Globale US-Militärpräsenz und die Rolle Deutschlands
- Globale US-Militärpräsenz und die Rolle Deutschlands
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US-Militärbasen weltweit: Vom großen Stiefelabdruck bis zur Unsichtbarkeit
Zur Darstellung der globalen US-Militärpräsenz kursiert seit Jahren die grob geschätzte Zahl von 800 Militärbasen in fremden Ländern und (eigenen) Überseeregionen. Damit wird in der Regel plakativ der Charakter des US-Imperiums veranschaulicht, was auch als "Power projection" bezeichnet wird. Dieser Begriff kann aber irreführend sein, da es bei Militärbasen nicht nur um provozierend wahrnehmbare, sondern auch um (fast) unsichtbare militärische Präsenz geht. Fragwürdig ist auch die genannte Gesamtzahl, die aber für Vergleichszwecke unverzichtbar ist.
Betrachtet man die Anzahl von fremden Militärbasen aller anderen Staaten der Welt, so haben diese lediglich einen Anteil von etwas mehr als fünf Prozent. Noch gravierender ist der Unterschied, wenn man von diesem Rest den Anteil der Nato-Staaten Großbritannien und Frankreich abzieht. Vor allem interessiert natürlich, warum Deutschland und Japan gemessen an der offiziellen Zahl an US-Militärstandorten weltweit Spitzenreiter sind. Während sich diese Frage bei Japan angesichts der US-Militäreskalation in Fernost von selbst beantwortet, ist dieses für Deutschland durch die neue Nato-Konfrontation gegenüber Russland nur begrenzt erklärbar.
Zerstörungsradien bei der Explosion einer SS-25 in deutschen Hauptstädten (16 Bilder)
Wichtiger ist die logistische Drehscheibenfunktion des Standortes Deutschland für die weltweite US-Militärpräsenz. Dazu müssen die strategischen Konzepte verstanden werden, mit den die weltweite US-Militärpräsenz erfolgt, die sich über ca. 80 Länder dieser Welt erstreckt. Diese griffige Zahlenkombination - 800 Militärbasen in 80 Ländern – stammt von David Vine, Professor der Anthropologie in Washington, der diese Entwicklungen und Hintergründe in insgesamt drei Buchveröffentlichungen in den Jahren 2009, 2015 und 2020 dargestellt hat.
In seinem ersten Buch "Island of Shame" behandelt er das "Strategic Island Concept" des US-Militärs. Dieses beruht im Prinzip auf einige Deals von US-Regierungen mit dem vormals britischen Imperium, die bis auf das Jahr 1940 zurückgehen. Damals gab es von US-Präsident Roosevelt einen Deal, der die Lieferung von dringend benötigten Kriegsschiffen – noch aus der Zeit des Ersten Weltkriegs – im Krieg gegen Deutschland gegen die Überlassung von Inseln des britischen Imperiums vorsah.
Dieses ergab eine aus damaliger Sicht klassische Win-win-Situation: Der Kongress wurde außen vor gelassen, da man sich ja noch offiziell aus den Kriegshandlungen in Europa heraushielt, während das kriegsbedingt fast bankrotte Großbritannien unentgeltlich Waffen erhielt.
Damit erfolgte der erste strategische Schritt der USA zur weltweiten Präsenz mit Militärbasen, was nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich ausgebaut wurde. In seinem letzten Buch "The United States of War" beschäftigt sich David Vine nochmals mit diesem Deal und dem eigenen Eingeständnis, dass er selbst dessen epochale Wirkung lange unterschätzt habe. Schließlich führte der Zweite Weltkrieg ja zu Tausenden von (temporären) US-Stützpunkten, weshalb dieser Deal historisch wenig Beachtung fand.
In seinem ersten Buch behandelt David Vine ausführlich die Übernahme der kleinen, aber strategisch für das US-Militär optimal gelegenen Insel Diego Garcia im Indischen Ozean über einen Mietvertrag mit den Briten, der 1968 mit einer Laufzeit von 50 Jahren abgeschlossen wurde. Den Kollateralschaden durch die notwendige Vertreibung der etwa 2000 Einheimischen nahm man dabei bewusst in Kauf.
David Vine wurde durch die Kontakte mit den Vertriebenen von Diego Garcia auch zum politischen Aktivisten, da er sich bis heute für deren Rechte einsetzt. Dieser Kampf erfolgt auch auf juristischem Wege, über positive Bescheide zum Rückkehrrecht, zuletzt 2019 durch den Internationalen Gerichtshof, der auch eine völkerrechtlich notwendige Rückgabe der Insel durch Großbritannien an Mauritius anmahnte.
Die 50-Prozent-Buchhaltung des Pentagons
Ein zweiter US-Autor, der sich schwerpunktmäßig mit US-Militärbasen im Ausland befasst, ist Nick Turse, Journalist und politischer Aktivist in New York. Er hat sich auf Recherchen basierend auf der Freigabe von Dokumenten nach dem "Freedom of Information Act" spezialisiert und damit einige Einblicke in die Grauzonen der Pentagon-Buchhaltung bekommen. Ein Anfang 2019 von ihm auf der US-Homepage Counterpunch erschienener Beitrag hat die Überschrift "Bases, Bases, everywhere … Except in the Pentagon‘s Report".
Könnte man nur unter Bezug auf David Vine die Gesamtzahl der US-Militärbasen noch als spekulativ bezeichnen, so ist Nick Turse derjenige, der diese Zahl intensiv geprüft und plausibilisiert hat. Beide Autoren haben unabhängig voneinander den offiziellen "Base Structure Report – BSR" des Pentagon geprüft. (Relevante Auszüge daraus kann man hier und hier abrufen). David Vine nennt in seinem ersten, o.g. Buch noch die Zahl von rund 1.000 US-Militärbasen weltweit unter Bezug auf den BSR für das Haushaltsjahr 2007.
