Griechenland in der Abwärtsspirale

Seite 2: Die Demonstration des 6. Dezember

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Für den Nikolaustag waren gleich zwei Demonstrationen angemeldet. Die Schülerdemo startete um 14 Uhr. Bei ihr fanden sich die führenden Politiker der Syriza-Abspaltung Volksunion ein. Die Partei von Panagiotis Lafazanis versucht sich bislang mit minderem Erfolg, als linke Alternative zu Tsipras zu positionieren. Trotz der relativ hohen Teilnehmerzahl von Schülern gab es bereits bei Beginn der Demonstration Scharmützel mit der Polizei.

Außer einem regelrechten Steinhagel von Seiten der Schüler und der entsprechenden Antwort der Einsatzpolizei blieben weitere Eskalationen aus. Die Demonstration löste sich kurz vor 17 Uhr friedlich auf, als hätte es keine zwischenzeitliche Auseinandersetzung gegeben.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Bis zum Beginn der abendlichen Großdemonstration konnte in Exarchia ein reges Treiben beobachtet werden. Alte Türen und Baumaterial wurden auf den zentralen Platz gebracht. Das Viertel rüstete sich für den Abend. Die Geschäfte rund um den Platz wurden geschlossen und von ihren Besitzern verbarrikadiert. Anders als sonst hatten sich auch die hartgesottensten Ladenbesitzer für diese Maßnahme entschieden, zumal am Vormittag, kurz vor 12h ein Bekleidungsladen aus noch unbekannten Gründen und ohne eine Demonstrationsgruppe in der Nähe schlicht abgefackelt worden war.

Die überall in der Stadt präsenten Einsatzpolizisten erklärten derweil jedem, den sie in schwarzer Kleidung oder mit einem Kapuzenpullover sahen, dass sie am Abend eine Tracht Prügel garantieren würden. Dazu gab es die entsprechenden, expliziten sexuellen Hintergrund implizierenden Handbewegungen der Uniformierten.

Der eigentliche Demonstrationszug startete von den Propyläen am Hauptgebäude der Athener Universität aus. Geplant war ein Marsch zum Omonia-Platz, dann zum Syntagma-Platz am Parlament und wieder zurück zum Uni-Hauptgebäude. Wie üblich skandierte die Menge Parolen gegen die "mörderische Polizei", die verlogene Presse und die Nazis und zog durch die Straßen.

Der Weihnachtsbaum am Syntagma-Platz, ein von allen erwarteter Ort des Showdowns, wurde ohne Probleme passiert. Erst 300 Meter später, und knapp 300 m vom Ziel entfernt, gab es den ersten Zwischenfall. Ein Demonstrant zündete einen Molotowcocktail und warf diesen so unglücklich in Richtung numismatisches Museum, dass der Alleenbaum das Wurfgeschoss zurück in die Demonstrationsmenge katapultierte. Das war das Signal für die Polizei zum Zuschlagen.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Innerhalb von Sekunden flogen Dutzendweise Blend- und Tränengasgranaten. Die vollkommen orientierungslose Menge wurde auseinandergetrieben. Die Polizisten schlugen dabei mit Schlagstöcken auf jeden ein, der nicht sichtbar mit einer Kamera in der Hand als Journalist auffiel. Rechtsanwälte, die sich mit ihrem Ausweis am Revers zum Schutz vor Gewaltübergriffen der Polizei freiwillig in die Demonstration begeben hatten, wurden derweil das Opfer von hitzigen Menschen jeden Alters, die im Ausweisträger einen Zivilpolizisten vermuteten.

Erst zwanzig Minuten später sammelten sich die Demonstrationsteilnehmer in Sichtweite des Omoniaplatzes, wobei der Polizeikordon um die Menge nur zwei Auswege offen ließ. "Wer gehen will, kann in Richtung Omonia verschwinden", ließen die Polizisten wissen. Der zweite Weg führte hinein nach Exarchia.

Dort teilten sich die die Lager in Polizisten, die von der Patision Avenue aus operierten und Autonome, die vom zentralen Platz aus operierend die Polizei angriffen. Es gab einen recht sinnlos erscheinenden Schlagabtausch, der sich über mehrere Parallelstraßen der Stournara Straße zog. Teilweise flogen seitens der Autonomen zwanzig Molotowcocktails gleichzeitig in Richtung Polizei. Die Autonomen hatten zudem mit einer generalstabsmäßig geplanten Aktion die Einsatzkräfte in Angst versetzt. Ein offensichtlich herrenloser Smart Kleinwagen war mit Gaskartuschen gefüllt worden und wurde in Brand gesetzt auf eine Polizeieinheit gerollt.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Zu den Besonderheiten des Tages zählt die Tatsache, dass die Polizeikräfte teilweise so verwirrt waren, dass sie sich gegenseitig mit Blendgranaten bewarfen. Gleichzeitig jedoch achteten sie anders als sonst darauf, die Journalisten nicht zu verletzen. Bei den Autonomen kam es zu ähnlichen Fehlleistungen als einige, offenbar von den Blendgranaten ihrer Orientierung beraubt, ihre Molotowcocktails statt in Richtung Polizei auf die Balkone der Anwohner schmissen, und damit dort Brände auslösten.

Die erste "6. Dezember Demonstration" unter Premierminister Alexis Tsipras war gezeichnet von einem flächendeckenden, exzessiven Einsatz von Gasen aller Art durch die Polizei. Neben konventionellem Tränengas gab es Granaten, welche den Attackierten die Atmung nahezu lähmten. Trotzdem dauerte die Straßenschlacht bis in die frühen Morgenstunden des Montags an. Als bisheriges Ergebnis der drei Nächte sind 11 Anklagen gegen Beteiligte bekannt geworden. Unter den Festgenommenen befinden sich auch Minderjährige.

Was ansonsten wirklich wichtig war

An der Situation im Land änderte sich derweil überhaupt nichts. Die Insassen des Gefängnishospitals von Griechenlands größter Strafanstalt, Korydallos, traten nach zweiundzwanzigtägigem Medikamentenstreik nun auch in den Hungerstreik. Sie beklagen untragbare hygienische Zustände, das Fehlen von Ärzten und Krankenwagen, sowie die chronische Überbelegung.

In Korydallos. Foto: @kolastirio

Im Gebäudetrakt, der nur euphemistisch Krankenhaus genannt werden kann, werden an AIDS Erkrankte ohne Schutz zusammen mit anderen Patienten mit ansteckenden Krankheiten in einer "Isolierstation" eher gestapelt als versorgt. Krebspatienten wird die Versorgung verweigert. Wer über einen Anwalt die internen Zustände bekannt macht, erhält eine Zusatzstrafe. Statt vorbeugender Behandlung gibt es für Strafgefangene die Amputation erkrankter Gliedmaßen.

Wer klagt, dem wird die Versorgungsleistung komplett verweigert. Kolastirio (= Höllenloch) nennen die Insassen den Trakt, in dem offensichtlich die Einweisung einer Todesstrafe gleich kommt.