Globale US-Militärpräsenz und die Rolle Deutschlands
Seite 2: Das Africom in Stuttgart und Seerosen in Afrika
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Noch undurchsichtiger ist die vierte Kategorie mit der offiziellen Bezeichnung "Cooperative security location (CSL)". Ebenso wie bei der vorgenannten Kategorie wird hier der Begriff "base" konsequent vermieden. David Vine umschreibt in seinem Buch "Base Nation" unter Bezug auf eigene Gespräche mit US-Militärs deren Charakter wie folgt: "No flag, no forward presence, no families". Das heißt: Keine "Power projection", kein "Little America" ziviler Infrastruktur, keine US-Fahnen und wenig oder überhaupt kein sichtbares US-Militär.
Letzteres ist insofern unproblematisch, da ohnehin immer mehr militärische Aufgaben an zivile Dienstleister outgesourct werden. Anstelle des Kürzels CSL gibt es noch eine andere, halb- und inoffizielle Umschreibung: Lily pads (Seerosen). Diese dienen hier als Metapher aufgrund ihrer Eigenschaft, dass sich auf ihnen Frösche unauffällig bewegen können, mit Sprüngen von Blatt zu Blatt, ohne dabei einen Fußabdruck zu hinterlassen.
Die Lily Pad Strategie ist nach David Vine insofern eine Weiterentwicklung der "Strategischen Inseln", weil es in beiden Fällen darum geht, örtlichen Widerstand gegen die US-Militärpräsenz zu unterbinden, bzw. zu gewährleisten, dass dieser aufgrund der isolierten Lage der Militärbasen nicht die kritische Masse erreicht. Lily Pads werden meistens am Rande von Zivilflughäfen oder an nationalen Militärstandorten versteckt.
Besondere Relevanz hat dieses Prinzip für Afrika. 2008 wurde in Stuttgart das US-Regionalkommando Africom eingerichtet. Vorausgegangen war dieser Festlegung eine Standortsuche in Afrika selbst. Keines der Länder, mit denen entsprechende Verhandlungen geführt wurden, war jedoch dazu bereit, dieses als Gastland aufzunehmen. Daraus zu folgern, dass Stuttgart deshalb eine Verlegenheitslösung wäre, führt jedoch zu einem Trugschluss.
Hierzu muss man verstehen, nach welchen Kriterien in den letzten 20 Jahren von den US-Militärs neue Standorte für Militärbasen akquiriert wurden. Abseits der Haupt-Kriegsschauplätze Afghanistan und Irak mit der dort zeitweise vorhandenen Vielzahl größerer Militärbasen wurde nach Recherchen von David Vine spätestens 2009 die Lily Pad-Strategie offiziell.
David Vine schätzt in seinem Buch "Base Nation" aus dem Jahr 2015, dass mindestens 50 derartige Standorte erfolgreich akquiriert wurden, vor allem in Afrika. An offiziellen Verlautbarungen über Einsatzorte in Afrika, die vom Africom in Stuttgart gesteuert werden, erfahrt man natürlich sehr wenig.
Der Africom-Kommandant berichtet aber seit einigen Jahren regelmäßig vor dem US-Senat über die von ihm geleiteten militärischen Aktivitäten. Im veröffentlichten (Teil-)Bericht 2020 von General Townsend, der diesen Posten sechs Monate zuvor übernommen hatte, heißt es z.B. fett gedruckt: "Die Operationen des U.S. Africa Command sind ein Schnäppchen für Amerika ... ein kleine Prävention, die nur ein paar Cent pro Dollar unserer Verteidigungsausgaben ausmacht."
Ähnliches findet sich in dem entsprechenden Bericht für 2021. Auffallend ist aber im Vergleich beider Berichte, dass bei der Nennung strategischer Rivalen mittlerweile Russland weniger relevant gegenüber China geworden ist. Dieses beiden Ländern wenig Raum zu geben, ist für das Africom eindeutig die selbst so definierte strategische Kernaufgabe.
Offiziell sind (gemäß BSR) US-Militärbasen in Afrika nur in Djibouti und Kenia vorhanden. David Vine geht hingegen – vor allem basierend auf den Recherchen von Nick Turse – von mindestens 40 Ländern Afrikas aus, in denen eine US-Militärpräsenz angenommen werden kann. Die mittlerweile zahlreichen Stationierungsorte für Kampfdrohnen sind auch gemäß Definition des US-Militärs keine "bases", sondern nur "Forward operating sites" im Kampf gegen Terrorismus.
Diese Standorte sind allerdings auf relativ wenige Länder wie Djibouti, Niger, Mali und Tunesien beschränkt. Es bleibt deshalb die Frage, welche Interessen die meisten afrikanischen Länder an der US-Militärpräsenz über Lily Pads haben, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit dieser Länder die USA gegenüber China und Russland zunehmend an Boden verlieren, was ja vom Africom als Hauptproblem angesehen wird. David Vine verweist dazu auf die "Kernkompetenz", bei denen die USA nach wie vor weltweit führend sind.
Um die Effizienz des nationalen Militärs zu verbessern, sind die jeweiligen Machthaber in Afrika gerne dazu bereit, US-Militärs als Ausbilder ins Land zu holen, deren Hauptbeschäftigung ohnehin in der Ausbildung des eigenen Personals besteht. Dieses kann über Lily Pads problemlos erfolgen und bedarf keiner hoch angesiedelten Militärmission wie z.B. bei dem EU-Einsatz in Mali (EUTM) unter starker Bundeswehrbeteiligung.
