Globalisierung - eine moralische Pflicht?
Peter Martin, Herausgeber der Financial Times, sieht in der Globalisierung das Beste, was uns passieren kann.
Globalisierung ist eines der Reizwörter der Gegenwart. Fühlen sich die einen von ihr bedroht, glauben die anderen, vornehmlich die Globalisierungsgewinner, daß sie Schritt für Schritt den Fortschritt zur Verbesserung der Lebenssituation aller Menschen beitrage, wenn man nur alle Hindernisse aus dem Weg räume. Nun hat es der Herausgeber der Financial Times klar gesagt: die Weiterführung der Globalisierung=freier Markt + Reduktion des Staates ist eine moralische Angelegenheit.
The Long Boom?
Globalisierung und die europäische Linke
Wir ahnten es immer schon: die neoliberalistische Ideologie des freien Marktes und der Reduzierung des Staates ist nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine politische und vor allem individualistische Heilslehre. Vernünftig - zumindest im herkömmlichen Sinne - ist wenig an der Überzeugung, daß es die unsichtbare Hand, läßt man sie nur gewähren, schon zum Vorteil aller machen werde, zumal die unsichtbare Hand recht kräftig eingeschnürt wird, was etwa das Eigentum oder die körperliche Sicherheit anbelangt. Selektion ist schon gut, wenn es die anderen betrifft, aber wenn sie den eigenen Wohlstand oder herrschende Geschäftsgrundlagen untergräbt, will man von ihr nichts mehr wissen.
Jetzt jedenfalls hat der Herausgeber der Financial Times, Peter Martin, in einem kurzen Beitrag für Le Monde diplomatique die Moral der Globalisierung klipp und klar herausgestellt - und natürlich ist Globalisierung identisch mit dem freien Markt, der wiederum identisch mit Freiheit und Wohlstand ist. Man dürfe nicht nur auf die rein ökonomischen Aspekte der Globalisierung sehen, sondern müsse der zutiefst moralischen Bedeutung der Globalisierung zuwenden: "Die beschleunigte Integration bislang marginalisierter Gesellschaften ist das Beste, was während der Lebenszeit der Nachkriegsgeneration geschehen ist."
Bei der Globalisierung gehe es nicht mehr um die "falsche Zusammenarbeit" in Form von Nord-Süd-Gesprächen oder von bürokratischen Eliten, nein, sie verwirklicht eine "wirkliche Zusamenarbeit über Grenzen, Gesellschaften und Kulturen hinweg." Dank der Globalisierung sei das sowjetische "Reich des Bösen" untergraben und selbst China in die richtige Fahrspur eingeschwenkt. Überhaupt sei sie ein "außerordentlich positiver Prozeß" und habe "enorme Verbesserungen hinsichtlich des Glücks der Menschen" hergestellt. Welcher Art dieses Glück ist, wird freilich nicht ausgeführt.
Während andere wie Riccardo Petrella von einer teuflischen Maschine sprechen und gerade den damit einhergehenden Ausschluß ganzer Kontinente, Länder und Regionen kritisieren, die Linken wegen des Sozialabbaus und der Dominanz der Multis und überhaupt der Ökonomie der Globalisierung eher skeptisch gegenüberstehen oder die mangelnde Demokratisierung beklagen, von einer Globalisierungsfalle sprechen und manche auch meinen, daß die Globalisierung sowieso nur ein Mythos sei, behauptet der Missionar in Sachen Globalisierungsheil, daß jede Kritik an diesem Prozeß "zutiefst unmoralisch" ist. Schließlich gehe es vielen Menschen besser und seien besonders in Asien Millionen neuer Jobs geschaffen worden, und, der Haupteinwand, die Kritik sei eigentlich ein Versuch der Besitzstandswahrung seitens der Menschen aus den hoch entwickelten Ländern, die die Dritte Welt nicht emporkommen lassen wollen.
Jeder Versuch, die Globalisierung behindern, führe nur zu einer größeren Macht des Staates - der ist bei allen Neoliberalen schlicht nur Unterdrückungs- und Behinderungsagent, nicht auch ein Mittel zur Etablierung demokratischer Prozesse und zur Wahrung von Rechten - und zu einem Verlust individueller Freiheit. Dazwischen gibt es für den Moralisten der Globalisierung nichts: das große Ganze und das Individuum, beide freigelassen und am glücklichsten ohne jede Regulierung. Demokratie kommt paradigmatisch bei Martin nur als die demokratischen Rechte des einzelnen vor, wobei das wertvollste Recht sei, "in Ruhe gelassen zu werden." Das verbindet den einzelnen mit den transnationalen Unternehmen. Ob die steigende Konzentration wirtschaftlicher Macht und die weltweit wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen, die politische Reaktion der Verlierer in ethnische und nationalistische Bewegungen und die Versuche der virtuellen Klasse, sich der Gemeinschaft zu entziehen, das Heil der Globalisierung nicht ebenso wirksam untergraben könne, ist für den Propheten kein Thema, der ja auf der richtigen Seite steht.
Und überhaupt: Globalisierung ist die Maschine, die freien Markt, Demokratie, das Glück der Menschen, Wohlstand und Freiheit hervorbringt: "Sie ist der Gipfel des menschlichen Strebens." Anstatt herumzumäkeln, sollten wir sie preisen und ihre glühenden Verteidiger werden.