele zu Kohl und dem Kohlbild auf. Ich will noch einmal sagen, dass er gewiss nicht so dumm sein kann, wie der Durchschnittseuropäer sich das vorstellt und auch gemeinhin wünscht. Das Studium in Yale ist ihm gewiss nicht geschenkt worden. Selbst der Reichtum und die Geschichte seiner Familie allein hätten ihm nicht den Yale-BA erwerben können. Zieht man seine Noten aus jener Zeit heran, könnte man sich allerdings vorstellen, dass er das Intellektuell-Positive, das ein Campus bieten kann, kaum ausschöpfen wollte [oder konnte].
Future Leaders of the US
Neben der Profilbildung auf nationaler Ebene kommt für eine erfolgreiche Bewerbung an eine der Elite-Unis vor allem dem sportlichen, sozialen oder musikalischen Engagement große Bedeutung zu. Gesucht wird „leadership potential“, also die Fähigkeit, andere bei der Erreichung eines Ziels anzuleiten, Aufgaben zu delegieren und Verantwortung zu übernehmen. Bleiben dabei feinsinnige Talente, ich denke da an Holden Caulfield, den Helden in J. D. Salingers „Der Fänger im Roggen“, die diesem Anforderungsprofil nicht genügen, nicht auch auf der Strecke?
Sepp Gumbrecht: Es bleiben immer einige hervorragende Leute auf der Strecke, wenn es Qualifikations- oder Aufnahmeschwellen gibt, wie immer die Anforderungskriterien auch festgelegt sind. Beim Universitätsranking spielt die quality of the student body dieselbe Rolle wie die Forschung der Professoren; und die Zahl der hochbegabten und leistungsfähigen Schüler, die sich für eine gewisse Universität entscheiden, ist mindestens so wichtig für das institutionelle Prestige wie die Veröffentlichungen der Professoren oder, an einigen Universitäten, die Nobelpreise, die sie errungen haben. Es liegt also im vitalen Interesse jeder Universität, möglichst viele der besten Studenten zu bekommen. Zwar gibt es nirgendwo mehr bis ins Einzelne festgelegte Definitionen davon, was den oder die Besten auszeichnet. Nicht einmal der allerbeste Notendurchschnitt garantiert die Aufnahme ins College. Jede Bewerbung wird von mehreren Personen gelesen und dann ausführlich diskutiert. Auf diese Weise versucht man zu einem Urteil zu kommen, ganz im Sinn der Kantischen Urteilskraft.
In den siebzehn Jahren, die ich in Amerika bin, hat sich die Tendenz der Aufnahmekriterien sehr verändert. Als ich kam, war der well-balanced student das Ideal. Mittlerweile sucht man nach dem angular student, man ist interessiert an intellektuell „eckigen, kantigen Typen“ und ist dafür etwas großzügiger bei den Noten. Das Panorama dessen, was als positiv feature oder eben als „angle“ gelten kann, ist eigentlich unbegrenzt. Es muss auch nicht unbedingt Cello spielen sein, Schacholympiade oder irgendein Sport. Wichtig ist, dass ein Kandidat – so früh in seinem Leben – überhaupt schon ein Profil hat.
Daher ist einer der wichtigsten Jobs an allen Top-Universitäten der des Dean of Admission. Er liest natürlich nicht selbst alle Bewerbungen durch. Aber er stellt jene Leute an, die Urteile über Bewerbungen fällen, die bestimmte Trends setzen, welche dann nicht selten auf nationaler Ebene kopiert werden, Leute, die zum Beispiel darüber befinden, welcher Typ von Studenten und Kollegen eben gesucht wird. Auch dies zeugt wieder von jener hochgradigen Differenziertheit der amerikanischen Universitäten, von der wir anfangs gesprochen haben. Mit Luhmanns Worten formuliert: Gerade weil jede Einzeluniversität in Amerika als System so geschlossen ist, können es sich diese admission systems leisten, äußerst kontextsensibel zu sein. Je geschlossener, desto offener, nach diesem Prinzip funktioniert die Zulassung, vielleicht ohne es immer zu wissen.
