Gipfeltreffen der Schurkenstaaten
Paranoia ist wieder salonfähig
Ach, die neunziger Jahre. Was für hoffnungsfrohe Zeiten das doch gewesen waren, als Bush senior aus dem White House gejagt wurde und die Mitte-Links-Regierungen, welche die westliche Welt dominierten, zumindest die Hoffnung zuließen, dass hinter ihrer Reform-Rhetorik ein wenig Substanz steckte. Auch wenn mir damals bereits klar war, dass der Großteil aus Spin doctoring bestand, so boten zumindest gewisse Umstände Aussicht auf eine Verschiebung der Machtbasis. Kalifornische Techno-Hippies gaben in der technologischen Entwicklung den Ton an und aus der kulturellen Ursuppe des Internet schien ein neues Medium zu erwachsen, das globale Verständigung und kollaborative Problemlösungsansätze ermöglichte. Veränderungen lagen nach der langen Depression der Reagan-Bush-Kohl-Thatcher-Zeit in der Luft.
Damals erfand die Clinton-Regierung auch diesen Begriff von den "rogue nations", den "Schurkenstaaten", womit sie die Welt in gut und böse unterteilte. Auch wenn dieses Konzept berechtigte Zweifel auf sich zog, da einzelne Staaten als missliebig hervorgehoben und mit Sanktionen bedacht oder gar bombardiert wurden, während andere, genauso diktatorische Regimes toleriert wurden, möglicherweise weil sie als Wirtschaftspartner zu wichtig waren, um Menschenrechte den Exportchancen in den Weg geraten zu lassen, so spiegelte dieses Konzept zumindest den Versuch wieder, auf eine gerechtere und sicherere Welt hinzuarbeiten, in der Konflikte auf dem Verhandlungstisch gelöst und potentielle Konfliktquellen wie die steigende wirtschaftliche Ungleichheit an der Quelle durch Hilfs- und Schuldenerlassprogramme beseitigt werden. Seit dem Amtsantritt von George W. Bush hat sich das politische Klima derartig verschlechtert, dass die Sorge um die reale Klimaveränderung schon fast redundant zu werden scheint, weil es wahrscheinlicher ist, dass dieser texanische Cowboy die Welt in die Luft sprengt, bevor die Folgen des Treibhauseffekts allzu drastisch spürbar werden. Sie meinen das wäre Schwarzmalerei? Nun, natürlich meine ich das nicht ganz so wörtlich, bzw. lebe in der Hoffnung, dass nichts in dieser Art eintritt, doch nur weil dieser Artikel unter Glosse eingeordnet ist, heißt das noch lange nicht, dass irgendetwas daran lustig gemeint ist. Jedenfalls hat sich die Definition des "Schurkenstaats" innerhalb weniger Monate drastisch verändert. Diese Bezeichnung trifft nun primär auf die USA zu.
Dieser Herr, der sich nun Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nennen darf, begann seinen Wahlkampf mit einer glatten Lüge, der vom "mitfühlenden Konservativismus", gewann die Wahl nur dank dubioser Machenschaften im Bundesstaat seines Bruders und auch das erst, nachdem ein mit konservativen Richtern besetzter Oberster Gerichtshof die gerechte Auswertung aller Stimmen verbat, woran nicht oft genug erinnert werden kann. Dieser also mit schurkischen Methoden an die Macht gekommene Präsident versäumte keine Zeit nach seiner Inauguration, der Welt mitzuteilen, dass von nun an das Faustrecht des Stärkeren gilt, was von Berufsfeuilletonisten mit beschönigenden Begriffen wie Unilateralismus bezeichnet wird, welcher doch möglicherweise gar nicht so schlimm sei, weil realistischer gegenüber dem scheinheiligen Idealismus der Clinton-Ära. Was solche Schreiber möglicherweise übersehen: Herr Bush legt keinen Wert auf die Kraft des Dialogs. Er vertraut auf Raketen, Kampfbomber, Radarsysteme und beliebt den Kollegen Regierungschefs anderer Länder mitzuteilen, was Sache ist und damit: aus, Schluss, basta! Die Burgtore werden hochgezogen und die Gräben rundherum mit hungrigen Alligatoren bevölkert. Soviel zum "mitfühlenden" Anteil am Konservativismus, welcher sich vor allem um das Wohlergehen der Alligatoren zu kümmern scheint.
