Golem@home

Mit einem Bildschirmschoner kann man sich in Form des Distributed Computing nicht nur am Golem-Projekt beteiligen, auch in Deutschland soll in diesem Jahr noch das erste hier entwickelte Programm im Bereich der Evolutionsforschung an den Start gehen

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Hod Lipson und Jordan Pollack von der Brandeis University haben nicht nur eine erste Möglichkeit entwickelt, wie Roboter sich automatisch replizieren und optimieren können, wobei auch erstmals der "Körper" der evolutionär sich entwickelnden Roboter fast ohne Eingriff des Menschen geschaffen wird (Erste sich selbst auch materiell replizierende Roboter). Um ihre Forschung populär zu machen, tatsächlich andere Ergebnisse herstellen zu können oder um es einfach einmal auszuprobieren, haben sie aber auch für ihr Golem-Projekt einen Bildschirmschoner entwickelt, der im Stil von Seti@home verteiltes Rechnen im Bereich des Künstlichen Lebens ausführt.

Startroboter bei LiveTruss

Das Herunterladen, Installieren und Starten des Bildschirmschoners von Golem@Home (Golem = Genetically Organized Lifelike Electro Mechanics) ist ziemlich problemlos. In kurzer Zeit wuselt bereits, wenn man nicht am Computer arbeitet, eines der seltsamen Geschöpfe aus lauter Stäben über die Schachbrettebene. Sympathisch an diesem Projekt des verteilten Rechnens, das derzeit nicht nur für wissenschaftliche Forschung oder für nichtkommerzielle Unternehmungen wie Seti@home eingesetzt wird, sondern auch auf kommerzieller Basis entwickelt wird (Die Rechenkraft ist da draußen), ist, dass die Teilnehmer am Projekt das Copyright für jedes Geschöpf erhalten, das sich auf ihrem Computer entwickelt hat. Die Wissenschaftler beanspruchen nur das Recht, statistische Auswertungen des Projekts veröffentlichen zu können. Verteiltes Rechnen wird vor allem dann entscheidend, wenn - wie in der biologischen Evolution - sehr große Populationen und viele Parameter, komplexere Umwelten und Körper etc. gewaltige Prozessorkapazitäten verschlingen. In diese Richtung aber wollen die Brandeis-Wissenschaftler weitergehen.

Ist Golem aktiv, dann werden beständig neue "Körper" und "Gehirne" von elektromechanischen Robotern geschaffen, von denen einige auch auf dem Bildschirm animiert werden. Gelegentlich sollen, wenn der Computer gerade Internetverbindung hat, auch manche der entstandenen Geschöpfe auf andere Rechner auswandern, während fremde auf den eigenen einwandern. Das soll wohl das "Genom" etwas erweitern. Aus Sicherheitsgründen werden aber, so die Wissenschaftler, nur Daten, keine exe-Dateien ausgetauscht, überdies könne man dieses Feature auch abstellen. Vorgesehen ist auch, dass Updates des Programms automatisch vom Internet heruntergeladen werden, was sich aber gleichfalls abschalten lässt.

Selbst wenn die auf dem eigenen Computer sich automatisch erzeugenden Robotersimulationen auswandern, enthalten sie weiterhin die Informationen über den Inhaber des Copyright. Man selbst bleibt bei diesem Evolutionsexperiment des verteilten Rechnens weitgehend passiver Zuschauer, da die Robots sich ja automatisch, ohne Eingriff von außen also, entwickeln sollen. Allerdings gibt es einige indirekte Möglichkeiten der Steuerung etwa durch die Veränderung der Populationsgröße, das Löschen ganzer Populationen oder die Veränderung der Landschaft, in der sich die Roboter bewegen. Wenn man mithin versucht, auf diese Weise die Roboter besser oder stabiler zu machen, dann könne man, so die Wissenschaftler, gar von einer Mensch-Maschine-Koevolution sprechen.

Wer sicher gehen will oder sich nicht am Golem@home-Projekt beteiligen will, kann sich auch LiveTruss herunterladen und damit ein wenig herumspielen. Das ist das Programm, mit dem die Wissenschaftler die Roboter sich haben entwickeln lassen, die in ihrem viel Medienaufmerksamkeit auf sich gezogenen Nature-Artikel vorgestellt wurden. Hier lassen sich die Parameter verändern und können, wenn man, so die Wissenschaftler vielversprechend, das Programm für ein oder zwei Tage auf seinem auch langsamen Computer laufen lässt, durchaus neue und interessante Roboter entstehen. Sollte das der Fall sein, bitten sie, dass man diese abspeichert und den Wissenschaftlern zusendet. Jederzeit lassen sich auch Snapshots oder Videos machen. Dann kann man sich aus der Golem-Evolution auf dem eigenen Computer gewissermaßen ein Erinnerungsarchiv aufbauen.

Erst im Stadium der Ankündigung, aber schon mit einer Website ausgestattet, befindet sich noch ein Projekt, das von Laurence Loewe von der Microbial Ecology Group am Forschungszentrum für Milch und Lebensmittel der Technischen Universität München in Weihenstephan vorbereitet wird und bis zum Ende des Jahres starten soll. Auch bei evolution-at-home geht es um die Simulation von evolutionären Prozessen. Versucht werden soll, anhand von Simulationen die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf Populationen gefährdeter Arten und die Evolution neuer funktionaler Anpassungen besser zu verstehen. Loewe verspricht, dass es sich um "die erste Möglichkeit der Allgemeinheit" handelt, an einer "ernsthaften Forschung in der Evolutionswissenschaft" teilzunehmen.

Wenn das Programm einmal fertig ist, kann man es sich herunterladen laden und die Evolution von Modellen berechnen lassen. Das Programm nennt sich Eepsilon (Evolutionary ecological process simulation interpreter language for observing models of nature) und soll zunächst über verteiltes Rechnen die Folgen von spontanen Mutationen mit kleinen Auswirkungen untersuchen, die sich in Populationen akkumulieren und sie auslöschen können.

Verteiltes Rechnen sei deswegen für das Experiment notwendig, weil dieselbe biologische Realität durch viele unterschiedliche Modelle beschrieben werden könne. Um die besten Modelle herauszufinden, müssen viele Modelle getestet werden, was die Kapazität eines einzelnen Computers übersteigen würde. Angeboten werden sollen also unterschiedliche Modelle mit unterschiedlichen Parametern für Evolutionsprozesse, die jeweils auf einer eigenen Maschine bzw. als eigenes Programm laufen, um die Berechnungen zu erleichtern. Die Teilnehmer sollen selbst entscheiden können, in welches Programm oder Modell sie ihre Prozessorzeit investieren wollen. [FR1]home