Grenzenloses Wachstum im All: Obsessionen reicher Männer
Seite 4: Kapitalistischer Expansionszwang
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Es gehe auch gar nicht darum, heute zu sagen, was man im All tun will, und dann die Infrastruktur dafür zu bauen, drängt Jeff Bezos:
"Die Aufgabe unserer, meiner Generation ist es, die Infrastruktur zu bauen. So dass die Möglichkeiten geschaffen werden. Wir werden eine Straße ins All bauen."
(Jeff Bezos / Bayern 2 / Breitengrad)
Diese Aussage sollte bei Betrachtung ihrer Konsequenzen fassungslos machen. Hunderte Milliarden oder gar Billionen sollen laut Bezos auf gut Glück investiert werden, mit allen katastrophalen Folgen für Umwelt und Klima. Und dann wollen wir mal sehen, was man mit dieser Infrastruktur so anfangen kann. Das ist fataler Fortschritts- und Größenwahn. Herrn Bezos mit diesen Worten unkommentiert zu zitieren ist mindestens unkritischer Journalismus.
"Und zukünftig? Wir werden im All für das All produzieren", ist der Autor des Bayern-2-Beitrags sicher. Die Rede ist auch von riesigen 3D-Druckern. Nicht mehr Raketen brächten dann Satelliten ins All, sondern diese würden auf Raumstationen montiert und ausgesetzt. Dies sei der erste Schritt, um "unseren ökonomischen Lebensraum um einige Hundert Kilometer nach oben zu verlagern". Der nächste Schritt sei aber längst in der Planung: ein zweiter Wirtschaftsraum. Gemeint ist der Mond.
Das klingt alles ganz fantastisch, aber lohnt sich das denn? Wieso sollte man Dinge im All produzieren, die viel billiger und einfacher auf der Erde herzustellen sind? Und zwar ohne einen wahnwitzigen Aufwand durch Tausende von Raketenstarts. Allein die Tatsache, dass sich die Szene seit 1978 regelmäßig trifft, um die Möglichkeiten extraterrestrischer Industrieproduktion zu besprechen, bisher aber keine Produktion außerhalb der Erde stattfindet, könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich auch in der nahen und mittleren Zukunft nicht lohnen wird. Vielleicht ist so ähnlich wie es auch bei der Fusionsenergie, von der stets heißt, in 30 bis 50 Jahren sei es endlich so weit.
Was will man auf dem Mond? Was auf dem Mars? Nicht zuletzt glaubt man, dass es dort große Mengen wertvoller Metalle und die für die Elektronikindustrie so wichtigen seltenen Erden gibt.Statt erst mal ein vernünftiges Recycling für Lithium-Ionen-Akkus und Smartphones auf der Erde einzuführen, verschwendet man lieber mit ungezügeltem Konsumwahn alle knappen Ressourcen unseres Planeten und wendet noch mehr Ressourcen auf, um vielleicht irgendwann weitere Ressourcen von einem andern Planeten beziehen zu können.
Das ergibt einfach keinen Sinn. Man macht hier drei Schritte vor dem ersten und könnte sich zwei Schritte sparen, wenn man das Ressourcenthema gleich richtig angehen würde und zwar ohne Wachstumsideologie, sondern mit der Einsicht, dass Recycling und Sparsamkeit, vielleicht sogar Verzicht ein Fortschritt sein kann.
Dann wäre da noch die Sache mit dem Wasserstoff, der aus Wasser auf dem Mond gewonnen werden soll. Die Umwandlung von Wasser in Wasserstoff benötigt vor allem eines: viel Energie. Sehr viel Energie. Und die muss man auf dem Mond durch Photovoltaik erzeugen mit Solarzellen, die in Fabriken auf der Erde hergestellt werden. Und zwar mit einer enormen Lieferkette mit zig Zulieferern, hunderten von Produktionsschritten. Wer also Wasserstoff auf dem Mond effizient herstellen möchte, muss erst einmal diese gesamte Lieferkette und alle notwendigen Fabriken auf den Mond verlagern. Und dann hoffen, dass dort auch alle Rohstoffe vorhanden sind, die für den Bau benötigt werden. Auch das ist mehr als unklar.