Was aber nun setzen unsere europäischen Politiker dieser offensichtlich arroganten und dummen Politik entgegen, die langfristig nur zu einer Verschärfung aller bestehenden Konflikte und zum Entstehen neuer führen kann? Sie üben sich in eben jenem "Realismus" den auch die gelehrten Zeitungsschreiber dozieren und der darin besteht, das Schalten und Walten des obersten Schurkenstaates zu dulden. Meine Damen und Herren Politiker, sie sollten dabei nicht vergessen, dass die Geschichte auch über sie richten wird und dass die duldende Mitwisserschaft eines Verbrechens ebenso eines ist. Schlimm ist allerdings, dass europäische Regierungschefs und ihre Ex-68er-Außenminister keine derartigen Skrupel zu hegen scheinen. Unter der globalen Führerschaft eines Ex-Alkoholikers und Kokainschnupfers kann sich nun jeder arrogante, selbstherrliche und machthungrige Idiot in der Ausübung eklatanter Menschenrechtsmissachtung, Geschichtsfälschung, Demagogie und ähnlicher Praktiken legitimiert fühlen.
Oder wie ist es sonst zu verstehen, dass ein als charismatisch bezeichneter neuer japanischer Ministerpräsident die Verwendung von Schulbüchern gestattet, die den japanischen Angriffskrieg und imperiale Unterdrückung in Asien als noble patriotische Handlungen darstellen und dass der selbe Ministerpräsident Wallfahrten zu den Gräbern von verurteilten und hingerichteten Kriegsverbrechern unternimmt. Da erscheint - ich betone "erscheint", denn ich möchte nicht, dass der Eindruck erscheint, dass ich irgendetwas daran billige - Haiders regelmäßige Teilnahme beim Treffen der Waffen-SS beinahe schon wie eine Lappalie ebenso wie die Beteiligung der fremdenfeindlichen Lega Nord an der Regierung von "Medienzar" Berlusconi. Wenn die moralische Korruption in der Führungsmacht der westlichen Welt zum Normalfall wird, erscheint alles andere entschuldbar. Der moralische Relativismus wächst wie die Zahl der Schlaglöcher im Ostberliner Straßennetz. Was sind also schon ein paar Millionen Mark aus geheimen Quellen, die ein deutscher Ex-Bundeskanzler entgegengenommen und auf ebenso geheime Konten weitergeleitet hat im Vergleich zum Ausverkauf des ökologischen Gleichgewichts der Welt an die Interessen der Ölkonzerne, wie es Mr.President praktiziert. Es ist von rein regionalem Interesse dass dieser Ex-Bundeskanzler nicht gelernt hat, endlich den Mund zu halten und sich aus der Öffentlichkeit zu verabschieden und in Mallorca oder besser, St. Helena, Rosen zu züchten.
Schuld an all dem, und damit meine ich nicht die Weltlage, sondern die Gedanken, die ich mir leider dazu machen muss, war natürlich mein jüngst verbrachter Urlaub. Urlaub ist schlecht für die journalistische Arbeits-Moral, weil man sich etwas aus dem Alltagsstrudel erhebt und einen weiteren Horizont sieht, und was ich da sehe, ist schwer in Worte zu packen, da sich die Situation dem namenlosen Grauen anzunähern droht. Schlecht an Urlauben ist übrigens auch, die Zeit die man plötzlich zum Lesen nutzloser Bücher hat. Ich weiß nicht, was sich jene Bekannte dabei dachte, die mir vor der Abreise eine Ausgabe der gesammelten Schriften von Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson in die Hände drückte. Wollte sie mich in den Suizid treiben? Denn dort, in jener englischen Ausgabe von 1979 befinden sich jene Artikel unter dem Sammeltitel "Fear and Loathing in Washington", die sich mit der Ära Nixon befassen. Diese Lektüre machte mir unmissverständlich klar, dass die Regierung von Bush dem Jüngeren weniger mit der seines Vaters oder dessen Vorgängers Ronald Reagan zu tun hat, sondern sich vielmehr nach dem Vorbild Richard Nixons zu entwickeln droht. Zum Pech für die Welt ist Bush noch nicht seinem Watergate begegnet, während gerade erst jene tapfere Frau, Katharine Graham, verstorben ist, welche die Washington Post zur Zeit der Aufdeckung des Watergate-Skandals leitete und ihre tüchtigen investigativen Reporter ermunterte und unterstützte. Solchen Herausgebern fällt leider nicht alle Tage ein führendes Medium in die Hände und es ist erschütternd mit welcher Milde die New York Times und die Washington Post dem heutigen Schurkenregime begegnen, was im übrigen auch für unsere nationalen Institutionen der öffentlichen Meinungsverbildung gilt. Hat man sich mit dem Unrecht erst einmal arrangiert, ist es schwer wieder aus diesem Morast herauszufinden, wie gerade Deutsche wissen sollten, doch diese beharren jüngsten Umfragen zufolge darauf, jetzt in einer Spaßgesellschaft zu leben, wozu sicherlich auch ein Bush mit seinem Raketenabwehrschild gehört. Nehmen wir einmal an, den USA gelingt es tatsächlich sich gegenüber anfliegenden Atomraketen abzuschirmen, dann bleibt nur mehr eine Frage: Wer beschützt Amerika vor sich selbst?
Schilde, Schirme und andere Abwehrmaßnahmen werden sicherlich auch beim demnächst beginnenden G8-Gipfel in Genua hoch im Kurs stehen. Unter den sich auftürmenden Gewitterwolken der neuen Ära ist es schwierig, den ohnehin bestehenden Hang zum Zynismus im Zaum zu halten, und so neige ich mehr und mehr zu der Ansicht, dass den Regierungen ein wenig Randale in Genua gar nicht so ungelegen kommt. Dass die jüngst explodierten Briefbomben von schurkischen Elementen in geheimen Sicherheitsdiensten westlicher Länder ihren Ausgangspunkt nahmen, halte ich unter diesem Gesichtspunkt für zumindest möglich, wenn nicht wahrscheinlich. Wenn dann in den kommenden Tagen ein paar hundert nützliche Idioten Randale machen, so werden die Bilder dieser Ausschreitungen und der polizeilichen, äh, Befriedungsmaßnahmen in den Medien den Protest und die Anliegen der Hunderttausend draußen vor den Stadtmauern ausblenden. Die Bushs, Blairs und Berlusconis werden sagen , dass alle, die sich gegen die hemmungslose Ausbeutung der menschlichen und natürlichen Ressourcen der Welt aussprechen, linke Radaubrüder sind. Damit ist es selbstverständlich gerechtfertigt, diese bereits an der Anreise zu hindern, wie es derzeit eine Reihe europäischer Staaten in eklatanter Missachtung der Bewegungs- und Demonstrationsfreiheit praktizieren. Soviel zum "Raum des Friedens, der Freiheit und der Gerechtigkeit" in welchen die Politiker Schengen-Europa zu verwandeln versprachen. Dass die Freiheit nur für das Kapital, nicht aber die Menschen gilt, ist zwar schon länger bekannt, nun dürfen es endlich auch wir EU-Bürger am eigenen Leib erfahren. Repressalien, die manche als gerechtfertigt ansehen, solange sie sich "nur" gegen sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge richteten, werden nun auch innerhalb Europas aufgefahren. Dass es dabei nur nützlich sein kann, wenn Polizei- und Geheimdienste fleißig Informationen über uns sammeln, indem sie sich mehr und mehr Abhörbefugnisse über unsere elektronische Kommunikation zugestehen, rückt auch diese europäischen Bestrebungen zur Polizeikooperation ins rechte Licht: nun sind wir alle verdächtig, und vor allem dann, wenn wir irgendwann in der Vergangenheit sichtbar gegen den Aufstieg der Schurkenstaaten demonstriert haben. Unsere Freiheiten und Rechte sind disponibel, wenn ein Polizei-Capo es so haben will. Da wünsche ich allen Mitgliedern der Spaßgesellschaft weiterhin viel Spaß, die den Schutz der Privatsphäre als unnötige Paranoia abtun. "Die Paranoiden hatten am Ende Recht behalten", wie Thompson in seiner Artikelserie über Nixon im Rolling Stone schrieb. Leider scheint sich das einmal mehr zu bewahrheiten.