Keine Universität, die erfolgreich sein will, könnte es sich leisten, bestimmte Veränderungen in ihrer Umwelt nicht wahrzunehmen und darauf nicht zu reagieren. Früher galt als der future leader of the US ein Yale- oder Harvard-Student, der dort auf die Law School gehen wollte und Cello spielte. Heute ist es der Stanford-Student, der im freshman year bereits sein erstes Softwareprogramm geschrieben hat und sich für College-Basketball engagiert.
Für mich liegt die Veränderung in diesem Sektor nicht einfach in neuen Inhalten. Vielmehr ist es eine zutreffende Beschreibung der neuen nationalen Situation, wie sie die NYT vor vier oder fünf Jahren beschrieben hat. Selbst Harvard kann es sich fortan nicht mehr leisten, stur und ausschließlich auf Harvards Traditionen zu setzen. Auch die besten Colleges müssen kontextsensibel werden. Als Summers, der damals neue Präsident von Harvard, bei seinem ersten Interview von der NYT nach dem höchsten Ziel für seine Amtszeit gefragt wurde, erklärte er, dass er möchte, dass seine Studenten denen von Stanford nicht nur ähnlicher werden (was uns natürlich sehr gefreut hat), sondern auch, dass sie stärker scientifically literate werden sollen, also naturwissenschaftlich gebildeter, ohne die kulturelle Bildung, zu vernachlässigen.
College statt Nation
Warum hat der Sport eigentlich eine so ungeheure Bedeutung an den Colleges? Liegt das allein daran, dass er ein Riesengeschäft für alle ist? Immerhin werden die Spiele live im Fernsehen übertragen, prominente Trainer mit Millionen Jahresgehältern verpflichtet und neue Stadien wie gerade in Stanford und Michigan mit Kapazitäten von knapp 100.000 Zuschauern errichtet, die ständig ausverkauft sind.
Sepp Gumbrecht: Für einen Amerikaner, der überhaupt aufs College gegangen ist, gibt es wohl im Normalfall keine stärkeres Identifikationsobjekt als die Teams seines Colleges. Ob man in Yale, an der UC Davis oder in Stanford „zur Schule gegangen ist“, das spielt für die eigene Identität oft eine noch wichtigere Rolle als die Tatsache, dass man „ethnisch“ Italian, German oder Scandinavian ist. Den Begriff „Nationalmannschaft“ gibt es hingegen nicht wirklich.
Das erste amerikanische Basketball-Team, das wirklich alle und nur die besten Spieler des Landes zusammenbrachte, hieß deshalb auch „Dream Team“ und nicht „US national team“. Die Identifikationsrolle, die zum Beispiel die deutsche Nationalelf bei der WM einnimmt, die übernimmt für die meisten Amerikaner ihre College-Mannschaft. Da wird ungeheuer viel Leidenschaft investiert. Im März, wenn es um die Basketballmeisterschaft der Colleges geht, befindet sich die Nation, wie man sagt, etwa im Zustand der „March madness“.
Die Identifikation via Sport ist, soziologisch gesehen, also in Amerika anders als in den meisten anderen Ländern: College statt Nation. Bei den Alumni gibt es immer schon die Erwartung, dass die gegenwärtigen Stanford-Teams eine große Tradition fortführen. Sollte Stanford morgen beschließen, keinen College-Sport auf höchster Ebene mehr zu praktizieren, so würde sich das höchst negativ auf die Spendenfreudigkeit der Ehemaligen auswirken. Und zwar auch und vor allem sogar auf die Spenden, die sie für Akademisches machen.
Der Sport spielt vor allem deswegen eine so große Rolle, weil er, so meine eigene, neopatriotische Deutung, dazu dient, die eigenen Grenzen auszutesten. Man will sich im Wettbewerb mit anderen beweisen und zeigen, dass man in vier Jahren den Bachelor in Stanford machen und zugleich Basketball unter Profibedingungen spielen kann. Siebenmal die Woche wird in den meisten College-Sports trainiert. Ist die Saison zu Ende, wollen die College-Sportler manchmal, obwohl sie den BA schon in der Tasche haben, lieber noch mal mit mir einen Parcours durch die „Geschichte der westlichen Philosophie“ machen, als einfach zu entspannen. All das schließt selbstverständlich nicht aus, um auf die Frage nach Alkohol, Weibern und Partys zurückzukommen, dass Sportler sich auch ganz anders verhalten können.