In anderen Worten: Es geht hier um unausgegorene Ideen, deren Umsetzbarkeit mehr als zweifelhaft sind. Ganz abgesehen von der Frage, warum zum Teufel man unbedingt vom Mond zum Mars fliegen möchte. Mit enormem Ressourcenaufwand, um dort noch mehr Ressourcen zu gewinnen, um dann wieder auf der Erde das ökonomische Wachstum vermeintlich unendlich fortsetzen zu können.
Immerhin eine kritische Erkenntnis bleibt unterm Strich stehen, wenn es gegen Ende des Beitrags vom 21. Mai heißt:
Wir brauchen auf jeden Fall Umweltschutzgesetze für den Weltraum.
Aber die Problematik von Ressourcenverbrauch und Umweltschutz auf der Erde für die angeblich nahende Weltraum-Expansion wird vollständig ausgeblendet. Was definitiv nicht stimmt, ist die Aussage, dass nationale Eitelkeiten und Geopolitik beim "Rennen ins All" heutzutage keine Rolle spielen würden. China etwa sieht sich mit seinem autoritären Turbo-Kapitalismus mit kommunistischem Deckmantel sehr wohl als Gegenentwurf zu westlichen Gesellschaften und zum liberalen oder rheinisch geprägten Kapitalismus. Und im Westen sieht sich die Mehrheit ebenfalls als Gegenentwurf zu den autokratisch-staatsinterventionistischen Marktwirtschaften.
Auch in Russland sieht man das eigene Land als Machtblock, der im Wettbewerb zum Westen, insbesondere den USA steht. Im Beitrag wird es aber so dargestellt, als würde jene vermutete "neue Dimension de Globalisierung" zu einer Welt führen, in der alle Interessen ähnlich seien, in der alles zu einem großen Marktplatz würde. Ganz so, als führe die Globalisierung die Menschheit zusammen, wohingegen sie in Wirklichkeit mit brachialer Ungerechtigkeit und Härte die Menschheit spaltet.
Narzissten mit ökonomischer Macht
Wer sind diese Milliardäre, die das Thema der ökonomischen "Eroberung" des Alls so vehement vorantreiben? Und steckt neben der kapitalistischen Logik nicht auch eine psychologische Komponente in ihrem Engagement? Und welche Psychologie steckt dahinter? Es ist schon auffällig, dass man bei den drei Protagonisten ähnliche Persönlichkeitsmuster erkennen kann. Vor allem sind es Elon Musk mit SpaceX ("Wenn die Regeln so sind, dass du nicht vorankommst, dann musst du gegen die Regeln kämpfen"), Jeff Bezos mit Blue Origin ("Das Leben ist zu kurz, um sich mit Leuten abzugeben, die nicht einfallsreich sind") und Richard Branson mit Virgin Galactic ("Wenn dir deine Träume keine Angst machen, sind sie zu klein").
Es liegt der Verdacht nahe, es könnte sich bei diesen Herren um Größenwahnsinnige, medizinisch ausgedrückt um Narzissten grandioser Ausprägung handeln. Viele Persönlichkeiten dieser Art streben an, in Gesellschaft und Beruf an hohe, einflussreiche Positionen zu gelangen - und nicht wenige von ihnen schaffen dies auch. Dies wird von Seiten der Wissenschaft als sehr problematisch angesehen:
Narzissten grandioser Ausprägung sind über-selbstbewusst und verlassen sich häufig auf ihre eigene Intuition, wenn sie Entscheidungen treffen. (…) Sie übernehmen in Organisationen häufig Führungspositionen. Diese Tendenzen können Organisationen, die sie leiten, einem Risiko aussetzen.
(Charles A. O'Reilly / Nicholas Hall, Ökonomen der Stanford University)
Es klingt also fast, als solle die Menschheit in ein wahnwitziges Abenteuer von Ressourcenverschwendung und Umweltkatastrophe hineingezwungen werden, das maßgeblich von wenigen reichen Männern mit Persönlichkeitsstörung vorangetrieben wird.
