Gibt es nur eine Alternative im Nirgendwo?
Seite 2: Was ist Kapitalismus?
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Doch mit der Fiktion von einem Kapitalismus, den es noch nie gab und nie geben wird, ziehen sie in den Kampf für ein besseres System, von dem sie nur wissen, dass es nicht so sein soll wie der Kapitalismus, den sie gar nicht kennen.
In Wirklichkeit gibt es jedoch ein ganz anderes, ein massiv formbares System, mit dem man, wenn man es denn verstehen würde und handhaben könnte, sehr viel mehr für die Menschen, für die Umwelt und für die Gesellschaft tun kann als mit allen anderen Wirtschaftssystemen, die jemals erprobt worden sind.
Es sind vor allem, ich muss es leider so deutlich sagen, Soziologen und Politologen, die gerne quasi feststehende Systemmodelle nutzen, um sich daran ein für alle Mal festzubeißen. Da muss dann das neoliberale Modell - ob freundlich oder feindlich spielt keine Rolle - immer dafür herhalten, "der Kapitalismus" zu sein.
Man lässt vielleicht noch Sondermodelle wie den nördlichen, mittleren, rheinischen oder südlichen Kapitalismus zu, oder man konstatiert die Existenz von Früh- und Spätkapitalismus (manche kennen auch schon den Postkapitalismus), aber es bleibt doch immer ein neoliberales Modell.
Nie ist es ein schumpeterianisches Modell oder ein aufgeklärtes Modell, in dem man Politiker hat, die verstehen, wie ein System aus einigen Märkten, einem mächtigen Staat und einer gewaltigen gesamtwirtschaftlichen Dimension funktioniert. Folglich unterstützen diese Systemversteher mit jedem Atemzug den neoliberalen Mainstream, weil auch sie die Menschen glauben machen, es gebe keine Alternative zum neoliberalen Kapitalismus außer der, das "System" vollständig zu überwinden.
Die Rechte triumphiert
Für die Rechte und die ganze konservative Seite ist das genial. Kritische Linke bestätigen permanent, dass es keine Alternative außer dem Umbruch, der Revolution gibt, die aber die Menschen in den westlichen Gesellschaften mit großer Mehrheit ablehnen - vielleicht sogar, weil sie ahnen, dass es einen besseren Kapitalismus geben könnte.
Konsequenterweise gewinnt die Rechte Wahl um Wahl, weil auf der Linken ja keine wirklichen Alternativen angeboten werden. Und sogar eine rechte Scheinalternative in Form der AfD bekommt in Deutschland hohe Zustimmung, weil sie den Eindruck erweckt, sie sei eine Alternative, die aber das System nicht umstürzen will.
Weil die Linke inklusive der Sozialdemokraten, die sich seit Schröder sowieso eher der Rechten zugehörig fühlen, keine Alternative innerhalb des System bieten, können sich selbst moderate Konservative ohne in Schwierigkeiten zu geraten - in der Auseinandersetzung mit der AfD wie mit der Linken - auf die Alternativlosigkeit ihres Ansatzes berufen.
Man schaue einmal den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen an, wie der "absolut glaubwürdig" sagt, was man tun will, um die Menschen in Gelsenkirchen wieder von der AfD wegzubringen (hier, gegen Ende des Interviews). Er bietet an, die Bildungschancen zu verbessern und für mehr Jobs zu sorgen. Das ist alles!
Kein Wort zu höheren Löhnen, zur Umverteilung von Reich zu Arm oder zur besseren sozialen Absicherung der Arbeitslosen und vom Staat Abhängigen. All das ist Tabu, weil die neoliberale Alternativlosigkeit einfach keine anderen Maßnahmen zulässt.
Oder die FDP, die macht Bildung zum alles überragenden Thema, weil sie aus ideologischen Gründen fast alles andere zum Tabu erklären will, einschließlich einer aktiven und planvollen Wirtschaftspolitik. Doch die Angriffsflächen, die damit die liberale Rechte dem politischen Gegner auf der Linken offen darbietet, kann die vereinte Linke nicht nutzen - weil die einen sich der Alternativlosigkeit ergeben haben und die anderen die Leute mit Systemträumereien verwirren.
Nur gegenüber der AfD kommen die Konservativen mit ihrer Alternativlosigkeit nicht durch, weil die scheinbar eine Alternative in der Flüchtlingsfrage anbietet, die für viele Menschen wie eine soziale Absicherung klingt. Wenn schon keine wirkliche Verbesserung, dann wenigstens keine Verschlechterung, weil unter den gleichen finanziellen Rahmenbedingungen mehr Menschen um eine soziale Absicherung durch den Staat buhlen.
Für eine Partei links von der SPD bedeutet das, dass sie einen Godesberg-Moment braucht, um wirklich etwas verändern zu können: Das explizite Eingeständnis nämlich, dass Systemüberwindung nicht zu ihrem Programm gehört. Nur damit kann sie eine wirkliche und realitätsnahe Alternative bieten und eine reformunfähige und ohnehin am Abgrund taumelnde SPD endgültig aus dem Rennen werfen.
Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Website Makroskop übernommen. Deren Herausgeber Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt sehen ihre Aufgabe darin, "das massive Versagen der Politik zu thematisieren und Lösungswege aufzeigen, die sich auch am Interesse derjenigen orientieren, die in der Gesellschaft keine eigene Stimme haben".