Und daneben ist der College-Sport gewiss eine erstaunlich potente Geldmaschine. Es werden Hunderte von Millionen umgesetzt, die aber nicht der Universität als Institution der Lehre zugute kommen, sondern ausschließlich den Athletic Departments. Weswegen die Athletic Departements finanziell fast überall von der Universität abgekoppelt sind. In diesem Kontext gibt es dann illegale Zahlungen, Schmiergelder, kleine Spesenkanäle, aber ich weigere mich bis auf weiteres auch diesmal, all diese Phänomene als Pauschaldeutung für den College-Sport zu akzeptieren. Diese Sportlertypen haben eher, wie gesagt, Spaß dran, die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit beständig auszutesten und zu verschieben. Da die Konkurrenz enorm groß ist, müssen sie sich auch gegenüber Misserfolg tolerant zeigen. Zumal es für jede Position im Footballteam Alternativen gibt, jeder aber in der Startaufstellung sein will.
Stimmt es, dass Hochschullehrer schwache Leistungen oder geringes Leistungsvermögen auch mit guten Noten honorieren und eine Art „Sozialarbeit“ für die Sportler verrichten?
Sepp Gumbrecht: Meine Erfahrung im Umgang mit College-Sport ist exklusiv auf Stanford bezogen. Keine andere Universität ist so gut im College-Sport wie unsere. Was nun deine Frage angeht, so will ich sagen, wie sehr und wie zunehmend ich Schwierigkeiten mit dem Anspruch habe, dass der beste Intellektuelle stets der sein muss, der auf worst case scenarios setzt. Nur demjenigen wird in unserer Kultur der höchste Durchblick attestiert, der das, was andere für wertvoll oder interessant halten, selbst geradezu für verrottet findet. Den Kritikern des Sports in Amerika geht es dabei nie um Sport oder Sportästhetik allein, sondern allein darum, ob man über Sport prinzipiell überhaupt so positiv reden kann und soll. Schließlich engagiere ich mich sehr für College-Sport und zwar deswegen, weil ich der Meinung bin, dass das Potential von College-Sport, unter Stanford-Bedingungen, etwas Einmaliges und Hochinteressantes ist. Seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. und seit den Tagen von Athen hat es eine solche Konvergenz von hoher Intelligenz und physischer Leistungsfähigkeit wohl nicht mehr gegeben.
Welchen Einfluss hat eigentlich der Coach auf die Notenvergabe und den College-Abschluss? Stimmt es, dass er (oder auch die Athletic Departements) im Prinzip mehr Macht und Ansehen haben als Hochschullehrer und Unipräsident?
Sepp Gumbrecht: Akademischen Einfluss hat der Coach bei uns überhaupt nicht. Der Stanford Football Coach sagte mir einmal, dass sein Vertrag ausführt, dass er sofort entlassen werden muss, wenn je bekannt würde, dass er sich in das akademische Zulassungsverfahren oder in die Notenvergabe eingemischt hat. Man mag dies in Florida State oder auch an der besten Football Universität, der University of Southern California, etwas weniger eng sehen. Auf der anderen Seite verdienen gute Football- oder Basketballcoaches sehr viel mehr als die Universitätspräsidenten. Ich nehme an, dass in Stanford das offizielle Gehalt des Präsidenten bei einer halben Million Dollar pro Jahr liegt und das der beiden Coaches in den populärsten Sportarten etwa doppelt so hoch ist. Aber darüber regen sich hier nur Professoren mit besonders kleinen Gehältern auf. Ich habe gelernt zu sagen und zu denken, dass solche Verhältnisse eben marktabhängig sind. Anscheinend gibt es weniger hochqualifizierte Footballcoaches im Hinblick auf die Anzahl der bestehenden Stellen als qualifizierte Kandidaten für das Amt des Universitätspräsidenten.