Die Redaktion von Quarks hat die Symptome dieses Typus im prägnant zusammengefasst, von denen fünf erfüllt sein müssen, damit laut Diagnoseschlüssel DSM-5 eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliegt. Man gleiche sie ab mit den Verhaltensweisen und Aussagen der drei genannten Männer:
1. Die Person hält sich für grandios wichtig.
2. Sie ist stark eingenommen von Fantasien von Erfolg, Macht und Schönheit.
3. Sie glaubt einzigartig und besonders zu sein und nur von ebenso angesehenen und erfolgreichen Menschen verstanden zu werden.
4. Sie verlangt nach übermäßiger Bewunderung.
5. Sie hegt ständig Ansprüche auf eine Sonderbehandlung.
6. Andere nutzt der Betreffende für seine eigenen Ziele aus.
7. Es fehlt an Empathie: Die Gefühle und Bedürfnisse der Mitmenschen werden nicht gesehen.
8. Die Person ist oft neidisch auf andere oder glaubt umgekehrt, andere neiden ihr ihren Erfolg.
9. Sie benimmt sich arrogant und überheblich.
Ihr Traum würde bestehende Probleme dramatisch verschärfen
Fassen wir also zusammen: Derzeit gibt es einen Hype um die Expansion kapitalistischen Gewinnstrebens ins All. Dieser Hype wird unter anderem maßgeblich von einigen "charismatischen Führungspersönlichkeiten" vorangetrieben, die nicht frei sind von Eitelkeit und Geltungssucht, um es mal freundlich auszudrücken. Die Menschheit soll mit hohem Ressourcenaufwand in ein Abenteuer gezwungen werden, das bestehende Umwelt- und Ressourcenprobleme verschärfen würde. Insbesondere in Bezug auf Klimawandel und soziale Ungerechtigkeit.
Die Gläubigen eines angeblich goldenen Zeitalters im Weltall sind entweder Handlanger oder direkte Profiteure, wie eben die genannten Silicon-Valley-Ideologen und Multimilliardäre. Sie gedenken ihr futuristisches Süppchen auf dem Rücken der Menschheit zu kochen und sich ganz nebenbei einen Platz in den Geschichtsbüchern zu erkaufen. Auch die US-Raumfahrtbehörde Nasa spielt mit ihrem Fokus auf den Mars und außerirdischen Welten dieses Spiel mit. Dass es auch anders geht, zeigt der Fokus der europäischen Raumfahrtbehörde Esa, der vornehmlich auf Erdbeobachtung und Analyse von Umweltproblemen und Klima auf unserem Planeten liegt.
Es fällt den Weltraum-Kapitalisten offenbar leicht, von den Problemen und Herkulesaufgaben abzulenken, die auf der Erde gelöst werden müssen, wenn sie vermeintliche Lösungen gedanklich "einfach" ins All verlagern. Vielleicht auch, weil große Teile der medialen Öffentlichkeit die technokratische Fortschrittsideologie teilen und in ihrem Denken sehr stark von Science-Fiction-Literatur und -Filmen beeinflusst sind.
Die genannten Tycoons und ihre Anhänger wollen nicht einsehen, dass Wachstum begrenzt ist und begrenzt sein muss. Seit "Die Grenzen des Wachstums" vom Club of Rome 1972 angemahnt wurden, haben sie offenbar nichts dazu gelernt. Man klemmt nach wie vor in der Wachstumsideologie des fordistischen Zeitalters fest und tarnt sie heute auch noch als Fortschritt. Das Schlusswort soll dem Wissenschaftshistoriker Peter Fischer überlassen bleiben:
"Wer heute noch in der Wirtschaft Innovation und Wachstum verknüpft, wie aktuell geschieht, ist ein Selbstmordattentäter. Wir fragen zu oft, was neu, und zu wenig, was gut ist."
(Peter Fischer)