Einsatz von KI-basierter Triage in Krankenhäusern - auch bei uns?
Griechenland plant als erstes EU-Land den Einsatz von KI bei der Triage in Krankenhäusern. Der Gesundheitsminister verspricht sich davon Effizienz. Doch Ärzte protestieren.
Der griechische Gesundheitsminister Adonis Georgiadis hat sich bereits auf früheren Regierungsposten als Fan der Künstlichen Intelligenz geoutet. Er verspricht sich von der Anwendung der KI-Kostensenkungen und steigende Effektivität. Nun möchte er in Griechenland als erstem EU-Mitgliedsstaat ein bislang lediglich in Israel praktiziertes Experiment übernehmen.
Die Lösung für Notaufnahmen? KI-gestützte Triage
KI und Medizin, das ist eine Kombination, die gleichermaßen viele erschreckt oder begeistert. Georgiadis steht in Griechenland unter Druck, weil Fotografien und Videoaufnahmen von chaotischen Zuständen in der Notaufnahme des zentralen Athener Krankenhauses Gennimata in den Medien die Runde machten. Mitte Mai stellte Georgiadis im Radiosender Real FM seinen Lösungsvorschlag vor:
Ich habe viele Krankenhäuser im Ausland aufgesucht. Überall sieht es bei Bereitschaftsdienst in den Notausnahmen vergleichbar aus. Nur in einem Land sah ich es anders, in Israel. Dort gibt es keine chaotischen Zustände, weil sie mit einem KI-System eine automatische Triage durchführen.
Ich plane, ein solches System als Pilotsystem in einem griechischen Krankenhaus einzuführen, um zu sehen, wie es sich bewährt. Dabei frage ich mich, ob die Ärzte an meiner Seite stehen werden, oder ob sie behaupten werden, ich wolle sie abschaffen. So oder so, ich ziehe das durch.
Adonis Georgiadis
"Triage", das kurze französische Wort steht für "Auswahl" oder "Auslese". Im Krankenhausbetrieb bedeutet es nicht mehr und nicht weniger als eine Priorisierung medizinischer Hilfeleistung.
Im Katastrophenfall wird mit einer Triage entschieden, bei welchen Patienten noch geholfen wird, und welche zur Schonung der Kapazitäten des Krankenhauses gar nicht erst behandelt werden.
Triage außerhalb von Katastrophenzeiten bedeutet aber auch, dass nach einem bestimmten Muster, einem Algorithmus oder sonstigen Regeln entschieden wird, wie und wann Patienten behandelt werden. Georgiadis ist überzeugt, dass es ohne ein computergestütztes System nicht möglich ist, "1.000 Patienten in einer Stunde zu behandeln".
Kritik aus der Ärzteschaft: Mangel an Personal statt Technologie?
Tatsächlich ließ die von Georgiadis erwartete negative Reaktion aus der Ärzteschaft nicht lange auf sich warten. Sie beklagen, dass die in Israel getesteten Systeme in Krankenhäusern mit genügend Personal eingesetzt würden, während in Griechenland viele Planstellen an den Krankenhäusern unbesetzt sind.
Dem Minister wird vorgeworfen, er sähe in der KI "ein Allheilmittel für alle Krankheiten". Tatsächlich hatte Georgiadis bereits im Februar Pläne vorgestellt, mit einer KI-basierten Telemedizin das öffentliche Gesundheitssystem zu entlasten.
Schon auf seinem früheren Posten als Arbeits- und Sozialminister outete sich der Vizevorsitzende der Regierungspartei Nea Dimokratia als Fan von KI-Anwendungen im Arbeitsleben.
Die aktuellen Sprachmodelle sind in ihrer Fähigkeit logische Schlüsse zu ziehen und Fakten abzuwägen noch begrenzt. Ihre Entscheidungsmöglichkeit beruht auf Statistiken und den Daten, mit denen sie trainiert wurden.
Einschlägige Fachzeitschriften für Mediziner beschäftigen sich bereits länger mit den Möglichkeiten und Risiken der KI-basierten medizinischen Anwendung.
KI in der Praxis: Israelische Erfahrungen mit KI-gestützter Triage
In Israel testet das Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv, das zweitgrößte Krankenhaus des Landes, mit Kahun ein evidenzbasiertes Entscheidungstool für Ärzte in einem Pilotversuch im medizinischen Alltag. In der Notaufnahme steht Kahun als Tippgeber bei der Triage den Ärzten zur Seite.
So sollen Ärztinnen, Ärzte und Pflegepersonal entlastet werden. Die evidenzbasierten Entscheidungstools wie Kahun sollen Patienten schneller die für sie individuell richtigen Diagnoseschritte zukommen lassen, und somit für eine schnellere und effektivere Therapie sorgen. Außer Kahun ist am Sheba Medical Center, ebenfalls in Tel Aviv, das Konkurrenzprodukt von aidoc in der Triage der Notaufnahme im Einsatz.
KI-Diagnosehelfer: Nicht nur ein israelisches Produkt
KI-Diagnosehelfer sind kein exklusiv israelisches Produkt. Das Start-up-Unternehmen Saventic Health in Warschau verspricht sich von seinem Sprachmodell eine schnellere Diagnose seltener Krankheiten.
Georgiadis ist nicht der einzige europäische Gesundheitspolitiker, der sich über eine Adaption des israelischen Triage-Modells Gedanken macht. Bereits im Sommer 2022 gab es in deutschen Medien ähnliche Vorschläge.
Nachdem sich die erste Aufregung um Georgiadis Vorstoß gelegt hatte, griff der Minister selbst zur Feder und veröffentlichte in der vergangenen Woche einen eigenen Presseartikel zur KI in der Medizin bei Athens Voice.
Die Zukunft der Medizin: KI für effizientere Gesundheitsdienste
Er sieht die Etats für Gesundheitsausgaben der einzelnen EU-Staaten am Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Durch KI-Anwendungen, die mittels Forschung optimiert werden müssten, sei eine Steigerung der Effizienz im Gesundheitswesen möglich, argumentiert Georgiadis.
"Die Verbindung von künstlicher Intelligenz mit der Medizin verspricht, die Diagnose, Behandlung, Prävention und Effizienz von Gesundheitsdiensten zu verbessern", schreibt er und prophezeit, dass so Menschen therapiert werden könnten, die heute nicht gerettet werden können.
Mittels KI werde auch die Vorsorge einfacher als heute, ist er sich sicher. Gemäß dem griechischen Minister soll die EU diese und ähnliche Herausforderungen in der Medizin nach dem Muster des Vorgehens in der Pandemie gemeinsam angehen.