Es wird auch kolportiert, dass extra Plätze für so genannte „VIP cases“ freigehalten werden, für Kinder wichtiger Politiker, Wirtschaftsbosse oder großzügiger Alumni, deren Präsenz Elite-Unis gut für Marketingzwecke nutzen können.
Sepp Gumbrecht: Die Tendenz verläuft, so mein Eindruck, genau umgekehrt. Die Hewlett Foundation, die mittlerweile mit der Firma „Hewlett & Packard“ nichts mehr zu tun hat, aber sehr wohl mit den beiden Familien Hewlett und Packard, hat Stanford vor Jahren eine Spende in Höhe von 400 Millionen Dollar gewidmet, 300 Millionen davon übrigens zweckgebunden für die Geisteswissenschaften, was die bis damals größte Spende in der Universitätsgeschichte Amerikas überhaupt war. Genau in jenem Jahr hat sich eine Hewlett-Enkelin in Stanford beworben und wurde nicht akzeptiert. Sie wäre, spekuliere ich manchmal, vielleicht sogar angenommen worden, wenn sie nicht Hewlett geheißen hätte. Denn sie als eine national celebrity Familienangehörige abzulehnen, war für Stanford natürlich viel PR-trächtiger als sie gerade noch so aufzunehmen. Dies beweist, wie gnadenlos objektiv unsere Aufnahmestandards sind.
Ein anderes Beispiel: Jedes Jahr wird im College neu ausgelost, wo die Studenten im nächsten Jahr wohnen müssen [praktisch alle Studenten leben auch auf dem Campus]. Chelsea Clinton hat dabei in ihren Stanford-Jahren stets das allerschlechteste Studentenheim gelost – gewiss nicht zufällig. Auch als Chelsea sich entschlossen hat, Spanisch zu lernen, ist sie genau dem einen Spanischdozenten unter fünfundzwanzig möglichen „zugelost“ worden, der einen starken deutschen Akzent hat.
Die Auswahl und auch zum Teil die Behandlung unserer Studenten folgt zum großen Teil einer ganzen anderen Logik als der von dir unterstellten. Aber nicht, weil Stanford zum Beispiel so engelsgleich-fair wäre, sondern weil das im Sinn einer intelligenten Unternehmensführung viel produktiver ist. Einer der Manager unseres Footballteams, hat mir kürzlich gemailt, dass einer der Top-Recruits for Football deswegen nicht zugelassen wurde in Stanford, weil er bereits ein berühmter Highschool-Spieler und daher nationally visible sei. Hätte er nicht diesen speziellen Status gehabt, wäre er sehr wahrscheinlich genommen worden. Aber die Universität will stets den Eindruck vermeiden, dass etwas anderes als intellektuelle Fähigkeiten bei der Aufnahme eine wichtige Rolle spielen.
Einem Bericht über die Universität of Michigan konnte man kürzlich Gegenteiliges entnehmen. Will ein Trainer einen Spieler haben, bekommt er ihn auch. Das „full scholarship“ übernimmt das athletic departement. Und ein System von Tutoren und academic advisors sorgt dafür, dass der student athlete auch den Abschluss schafft, mit dem ihm, auch wenn er später bei keinem Proficlub unterkommt, alle beruflichen Türen weit offen stehen.
Sepp Gumbrecht: Jede Universität hat ihre eigenen internen Regeln für die Zulassung [daneben gibt es sehr unnachgiebige nationale Rahmenregelungen] – und die in Michigan [einer hervorragenden Universität] sind anders als bei uns. Trotzdem glaube ich nicht, dass irgendein Coach in Michigan die Zulassung eines jungen Mannes durchsetzen kann, von dem man weiß, dass er den akademischen Anforderungen nie genügen wird. Möglich ist, dass das Footballtalent dort eine viel größere Rolle bei der Zulassung spielt als bei uns. Stipendien für Studenten, die in der einen oder anderen Hinsicht [nicht nur im Sport] besonders begabt sind, die gibt es überall – aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du daran etwas auszusetzen hättest.
Im dritten Teil beschäftigen wir uns mit der Sportbegeisterung, die auf beiden Kontinenten ziemlich gleich ausgeprägt ist, in der wir aber erhebliche mentale und kulturelle Unterschiede zwischen Amerika und Europa feststellen.