Gewitter über dem Land der Mullahs
USA: Vom "Iraq Liberation Act" zum "Iran Liberation Act"? - Israel zum Angriff auf Nuklearanlagen entschlossen
Eigentlich konnten sich die Mullahs in Iran zufrieden ihre Bärte streichen; ein neues willfähriges Parlament seit Anfang dieses Jahres und keine Studentenproteste in diesem Sommer. Man hatte ganz einfach die Abschlussexamen auf das prekäre Datum verlegt, an dem sich die Proteste jährten. Die Studenten blieben in den Prüfungsräumen. Eine kluge, weise Maßnahme. Doch nach diesem Wochenende müssten die Bartträger ins Grübeln geraten: Es baut sich gewaltiges Unheil über der Teheraner Mullahkratie auf.
Bush macht Wahlkampf und die neuesten zeitgerecht gelieferten Erkenntnisse der 9/11-Kommission über mutmaßliche Kooperationen zwischen Iran und al-Qaida präsentieren willkommene Vorlagen für ein außenpolitisches Gewitter, das beängstigende Parallelen zum Propagandadonner im Vorfeld des Irakkrieges zeigt. Dazu kommt die Ankündigung Israels, dass man dazu bereit sei, gegebenenfalls den iranischen Atomreaktor in Bushehr aus der Luft anzugreifen und zu zerstören. Dass man am Sonntag die Gerichtsverhandlung im Fall der Exiliranerin Sarah Kasemi, die einen Gefängnisaufenthalt im Iran nicht überlebte, nach einem merkwürdigen Verlauf kurzerhand abgebrochen hat, erzürnte nicht nur Kanada sondern auch die internationale Gemeinschaft der Menschenrechtler.
Parallelen zum Propagandadonner im Vorfeld des Irakkrieges
Mindestens acht, wenn nicht gar zehn der Flugzeugentführer vom 9.11., den so genannten Muskelmännern, sollen von Herbst 2000 bis zum Frühjahr 2001 ungehindert in Iran ein-und ausgereist sein; die Grenzschützer sollen Anweisungen von oben gehabt haben, die Pässe der Gotteskrieger entgegen des Usus nicht zu stempeln. Sie wurden also nur durchgewinkt. Darüber hinaus habe Teheran nach dem Anschlag auf die U.S.S. Cole versucht, Kontakt mit der Führung der Qaida aufzunehmen. Bin Laden habe eine Zusammenarbeit aber abgelehnt, da er seine saudische Gefolgsleute und Unterstützer nicht "befremden" wollte.
Soweit die eingedampfte Essenz der Verbindungen zwischen Iran und al-Qaida, die am Wochenende groß aufgetischt wurde. Man habe seine "Energien" vielleicht auf das falsche Land, nämlich den Irak gerichtet, heißt es suggestiv in dem Bericht, den das Magazin Time am Wochenende veröffentlichte. Die Informationen bezog das Blatt von auskunftsfreudigen Quellen, die gute Verbindungen zur 9/11-Kommission haben. Die will ihre Gesamtergebnisse am Donnerstag der Weltöffentlichkeit präsentieren und gibt schon mal reklametechnisch ein paar Körnchen (oder vielleicht schon alles) der sensationellen Entdeckung preis, die man in Washington schon seit einiger Zeit ankündigte: die Verbindungen zwischen Iran und al-Qaida.
Profitables Material für Bushs Wahlkampf
Wieder einmal geht es um Indizien, nicht um Beweise, wie selbst der amtierende Chef der CIA, John E. McLaughlin, einräumt. Die entsprechenden Informationen sollen entweder aus Verhören mit gefangenen Qaida-Mitgliedern stammen oder aus abgefangenen Nachrichten, keine Tschalaberei, solides Material also? Die Replik aus Teheran ist ambivalent. Man gestand ein, dass die Muskelmänner durchaus das Land passiert haben können. Aber die Grenzen zu Afghanistan seien lang und unkontrollierbar, gab man andrerseits zu bedenken. Dazu betonte man nochmals die Entschiedenheit, mit der man alle al-Qaida-Zweigstellen im Lande identifiziert und aufgelöst habe - eine Übertreibung vermutlich, eine Emphase, die Zweifel an einer reinen Weste evozieren kann.
Für Bush bieten die "Enthüllungen" ganz sicher profitables Material für den Wahlkampf. Was die konkrete Politik gegenüber Iran anbelangt, so die Washington Post heute, darüber ließen sich keine genauen Angaben machen. Sicher sei nur, dass Bush jetzt unter Handlungsdruck stünde; ein genaues praktikables Konzept sei aber unbekannt.
Es gebe keinen Plan, nur zwei Lager, diagnostiziert die Zeitung. Das eine Lager ist dabei deutlich in der Mehrheit und äußert sehr bekannte Töne: Eine kürzlich mit großer Mehrheit verabschiedete Resolution des Repräsentantenhauses hat den Gebrauch von "allen angemessenen Mitteln" autorisiert, um Iran davon abzuschrecken, sich Atomwaffen zu beschaffen. Die Terminologie der Resolution - to deter, dissuade and prevent - würde, so die WaPo, derjenigen entsprechen, die den präemptiven Einsatz von militärischen Kräften bewilligt.
