Griechenland hat die EU abgewählt

Seite 4: Verelendung schreitet voran

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Während also einige wenige Privilegierte sich auf Kosten der Bürger und des insolventen Staates weiter bereichern, macht sich in der breiten Bevölkerung Verzweiflung breit. Infolge der harten Sparmaßnahmen sind die Einkommen der Griechen laut Schätzungen der Gewerkschaftsverbände seit 2009 durchschnittlich um fast 40 Prozent gefallen.

Ungefähr 1,4 Millionen Menschen (28 Prozent) sind in dem Elf-Millionen-Land ohne Arbeit, jedoch erhielten nach offiziellen Angaben nicht mehr als 145 000 von ihnen 2013 Arbeitslosengeld. In Griechenland gibt es diese Unterstützung lediglich höchstens ein Jahr. Im Anschluss ist jeder auf die Hilfe der Familie, der Kirchen und der Städte angewiesen. Unter den Jugendlichen sind derzeit fast 60 Prozent ohne Arbeit!

Die flächendeckende Verarmung der Griechen hat für alle Lebensbereiche weitreichende Folgen: Städte wie Athen und Thessaloniki ersticken im Smog, weil viele Griechen kein Geld für teures Heizöl mehr ausgeben können und stattdessen auf selbst und natürlich illegal geschlagenes Brennholz zurückgreifen.

Im Dezember 2013 lag die Feinstaubbelastung in Athen mit 102 Milligramm pro Kubikmeter Luft auf doppelt so hohem Niveau wie normal. Viele Griechen können ihren Strom nicht mehr bezahlen, etwa 135.000 Wohnungen sind ohne Elektrizität.

Als weiteren bedenklichen Indikator für die pure Verzweiflung in der Bevölkerung muss man auch werten, dass die Zahl der HIV-Infektionen in Griechenland sprunghaft ansteigt. Der Grund hierfür ist mehr als alarmierend: Viele Menschen stecken sich absichtlich mit dem tödlichen Virus an, weil die staatlichen Hilfsleistungen für Infizierte weit über denen für Arbeitslose liegen.

Am schlimmsten jedoch leiden die Kinder unter der katastrophalen Situation in Griechenland. Mehr und mehr unterernährte, vernachlässigte, depressive oder sogar misshandelte Kinder werden in Arztpraxen abgeliefert oder einfach ausgesetzt wie lästig gewordene Haustiere. Anna Mailli, eine Medizinern, die in einer Praxis in Perama, westlich von Piräus - einem Brennpunkt der Krise mit einer Arbeitslosenquote von rund 60 Prozent - unentgeltlich Dienst tut, berichtet: "Früher waren Fälle von Kindesmisshandlungen in Griechenland die Ausnahme", "Jetzt sehe ich zunehmend Kinder, die blaue Flecken haben, weil sie geschlagen wurden.

Das zeigt: Die Krise lässt immer mehr Familien zerbrechen, und die Kinder als Schwächste haben darunter besonders zu leiden." Als wäre dies nicht schon schlimm genug, sehen sich immer mehr Frauen gezwungen ihren Körper zu verkaufen. Die Wachstumsbranche Prostitution hat einen Anstieg um 1500 Prozent zu verzeichnen.

Die weiterhin abwärts gerichtete Spirale in Griechenland ist vorgezeichnet: Aufgrund der seit langem anhaltenden hohen Arbeitslosigkeit können immer weniger Griechen ihre Schulden bezahlen und damit rutschen immer mehr Banken in ernsthafte Engpässe. Mittlerweile sind knapp 40 Prozent aller Kredite ausfallgefährdet. Das bedeutet im Klartext, dass Kredite mit einem Volumen von über 80 Milliarden Euro seit mehr als 90 Tagen nicht mehr bedient werden.

Wie schon so oft in der Geschichte fördert und beschleunigt die verheerende wirtschaftliche Situation den Vormarsch von extremistischen Kräften. Auch wenn die Regierung mittlerweile massiv gegen Parteien wie beispielsweise gegen Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) vorgeht, wird dies das Problem auf lange Sicht nicht lösen.

Mittlerweile bekriegen sich in Griechenland nicht nur Kräfte vom extrem linken und rechten Rand untereinander, die Aggressionen richten sich jetzt auch verstärkt gegen Ausländer. Und eine weitere Stufe der Eskalation ist damit erreicht, dass nun auch Diplomaten und somit Repräsentanten ausländischer Staaten gezielt angegriffen werden. Ende Dezember 2013 feuerten Unbekannte mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr auf die Residenz des deutschen Botschafters im Norden Athens. Verletzt wurde glücklicherweise niemand.

In Anbetracht der Faktenlage klingen die Äußerungen unseres amtierenden Finanzministers Wolfgang Schäuble vom November 2013 äußerst fahrlässig. Schäuble diagnostizierte nämlich gelassen, dass von den Krisenstaaten in Südeuropa nun "keine Ansteckungsgefahr mehr" für die Euro-Zone als Ganzes ausgehe, und dass selbst Griechenland auf gutem Wege sei.

Diese Sätze sind ein Schlag in das Gesicht der notleidenden griechischen Bevölkerung. Trotz enormer Probleme, sei das Land laut Schäuble, dennoch voraussichtlich zu "ordentlichem Wachstum" zurückgekehrt und anscheinend beim Abbau des staatlichen Defizits rascher als gedacht vorangekommen. Schäuble: "Dafür muss man dem Land Respekt zollen." Angesichts der tatsächlichen Entwicklung in Griechenland klingen Schäubles Einschätzungen wie blanker Hohn.

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