Vor allem ist aber bei der heutigen Reduzierung auf 800 zu berücksichtigen, dass seit 2001 die offizielle Anzahl an "Installations" bzw. "Sites" in Deutschland von 325 auf 119 zurückgegangen ist. Vereinfachend lässt sich deshalb sagen, dass an der mittlerweile deutlich reduzierten Gesamtzahl von US-Militärbasen weltweit der Standort Deutschland den größten Anteil hat. Der tatsächliche Umfang ist aber nicht prüffähig. So sind zu 87 namentlich ausgewiesenen "Sites" auch 32 "Other Sites" aufgeführt.
US-Militärbasen in Deutschland (10 Bilder)
Eine detaillierte Prüfung zeigt nämlich einige Ungereimtheiten und mangelnde Logik, worauf hier nur exemplarisch eingegangen werden kann. So ist das US-Hospital in Landstuhl mit fünf einzelnen "Sites" enthalten. Enthalten sind im BSR auch Standorte des nationalen Militärs mit strategischer US-Präsenz. Deshalb ist z.B. der Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel mit den dort gelagerten US-Atomwaffen aufgeführt, nicht aber der Militärflugplatz Volkel in den Niederlanden, für den selbiges gilt.
Die Nicht-Erwähnung von Volkel als Standort von US-Atomwaffen der nuklearen Teilhabe innerhalb der Nato ist aber kein Staatsgeheimnis, sondern eine über Wikipedia-Artikel frei zugängliche Information. Der Militärflugplatz Kleine Brogel in Belgien, wo ebenfalls US-Atomwaffen lagern, wird hingegen im BSR gelistet.
Dafür stößt man hier bei Betrachtung von anderer Stelle auf eine Merkwürdigkeit: Bei den über Google Earth einsehbaren Satellitenbildern gehört das dortige Atomwaffendepot zu den wenigen militärischen Anlagen, wo die aktuellen Satellitenbilder (aber nicht die historischen Bilder) verpixelt sind. Eine subtile Zensur bei der Darstellung militärischer Anlagen besteht hingegen bei Google Earth darin, dass vor allem im Irak und in Afghanistan nur völlig veraltete Satellitenbilder zu sehen sind.
Die nicht offiziellen Stationierungsorte von Kampfdrohnen in Afrika und dem Mittleren Osten können hingegen mit aktuellen Satellitenbildern problemlos eingesehen werden, wobei der Vergleich mit historischen Aufnahmen einen guten Eindruck von US-Aktivitäten der letzten Jahre liefert. Rein praktisch setzt dieses aber voraus, dass man die Geo-Koordinaten dieser Standorte kennt.
Dass diese leicht zu ermitteln sind, ist einem Projekt zu verdanken, das seit mehreren Jahren auf Basis einer Zusammenarbeit mit Openstreetmap und Wikimedia entwickelt und fortgeschrieben wird. Im OpenStreetBrowser sind ab einer bestimmten Zoom-Stufe "Military layer" als Kartendarstellung sichtbar, wenn diese als Darstellungsoption eingeschaltet werden.
Militärische Sperrgebiete und teilweise vorhandene Klartextbezeichnungen sind dort zu fast 100 Prozent vorhanden. Anhand der Geo-Koordinaten lässt sich dieses dann leicht mit Satellitenaufnahmen in Google Earth abgleichen. Doch zurück zum BSR: Bis Ende 2017 (für das Haushaltsjahr 2018) erschien der BSR jährlich und ist seitdem in der Versenkung verschwunden. Eine Nachfrage des Autors bei David Vine zu den Gründen ergab eine lapidare Antwort: Donald Trump.
Dass die offizielle Buchhaltung von ihm von 50 Prozent auf null heruntergeschraubt wurde, dürfte weniger mit politischem Kalkül zu tun haben, als vielmehr mit seinen Eigenheiten, das Präsidentenamt ebenso zu führen wie sein Immobilienimperium. Schaut man sich den BSR nämlich näher an, so hat dieser eindeutig den Charakter eines Immobilienreports, mit Angaben von Einzelflächen, eigenen und gemieteten Gebäuden sowie sich daraus ergebenden Größensortierungen.
Eine derartige Transparenz stand wohl im Widerspruch zu Trumps Geschäftsgebaren als Immobilienmogul. Allerdings bestünde eine wirkliche Transparenz des Pentagons nicht in einem aktuellen und umfassenden Immobilienreport, sondern in der vollständigen Nennung und militärischen Klassifizierung militärischer Standorte. Offiziell werden vom Pentagon vier Kategorien unterschieden, bei denen die wichtigste als "Main operating base (MOB)" bezeichnet wird.
Die nachgeordneten Militärbasen in Regionen mit Kriegseinsätzen werden als "Forward operating base" bezeichnet. Mit den gewissermaßen synonymen Bezeichnungen "Forward operating site" und "Forward operating location" werden solche Standorte deklariert, bei denen eine Truppenrotation bzw. Vorhaltung für bedarfsweise Aufstockungen erfolgt. Umfang, Quellennachweise und Aktualität für solche Zuordnungen sind allerdings sehr dünn, was z.B. auch aus Artikeln in der englisch- und deutschsprachigen Wikipedia erkennbar ist, wo man ansonsten über Militärbasen mit Übersichten und Einzelbeiträgen hervorragend informiert wird.
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