Globale Diplomatie für die Informationsgesellschaft

Eine Woche lang wurde in Paris über die Umsetzung der Themen diskutiert, die auf dem Weltgipfel der Information beschlossen wurden

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Fast eine ganze Woche lang tagten rund 500 Experten von Regierungen, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft kürzlich bei der UNESCO in Paris, um sich darüber zu verständigen, wie man in vier der vom Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) beschlossenen „Aktionslinien“ die Beschlüsse von Genf (2003) und Tunis (2005) mit Leben erfüllen kann. Im Einzelnen ging es um die Rolle der Medien, um e-Learning, um Zugang zu Wissen und die Ethik in der Informationsgesellschaft.

Die WSIS-Dokumente haben für insgesamt 18 zentrale Informationsgesellschafts-Themen große Linien entworfen und Ziele formuliert, die bis zum Jahr 2015 verwirklicht werden sollen. Aber wie man von A nach B kommt - von der Resolution zum Resultat - dazu findet sich in den Gipfelbeschlüssen relativ wenig Konkretes. Der Vorschlag einiger Regierungen, ein zentrales WSIS-Koordinierungs-Sekretariat zu schaffen, wurde nicht zuletzt wegen der bürokratischen Risiken und involvierten Kosten abgeschmettert. Am Schluss einigte man sich darauf, für jede der 18 Aktionslinien aus den Reihen der in den WSIS-Prozess involvierten UN-Organisationen einen sogenannten „Facilitator“ zu benennen dem man die Bürde der Implementierung der Gipfelbeschlüsse aufhalsen konnte.

Dieser Prozess der Identifikation der „Facilitatoren“ hat mittlerweile begonnen. ITU, UNDP, UNCTAD, WHO, FAO, WTO, WIPO, ILO, UNESCO und andere teilen sich in die Herkulesaufgabe, den Genfer Aktionsplan von 2003 bis zum Jahr 2015 umzusetzen. Bis zum Jahre 2015 sollen auch die sogenannten „Jahrtausendziele“ der UN zur Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung, die „Milleniums Development Goals“ (MDG), erreicht werden, wobei immer offensichtlicher wird, dass diese MDG-Ziele ohne die Entwicklung, den Einsatz und die Anwendung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien nicht zu erreichen sind.

Die Verteilung der WSIS-Aufgaben verlief in den letzten Monaten relativ lautlos im Hintergrund. Die ITU ist jetzt z.B. für die Entwicklung der Kommunikations-Infrastruktur und die Cybersicherheit zuständig, die FAO für eLandwirtschaft, die WHO für eGesundheit, die WTO für eCommerce, die ILO für eBeschäftigung und die WIPO kümmert sich um die geistigen Eigentumsrechte im Cyberspace. Die UNESCO hat gleich fünf der insgesamt 18 Aktionslinien bekommen – neben den vier oben genannten kommt noch eWissenschaft dazu – und wird sich damit zu einem der Schwergewichte im fortlaufenden WSIS-Prozeß entwickeln.

Mit der WSIS-Woche in Paris hat die UNESCO zunächst erst einmal die Pflöcke eingerammt, die einzelnen Themen etwas strukturiert, sachbezogenen Teams gebildet und begonnen, Unter-Verantwortlichkeiten zu verteilen. Wenngleich die Substanz der Debatten noch etwas dünn war, so waren die Diskussionen um das Prozedere für den ins Jahr 2015 zielenden Implementierungsprozess umso bemerkenswerter.

Die UNESCO ist eine zwischenstaatliche Organisation und Regierungsvertreter sind es dort natürlich gewohnt, die erste Geige zu spielen. In den WSIS-Dokumenten wird aber an vielen Stellen immer wieder betont, dass die Erfüllung der WSIS-Beschlüsse nur in enger Kooperation aller „Stakeholder“ – Regierung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft – erreichbar ist. Das Prinzip des „Multistakehoderismus“ ist in der Tat die Innovation des WSIS-Gipfels für die globale Diplomatie des 21. Jahrhunderts.

Das Multistakeholderismus-Prinzip wurde insbesondere bei der Diskussion des kontroversen Thema Internet Governance entwickelt. Einige wollten das Internet der UN und damit den Regierungen unterstellen. Anderen drängten darauf, weiterhin dem „privaten Sektor“ die Führerschaft zu überlassen. Der politische Kompromiss war schließlich, alle Stakeholder einzuladen, sich gleichberechtigt an der Gestaltung der Zukunft des Internet zu beteiligen. Das Internet Governance Forum (IGF), das diese Woche in Athen tagt, ist offen für alle. Dieses Beispiel eines neuen Governance-Modells scheint nun offensichtlich auch auf andere Informationsgesellschaftsthemen abzufärben.

