Gewinner und Verlierer des Ukraine-Kriegs

Seite 2: Hunger, Wohlstandverluste, Weltuntergang

Verlierer 3: Europa

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat eine geopolitische Krise mit wirtschaftlichen, energiepolitischen und sozialen Folgen ausgelöst. Dazu gehört nach Angaben von Unicef die Zunahme der Kinderarmut auch auf dem europäischen Kontinent.

Die wirtschaftlichen Kosten des Krieges und die daraus resultierende Inflation auf dem Kontinent sind die Hauptursachen, die vier Millionen Kinder in die Armut getrieben haben, insbesondere in Osteuropa und Zentralasien. Dem Bericht der Organisation zufolge bedeutet das einen Anstieg von 19 Prozent im Jahr 2021.

Von den 10,6 Millionen Menschen in 22 Ländern, die 2022 in die Armut abrutschen, sind dem Bericht zufolge 40 Prozent Kinder. Diese Zahlen sind alarmierend, zumal Kinder nur 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Es ist nicht verwunderlich, dass die beiden Länder, die im Epizentrum des Konflikts liegen, am stärksten betroffen sind. Nach Angaben von Unicef entfallen drei Viertel des Anstiegs der erfassten Gesamtzahl auf Russland, was 2,8 Millionen Kindern entspricht. Inzwischen sind auch in der Ukraine 500.000 Kinder in Armut geraten.

Die Europäische Investitionsbank (EIB) warnte schon früh, Mitte vergangenen Jahres, vor den Folgen des Kriegs und der Sanktionen gegen Russland auf die Wirtschaft in Europa. Der Krieg in der Ukraine drohe, so die EIB, die wirtschaftliche Erholung in Europa zu gefährden. Der Konflikt und die daraus resultierenden Sanktionen hätten die Ausfuhren von Rohstoffen wie Metallen, Lebensmitteln, Öl und Gas aus der Region unterbrochen und die Inflation auf ein seit Jahrzehnten nicht mehr gesehenes Niveau getrieben.

Nach einem Wachstum von 3,5 Prozent im Jahr 2022 wird die Wirtschaft der Eurozone voraussichtlich stagnieren und 2023 nur noch um 0,7 Prozent wachsen, während die britische Wirtschaft um 0,6 Prozent schrumpfen soll.

Deutschland ist stärker als andere Länder in der EU von russischen Energieimporten abhängig gewesen, so dass nach einem mageren Wachstum von 1,9 Prozent im Jahr 2022 für 2023 eine De-Facto-Stagnation von 0,1 Prozent prognostiziert wird. Die deutsche Industrie wird im Jahr 2023 etwa 40 Prozent mehr für Energie bezahlen als 2021.

Im Zuge der steigenden Energiepreise versuchten die Regierungen in der EU mit großen Hilfsprogrammen ihre Ökonomien zu stützen. Fast 800 Milliarden Euro wurden an staatlichen Hilfen organisiert. Damit konnten die Wohlstandsverluste, die vor allem die unteren Schichten und ärmeren Länder der Union treffen, aber nicht kompensiert werden.

Auf circa 160 Milliarden Euro wird der Wohlstandsverlust vom Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bis zum Ende diesen Jahres allein in Deutschland geschätzt. Auch bei den Gas- und Strompreisen wird, auch wenn sie sich zwischenzeitlich wieder etwas normalisierten, keine Entwarnung gegeben. Man rechnet auch dieses Jahr mit weiter hoher Inflation, hohen Energiepreisen, Wachstumsverlusten und Reallohnverlusten.

Ein milder Winter in Europa und die Hunderte Milliarden an Subventionen für Haushalte und Unternehmen haben die Energiepreise im europäischen Einzelhandel wieder auf das Niveau von 2021 sinken lassen, aber erst, nachdem sie im Sommer 2022 um das Fünffache in die Höhe geschnellt waren.

Die Vereinigten Staaten sind weniger direkt betroffen als Europa, aber ihr Wachstum ging von 5,9 Prozent im Jahr 2021 auf zwei Prozent im Jahr 2022 zurück. Den Prognosen zufolge wird das Wirtschaftswachstum weiter schrumpfen, von 1,4 Prozent im Jahr 2023 auf ein Prozent im Jahr 2024.

Verlierer 4: Zukunft der Menschheit

Niemals zuvor stand die sogenannte Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr, so nah vor Mitternacht. Die Wissenschaftler:innen des Bulletin of Atomic Scientists rückten den Zeiger seit 75 Jahren zum ersten Mal auf 90 Sekunden vor der globalen Katastrophe.

Die Vorsitzende und Präsidentin der Atomic Scientists Rachel Branson sagte in einer Stellungnahme: "Wir leben in einer Zeit nie dagewesener Gefahren, und die Weltuntergangsuhr spiegelt diese Realität wider".

Der Hauptgrund (jedoch nicht der einzige) für das Vorrücken des Zeigers bestünde, so die Bulletin-Wissenschaftler:innen, in den wachsenden Gefahren des Krieges in der Ukraine.

Vor allem die nuklearen Drohungen vonseiten Russlands seien sehr besorgniserregend. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Konflikt außer Kontrolle gerate, wird weiter als hoch eingeschätzt, während man sich dem zweiten Kriegsjahr nähere. Gleichzeitig habe Russland den Krieg auf die Atomkraft-Reaktoren in Tschernobyl und Saporischschja ausgedehnt, mit allen Risiken, die das in sich berge.

Die Effekte des Krieges würden auch die globalen Anstrengungen, den Klimawandel zu bekämpfen, untergraben. Länder, die auf russisches Öl und Gas angewiesen seien, diversifizierten nun ihre fossilen Energieimporte. Was dazu geführt habe, dass Staaten mit fossilen Ressourcen ihre Investments in Erdgas erhöhen, anstatt sie wie nötig abzusenken. In Europa, Nordamerika, Asien, Australien, aber auch vermehrt in Afrika ist die Suche nach und Förderung von fossilen Energieträgern noch einmal ausgeweitet worden.

Vor allem neue Gasfelder wurden erschlossen, in einer Zeit, in der die Klimakrise und der Klimanotstand eskalieren. Obwohl der Krieg auch Investitionen in erneuerbare Energien befördert hat, ist gleichzeitig die fossile Verbrennung forciert worden. Daher stiegen die Treibhausgas-Emissionen global weiter an. Sie erklommen im letzten Jahr einen neuen Rekordstand, wie auch die Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre.