"Gier spielt keine Rolle"
Alexander Bandar über die Demokratisierung des Designs durch die Maker-Bewegung und die Nutzung kapitalistischer Mechanismen für den sozialen Fortschritt
Alexander Bandar ist mein letzter Interviewpartner bei der Challengers Conference (Die Befreiung der Arbeit durch die Maschine). Allerdings konnte ich schon das vorangegangene Interview mit Federico Pistono ("Ich bin gegen Arbeitslosenunterstützung") nicht mehr vollständig aufzeichnen, weil der Speicher des Aufnahmegeräts plötzlich "voll" anzeigte. Was nun? Für einen Maker kein Problem. Bandar greift zu seinem Smartphone, tippt ein paarmal auf das Display - das Gespräch kann beginnen.
Auch während des Interviews zeigt sich Bandar als umsichtiger, praktisch denkender Mensch, der zweimal die Aufnahme unterbricht, damit die einzelnen Sounddateien, die er mir später per Email zuschicken will, nicht zu groß werden. Allein das vermittelt schon ein wenig von seinen Talenten und seiner Energie, die es ihm ermöglicht haben, in einem alten Fabrikgebäude in Columbus, Ohio, den bislang größten Makerspace weltweit einzurichten: die Columbus Idea Foundry, die ihren Mitgliedern Werkzeuge, Maschinen und Fortbildungskurse zur Verfügung stellt. Im Gespräch selbst zeigt er sich als begeisterungsfähig und offen für neue Ideen.
Herr Bandar, für mich als Journalist ist es grundsätzlich heikel, über Veranstaltungen zu berichten, zu denen ich vom Veranstalter eingeladen wurde. Für Sie stellt sich das sicherlich anders da, oder?
Alexander Bandar: Ich freue mich über jede Gelegenheit, über diese aufregende Kultur zu reden. Makerspaces sind eine ganz neue Art von Industrie. Sponsoren, die uns dabei unterstützen, sie zu entwickeln, sind uns sehr willkommen. Wir sprechen in der Maker-Bewegung von der Demokratisierung des Designs, ermöglicht durch die Tatsache, dass jeder sich jegliche Fertigkeit aneignen und eine Idee vermarkten kann: Anleitungen gibt es kostenlos im Internet, ebenso Open-Source Software, und die Finanzierung erfolgt über Crowdfunding ebenfalls online. Einladungen wie diese zeigen, dass die Bewegung an Glaubwürdigkeit gewonnen hat.
Die Bewegung ist stark von Technologie getrieben.
Alexander Bandar: Die begeisterte Anwendung von Technik ist einer der größten Kraftverstärker auf diesem Planeten. Technik tut nichts, was wir nicht auch könnten, aber sie schafft es schneller und gibt mir die Freiheit, Dinge zu tun, die ich besonders gut kann. Maschinen helfen uns, innovativ zu sein, Neues zu schaffen und uns selbst dabei zu erneuern.
Ungefähr die Hälfte unserer Mitglieder sind Unternehmer, die andere Hälfte sind Handwerker. Robotik- und Automatisierungstechnologie erweitert ihre Fähigkeiten oder erschließt ihnen ganz neue Möglichkeiten. Auch wer mit den Händen ungeschickt ist, kann jetzt kunstvoll gestaltete Objekte erzeugen, indem er sie digital entwirft. Fehler lassen sich leicht beheben, die erforderlichen Fertigkeiten schnell erlernen. Selbst ich, alles andere als ein Handwerker oder Künstler, kann mit einem 3-D-Drucker beliebige Gegenstände anfertigen, sei es, um sie zu verkaufen, etwas Neues damit auszuprobieren oder Kunst zu schaffen. Das finde ich sehr aufregend.
Wie finanzieren Sie Ihr Projekt? Wenn ich Sie recht verstanden habe, soll es Gewinn machen und sich dadurch selbst tragen.
Alexander Bandar: Ich habe als Ingenieur zehn Jahre lang für eine Firma gearbeitet. Davon habe ich fünf Jahre lang tagsüber für die Firma und abends für mich gearbeitet und den Verdienst aus meinem Tagesjob in mein eigenes Geschäft investiert. Ich schlief in einem kleinen Zimmer, ernährte mich schlecht...
Was für eine Art Geschäft war das?
Alexander Bandar: Für die Columbus Idea Foundry, den Makerspace, habe ich eine kleine Garage gemietet, einige Werkzeuge gekauft, eine Homepage eingerichtet und Unterricht gegeben. Fünf Jahre lang war das eher ein Hobby. Dann kam das Angebot von der Stadt und von Non-Profit-Organisationen, in ein wunderschönes altes Fabrikgebäude in Columbus, Ohio, umzuziehen. Das war für mich der Anstoß, meinen Tagesjob aufzugeben und mich vollständig diesem Projekt zu widmen.
Es ist, wie ich immer sage, ein soziales Unternehmen. Es soll Profit machen, aber auch Wirkung erzielen. Die Bezeichnung "non-profit" gefällt mir nicht, denn das Ziel, keinen Gewinn zu erzielen, bietet keine Orientierung. Ich spreche daher lieber von "business for impact". Und irgendwo zwischen "for profit" und "for impact" ist "social enterprise", das soziale Unternehmen. Ich verstehe darunter, eine sich selbst tragende Firma mit Herz oder mit einer sozialen Mission. Wir helfen Künstlern, Studenten oder Unternehmern - und es ist in der Tat eine Herausforderung, damit Geld zu verdienen. Aber wenn Sie alle Regler in die richtige Position bringen, geht es.
Kürzlich haben wir einige Investoren gewonnen, die eine wichtige Hilfe sind. Es hat mich überrascht, denn ich habe ihnen gesagt, dass sie keine großen Gewinne erwarten können. Aber sie antworteten, dass ihr Gewinn nicht unbedingt Geld sein müsse, sondern Künstler, die Kunst schaffen, Studenten, die sich mit Technologie vertraut machen, Unternehmer, die kreative Geschäftsideen entwickeln. Für mich zeigt sich darin die Macht dieser Kultur: Menschen wollen wieder sehen, wie Menschen etwas machen, Dinge produzieren.
"Wir werden mehr und mehr Weltbürger"
Ich bin erstaunt. Den Profitmechanismus habe ich bislang als eine Kraft des Bösen wahrgenommen, die zu exponentiellem Wachstum und zur Zerstörung von natürlichen und sozialen Systemen führt. Wie ist es Ihnen gelungen, diese Kraft zu zähmen und sie zu nutzen, statt ihr zum Opfer zu fallen?
Alexander Bandar: Sie haben Recht, hohe Profite können Motivationen nähren, die sich nicht immer mit sozialen Interessen decken. Nun, dieses Risiko besteht bei uns nicht, weil wir keine hohen Profite erzielen. Es reicht zum Leben und wird in letzter Zeit etwas besser. Wir haben jetzt fünf feste Mitarbeiter, 300 Mitglieder und einige freiberufliche Lehrer.
Ich sehe die Welt wie ein Pendel: In den 1980er- und 1990er-Jahren war es leicht, viel Geld zu verdienen. Das war eine starke Triebkraft, die aber mit den folgenden Zusammenbrüchen und Rezessionen an Schwung verlor, was zu einer Neuausrichtung der Motivationen führte. Insbesondere die Millenniumsgeneration in den USA folgt ganz anderen Werten. Diese Leute interessieren sich für Produkte mit einer klaren sozialen Komponente wie etwa von Toms Shoes, die versprechen, für jedes gekaufte Paar Schuhe, zugleich ein Paar an Bedürftige zu geben.
Wir werden mehr und mehr Weltbürger und die kommende Generation ist ernsthaft daran interessiert, anderen zu helfen. In meiner Präsentation gestern habe ich Ingenieure in Columbus, Ohio, gezeigt, die eine neue Art von Dreschmaschine entwickelt haben, um damit Farmern in Mali zu helfen. Ich sehe darin eine der positiven Wirkungen der Globalisierung. Wir lernen, wie flach die Welt ist und nehmen stärker wahr, wer noch auf ihr lebt.
Ist es demnach die Kultur, die die Ökonomie herausfordert? Ich habe mal gelernt, dass es andersherum liefe und die Wirtschaft die Kultur forme oder die Basis den Überbau, wie Karl Marx es formuliert hat. Aber was Sie beschreiben klingt so, als könnten kulturelle Aktivitäten den Profitmechanismus in Schach halten.
Alexander Bandar: Ich denke, Sie haben Recht, in zweierlei Hinsicht. Für mich und unsere Gemeinschaft kann ich sagen, dass der soziale Wille sehr stark ausgeprägt ist. Aber aus praktischen Erwägungen habe ich das Projekt so gestaltet, dass es Gewinn macht. Ich wollte nicht von Spenden abhängig sein, die bei der nächsten Rezession ausbleiben könnten, sondern auf den eigenen Füßen stehen.
Wir sehen mehr und mehr solcher sozialen Unternehmen, wie sie etwa von Ahmad Ashkar propagiert werden, einem wichtigen Vertreter dieser Bewegung. Ashkar hat als Beispiel eine Organisation beschrieben, die Menschen in Afrika mit Trinkwasser versorgen will. Eine Flasche mag anfangs zehn Cent kosten. Je effizienter die Organisation arbeitet, fallen die Kosten auf acht, dann auf vier Cent und sind irgendwann so niedrig, dass die Organisation an jeder Flasche ein oder zwei Cent verdient. Damit haben Sie einen Mechanismus geschaffen, der im Markt dauerhaft bestehen und soziale Wohltaten bewirken kann. Ich finde das sehr inspirierend. Wenn es gelingt, den sozialen Willen mit einem ausdauernden Marktmotor zu verbinden, ist das ein guter Weg, um etwas zu verändern.
Würden Sie so ein System noch als Kapitalismus bezeichnen? Oder ist das etwas anderes?
Alexander Bandar: Es kommt darauf an, wie Sie Kapitalismus definieren. Geht es darum, sich die Taschen vollzustopfen und Geld zu machen? Oder darum, einen Marktwert zu schaffen? Gier spielt für mich jedenfalls keine Rolle. Es gäbe viele leichtere Wege, Geld zu verdienen, als acht Jahre in ein sehr fremdartiges Geschäft zu stecken. Ich denke, wir bedienen uns kapitalistischer Mechanismen. Wir schaffen Werte, bieten Dienstleistungen an, gründen Unternehmen, aber aus sozialen Motiven.
Robotern stellen uns nicht vor eine technologische, sondern vor eine soziale Herausforderung
Es wird viel darüber geredet, wie sich mithilfe von Robotern die Kriegführung optimieren lässt. Die Optimierung des Friedens mit Roboterunterstützung ist dagegen kein Thema. Dabei könnten sie viel zum sozialen Ausgleich beitragen, etwa indem sie die Grundversorgung der Menschen sicherstellen.
Alexander Bandar: Ich stimme vollkommen zu. Wenn wir an die nächsten zehn, zwanzig, fünfzig Jahre denken - die Batterien werden sich verbessern, die Roboter geschickter und intelligenter werden, sodass sie die Arbeit auf den Getreidefeldern, in Bergwerken, Fabriken und auf Baustellen übernehmen können. Sie werden uns nicht die Arbeitsplätze wegnehmen, sondern unsere Arbeit machen.
Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist keine technologische, sondern eine soziale. Wir müssen eine neue Gesellschaft gestalten, in der die von Robotern geschaffenen Güter und Dienste an uns verteilt werden. Wenn Sie sich alte Gerichtsakten aus dem antiken China oder Ägypten ansehen, werden Sie finden, dass wir schon damals die gleichen Verbrechen aus Not, Gier oder Neid begangen haben wie heute.
Technologie bietet uns neue Möglichkeiten, aber wir haben uns offenbar sozial noch nicht weit genug entwickelt und hinken diesen Möglichkeiten etwas hinterher. Daher stellen sich jetzt ethische Fragen, etwa ob wir Robotersoldaten bauen sollten. Sicherlich wird es bei der Feuerwehr Roboter geben oder in der Pflege und Betreuung von alten, jungen oder behinderten Menschen. Wir brauchen eine vom starken Willen getragene soziale Evolution, um die technologische Entwicklung einzuholen.
Was halten Sie davon, Roboter als empfindungsfähige Wesen zu betrachten? Sie sind es heute sicherlich noch nicht, aber sie mögen sich eines Tages dazu entwickeln. Wäre es nicht angeraten, diesen Fluchtpunkt bei der Entwicklung der Technologie heute schon zu berücksichtigen?
Alexander Bandar: Das ist eine sehr interessante Frage. In jüngster Zeit gab es Fortschritte bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz, die Google zu der Einschätzung gebracht haben, dass wir nicht in 30, sondern vielleicht schon in 3 Jahren ein Computerprogramm haben werden, mit dem wir Konversation treiben können und das solche Dinge wie unsere Terminplanung übernehmen wird.
Die Leute, die diese Software schreiben, halten es für keineswegs unangebracht, so etwas wie Zuneigung zu so einem Programm zu entwickeln. Das habe ich zuerst für einen Witz gehalten. Ich werde sicherlich keine persönliche Beziehung mit Software eingehen, dachte ich. Aber dann fiel mir auf, dass ich Facebook-Freunde habe, denen ich noch nie persönlich begegnet bin. Aber ich verfolge ihre Timeline, erfreue mich an der Konversation mit ihnen. Vielleicht ist das gar nicht so unähnlich der Beziehung, die ich mit einer Software haben könnte. Würde ich die lustigen Kommentare, die guten Ratschläge oder all den anderen Input, den ich von Facebook-Freunden bekomme, weniger schätzen, wenn ich wüsste, dass sie gar nicht wirklich existieren? Wir werden sehen. Die Frage wird sich gewiss irgendwann stellen.
Es wird viel über den Einsatz von Robotern in der Altenpflege gesprochen. Ich könnte mir vorstellen, dass künstliche Intelligenz gerade bei der Entwicklung von Demenz eine große Hilfe sein könnte. Wenn die KI in der Lage ist, sich auf einen Menschen und seine Persönlichkeit einzustellen, ist sie möglicherweise besser als ein Mensch in der Lage, die nachlassenden kognitiven Fähigkeiten gezielt auszugleichen.
Alexander Bandar: Die KI wird nie ungeduldig mit mir, ist niemals enttäuscht oder macht mir Vorwürfe. Es gibt den großartigen Film "Robot & Frank"...
O ja, ich kenne ihn. Er bewegt sich sehr nah an der Realität.
Alexander Bandar: Ganz genau.
Und es gibt diese Sequenz am Ende im Seniorenheim, wo jeder Bewohner von einem Roboter begleitet wird. Ein Bild, das man als Zuschauer gleichermaßen als bedrückend oder beglückend empfinden kann. Bei Diskussionen über Roboter in der Altenpflege habe ich gelegentlich das Gefühl, es ginge mehr um Verkaufsargumente als darum, die Lebensqualität alter Menschen zu verbessern. Das aktiviert bei mir einen Schutzreflex, so wie ich meine Mutter vor Anbietern von Glücksspielen, Telefonverträgen oder Staubsaugern schützen musste. Dabei könnte Robotiktechnologie gewiss hilfreich sein. Roboter bieten eine Möglichkeit, Zugang zu autistischen Kindern zu bekommen, und das mag auf ähnliche Weise auch bei dementen Menschen gelingen.
Alexander Bandar: Ich denke, Sie haben recht. Es führt zu einer weiteren abstrakten Frage: Sind wir vielleicht selbst chemische oder biologische Roboter, die sich zu empfindungsfähigen Wesen entwickelt haben? Was ist der Unterschied zwischen einem Computerprogramm, einem metallenen Roboter oder uns? Das führt zu schwierigen Fragen nach freiem Willen, Determinismus und dem Wesen des Menschen.
Es stellt die eigene Identität in Frage und führt auch unter Fachleuten immer wieder zu heftigen Kontroversen, ob das, was heute Werkzeuge sind, für immer welche bleiben werden oder sich nach und nach zu einer technischen Lebensform entwickeln werden...
Alexander Bandar: ...der dann auch eigene Rechte eingeräumt werden müssten, Wahlrecht, vielleicht besondere Roboterrechte. Ganz genau.