Die UNESCO jedenfalls hielt sich zunächst strikt an die Vorgabe des Multistakeholder-Prinzips bei der Vorbereitung der Konsultationen zu den vier Aktionslinien. Es gab keine unterschiedlichen Namensschilder für Regierungs- und Nicht-Regierungsvertreter, es gab keine gesonderte Sitzordnung, keine getrennte Rednerliste. Jeder, der etwas zur Sache zu sagen hatte, konnte das Wort ergreifen. Und wer einen langatmigen und uninteressanten Bericht über die tolle Politik der eigenen Regierung vortrug, merkte bald, sofern er sensibel genug war, dass dies nicht der Platz ist, wo man so etwas unbedingt hören will.

UNESCO leistet einen Beitrag zur Machtverschiebung

Die Dynamik der Pariser Diskussion bewegte sich augenfällig in Richtung auf Macher, der Akteure, der von den jeweiligen Fragen unmittelbar Betroffenen und Beteiligten. Bei der Aktionslinie C 9, den Medien, sind das nun mal die Journalisten selbst und ihre Institutionen, von der Europäischen Rundunkunion bis zum Afrikanischen Journalistenbund, von Artikel 19 bis zur Internationalen Organisation für Medien und Kommunikationsforschung. Nicht, dass man die Stimmen der Regierungen nicht zu hören bekam. Aber sie waren vor allem dann willkommen, wie z.B. die des Europarates, wenn sie einen Beitrag dazu leisten, die in den WSIS-Dokumenten bekräftigten Menschenrechte – und hier insbesondere das in Artikel 19 verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung – zu stärken.

Auch bei den anderen Themen, und hier insbesondere bei eLearning, wurde sichtbar, dass es ein nicht unerhebliches Potential für ein produktives Miteinander zwischen den Stakeholdern gibt. Das Heraumreiten auf formalen Privilegien und Statussymbolen, das in der Vergangenheit oft zu einem Gegeneinander geführt hat, war während der WSIS-Woche bei der UNESCO jedenfalls schon am ersten Tag vom Tisch.

Geplant ist jetzt sogar, dass der von den Regierungen benannte staatliche „Facilitator“ zwei Ko-Faciltatoren zur Seite gestellt bekommt, die die beiden anderen nicht-staatlichen Stakeholdergruppen vertreten. Damit beginnt sich das Prinzip einer neuen Multistakeholder-Partnerschaft Schritt für Schritt zu formalisieren und zu institutionalisieren.

Was das mittelfristig für die globale Diplomatie bedeutet, ist nach der ersten Runde noch schwer einzuschätzen. Der jetzt eingeschlagene Weg hat durchaus ein interessantes und innovatives Potential für ein neues Herangehen an globale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Im Grunde genommen ist es so, dass sich hier 18 neue globale Diskussionsplattformen herauszubilden scheinen, die anders als traditionelle zwischenstaatliche Regierungsorganisationen eine Politik „von unten“ entwickeln. Zwar haben all diese neuen Gremien keine Entscheidungsbefugnis, aber wenn die sich im Diskussionsprozess bildenden Regenbogen-Koalitionen der verantwortungsbewussten Sachverständigen mit konkreten Vorschlägen für Entscheidungen kommen, wird es den entscheidungsbefugten Regierungsorganisationen immer schwerer fallen, das zu ignorieren und eine ausschließlich an herkömmlichen staatlichen Interessen geleitete Politik über die Köpfe der Betroffenen und Beteiligten hinweg zu sanktionieren.

Konflikte sind da zwangsläufig vorprogrammiert. Das System hat das Potential für eine weitreichende Machterosion. Was eine solche Machtverschiebung bedeutet und wohin das führt, ist schwer zu sagen. Zunächst wird man abwarten, was die anderen tun. Die nächste WSIS-Woche ist für den Mai 2007 in Genf geplant. Dann werden sich vor allem ITU, WIPO, UNDP, WTO, WHO, WMO, ILO mit den ihnen zugewiesenen Aktionslinien auseinandersetzen. Es wird spannend sein zu beobachten, ob das erfolgreiche Pariser UNESCO-Beispiel Schule macht.