Nur am Rande sei an dieser Stelle vermerkt, dass mit dem derzeit laufenden US-Abzug aus Afghanistan keineswegs ein Ende des Krieges verbunden ist, sondern nur das Ende der Vor-Ort-Präsenz mit Militärbasen, gemäß der entsprechenden Ankündigung von US-Präsident Joe Biden vom 15. April. Praktisch bedeutet dies eine Verlagerung auf verdeckte Operationen von Kleinst-Standorten und Drohnen-Stützpunkten außerhalb des Landes und eine erweiterte Lily Pad-Strategie. (Siehe dazu auch den Beitrag von Helmut Scheben im Infosperber vom 17.6.2021: "Afghanistan: Der Hightech-Krieg wird weitergehen").
Deutschland: vom Frontstaat zur logistischen Drehscheibe
In den Jahren 2002 bis 2004 vollzog sich bei der US-Truppenstationierung in Deutschland ein fundamentaler Wandel. Dazu gehörte nicht nur eine drastische Reduzierung der Stationierungsorte (praktisch als "zweite Welle" nach den Reduzierungen bis Mitte der 90er-Jahre). Vor allem erfolgte eine Konzentration der Ressourcen in Rheinland-Pfalz und dort wiederum im Großraum Kaiserslautern mit dem Ausbau der Ramstein Air Base. Damit einher wurde auch die am Frankfurter Flughafen angesiedelte Rhein-Main Air Base nach Ramstein (Transportflugzeuge) und Spangdahlem (Kampfjets) verlagert.
Im Torbogen des früheren Haupteingangs der Rhein-Main Air Base stand der Text-Zusatz "Gateway to Europe", der den Charakter der Air Base in den Jahrzehnten des Ost-West-Konfliktes bis 1989 symbolisierte. Neue Funktionen nach der Umsiedlung auf die Ramstein Air Base wurden erstmals 2012 von dem früheren US-Drohnenpiloten Brandon Bryant und 2013 von dem Whistleblower Edward Snowden enthüllt. Ohne die Satelliten-Relaisstation (als technisches Gateway) in Ramstein sei der weltweite US-Drohnenkrieg technisch nicht durchführbar, so deren übereinstimmende Aussagen.
Dieses führte 2015 zur Gründung der Kampagne "Stopp Air Base Ramstein" mit dem Fokus auf die völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Aktivitäten des US-Militärs unter Nutzung der technischen Infrastruktur auf deutschem Boden. Wohl im Bewusstsein dieser Abhängigkeit von Ramstein und der unerwünschten Aufmerksamkeit durch die deutsche Friedensbewegung wurde deshalb von den US-Militärs 2017 damit begonnen, auf der Sigonella Air Base in Sizilien eine parallele Anlage dieser Art aufzubauen.
Das aktuelle Satellitenbild zeigt, dass diese Anlage mit identischem Aufbau wie in Ramstein mittlerweile wohl verfügbar ist. Diese Funktion müsste deshalb ebenso wenig zwingend in Ramstein angesiedelt sein, wie z.B. die Zentrale des US-Raketenabwehrsystems, das in Polen und Rumänien installiert ist. Hingegen ist Ramstein als Logistikzentrum für die Versorgung weltweit vorgeschobener Militärbasen unabdingbar.
Beispielsweise ist in der deutschsprachigen Wikipedia zu der vor einigen Jahren errichteten US Air Base bei Agadez in Niger zu lesen: "Der Militärflugplatz, die Base aérienne 201, wurde im August 2019 mit einem Flug einer C-130J aus Ramstein eingeweiht. Hier setzen die USA seither unter anderem Drohnen ein."
Nicht nur Kampfdrohnen, sondern auch US-Kampfjets können weltweit nur operieren, wenn sie möglichst lange in der Luft gehalten werden können. Auf der Ramstein Air Base ist deshalb eine Staffel mit Tankflugzeugen stationiert. Wenn man von der Ramstein Air Base spricht, einem aufgrund der dortigen zivilen Infrastruktur "Little America", muss man auch die gesamte militärische Infrastruktur in der Region mit einbeziehen, mit mehreren Kasernen der US Army in Kaiserslautern, dem wohl größten Munitionsdepot des US-Militärs in Miesau, dem US-Hospital in Landstuhl und dem Truppenübungsplatz Baumholder.
Auch das in Germersheim am Rhein gelegene Giftstofflager, das von der Defense Logistic Agency (DLA) betrieben wird, ist wesentlicher Teil der Logistikkette. Gegen dessen starken Ausbau wehrt sich eine örtliche Bürgerinitiative wegen der erheblichen Umwelt- und Gesundheitsrisiken.
Auch eigentliche stillgelegte Flächen und städtebaulich dringend benötigte Flächen, wie die Coleman-Barracks in Mannheim, werden seit 2015 vom US-Militär blockiert für logistische Zwecke, in diesem Fall wegen der Kriegsmanöver in Osteuropa. Nicht übersehen werden dürfen auch zivile Einrichtungen, wie der Flughafen Hahn im Hunsrück, dessen Nutzung durch das US-Militär von einer örtlichen Bürgerinitiative auf deren Homepage penibel dokumentiert wird.
Vine weist in "Base Nation" noch auf einen anderen wichtigen Aspekt hin: Im Unterschied zu anderen (Haupt-)Stationierungsländern des US-Militärs in Europa, wie vor allem Italien, hat Deutschland eine optimale Infrastruktur mit Truppenübungsplätzen. Genannt werden muss auch der Luftraum in der Großregion Kaiserslautern als größte Kampfjet-Übungszone Deutschlands.
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