"Strafaktionen" gegen Iran
Eine andere Resolution vom Kongress steht noch zur Verabschiedung aus. Bislang wenig von der Öffentlichkeit beachtet, zielt diese Resolution auf "Strafaktionen" gegen Iran ab. Über diese Resolution wird bald abgestimmt, eine große Mehrheit im Kongress dafür gilt als sicher; man hofft, dass sie durch eine entsprechende UN-Resolution noch verstärkt wird.
Ein Senator, Sam Brownback, plant sogar die Einführung eines Iran Liberation Acts nach dem Vorbild des Iraq Liberation Acts. Die Ziele, so Kongressmitglieder, wären die selben, einschließlich regime change
Als Vertreter des anderen Lagers, das mehr von diplomatischen Gesprächen hält, zitiert die Washington Post nur zwei - immerhin einflussreiche- Councils: das Council on Foreign Relations, das seinerseits einen Bericht zum Iran abgeliefert hat; prominentestes Mitglied dieses Councils ist Zbigniew Brzezinski. Und das Atlantic Council, welches Brent Scowcroft und James R. Schlesinger zu seinen Mitgliedern zählt, die sich bislang nicht gerade als Pazifisten auszeichneten.
Die Bush-Regierung wird, solange der Wahlkampf währt, wohl kaum eine entschiedene, kohärente Politik gegenüber Iran anvisieren. Über eine solche Politik verfügt die derzeitige Regierung auch gar nicht, so ein hochrangiges Mitglied des Außenministeriums:
Was wir haben, ist die Summierung verschiedener Teilstücke - ein Teil für nukleare Waffen, einer für Menschenrechte, einer für Terrorismus, einer für Drogen, Irak und Afghanistan.
Währendessen dokumentiert Israel Entschlossenheit: Die israelische Air Force hat nach eigenen Angaben ihre militärischen Vorbereitungen für einen präventiven Anschlag gegen die nukleare Anlage im iranischen Bushehr abgeschlossen. Sobald Russland Iran mit Brennstäben, die zur Urananreicherung verwendet werden können, beliefert, würden von Israel aus F-151 Jets starten, die Türkei überfliegen und die Anlage binnen weniger Minuten auslöschen.
Israels Entschlossenheit
Nach diesen Angaben, die der Londoner Sunday Times zugespielt wurden, würden die Brennstäbe derzeit noch in einem russischen Hafen lagern. Ihre Lieferung würde aber spät im nächsten Jahr (!) erwartet. Bislang seien nicht alle finanzielle Fragen geklärt. Woher der zitierte Bericht aber weiß, dass diese Fragen "spät im nächsten Jahr" geklärt sein dürften, bleibt unklar.
Deutlich geht aus diesem Bericht jedoch hervor, dass Israel fest zu dem Schlag entschlossen ist. Man verweist auf die gelungene Aktion 1981 in Osirak, wo man eine irakische Nuklearanlage in 80 Sekunden "pulversierte" - ein Überraschungsangriff, zu schnell für die irakische Flugabwehr. Und man gibt sich auch angesichts der komplizierteren Situation eines solchen Angriffs auf iranische Anlagen ganz selbstbewusst: rechnet mit "wilden Gegenaktionen", z.B. der libanesischen Hisbollah, weiß, dass man die Operation ohne Hilfe der Amerikaner auch gegen deren Einwände durchführen müsste und behält sich sogar die Möglichkeiten vor, Mitglieder der iranischen "Elite" wie auch iranische Nuklearwissenschaftler gezielt zu töten.
Während Bush im Wahlkampf kräftig gegen Iran trommeln wird, sind einem präventiven Anschlag gegen die iranischen Nuklear-Anlagen seitens der USA enge Grenzen gezogen. Dafür stünde viel zu viel auf dem Spiel: die fragilen Verhältnisse im Irak, das Verhältnis zu islamischen Verbündeten, die gesamte Rolle der USA im Mittleren Osten. Man würde dies als letzten Beweis dafür sehen, dass Israel und die USA dieselben Interessen verfolgen und die USA ganz eindeutig Partei beziehe: der allerletzte Rest an Glaubwürdigkeit wäre dahin. Die israelische Regierung hat diese Probleme nicht. Für sie geht es - wie immer - ums Ganze, ums Überleben.
Und für Iran auch. Zumindest sieht dies der iranische Exilblogger Hossein Derakhshan so:
Niemand in Iran scheint wirklich zu verstehen, wie kritisch die Situation des Landes in diesen Tagen ist. Die komplette Kontrolle über die Medien durch die hard-liner-Konservativen hat die durchschnittlichen Iraner total im Dunkeln über die Bedrohung gelassen, den die Arroganz der iranischen Führer der nationalen Sicherheit zufügt.