Griechenland versinkt im Müll

Bild: W. Aswestopoulos

Ein Gerichtsurteil setzte zehntausend Angestellte der kommunalen Abfalldienste auf die Straße

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Seit knapp einer Woche werden in vielen Kommunen des Landes die Abfalldienste bestreikt. In Griechenland wird der Abfall eigentlich täglich entsorgt. Allabendlich, auch an Sonn- und Feiertagen fahren Müllwagen durch die Städte. Folgerichtig sind es die Bürger gewohnt, ihren Abfall täglich zu entsorgen.

In den Straßen befinden sich große Abfallbehälter, deren Volumen für eine tägliche Entleerung ausgelegt ist. Dabei entsorgen Betriebe und Bürger in die gleichen Abfallbehälter. In manchen Städten, wie in Patras fingen Müllberge in den Straßen bereits Feuer. Griechenland erwartet eine Hitzewelle mit Temperaturen über 43 Grad Celsius, wodurch das Problem noch weiter verschärft wird.

Ein Gerichtsurteil entlässt 10.000 Zeitangestellte

Seit am vergangenen Montag ein Urteil eines obersten Gerichts, des Kontrollrats, zehntausend Angestellte der kommunalen Abfalldienste auf die Straße setzte und gleichzeitig in den Raum stellte, dass diese ihre bereits in den vergangenen Jahren erhaltenen Gehälter zu Unrecht erhielten, streikt die Müllabfuhr.

Die Fronten wurden nun noch einmal verhärtet, weil der Bürgermeister von Thessaloniki Yannis Boutaris beschlossen hat, eine private Firma mit der Beseitigung von knapp 1500 Tonnen Abfall zu beauftragen.

In Thessaloniki sind die Auswirkungen der Krise besonders spürbar, weil mit dem Gerichtsbeschluss von den 1700 Angestellten der Abfallentsorgung auf einen Schlag 750 entlassen wurden. Dass Boutaris seine Maßnahme auf drei Tage begrenzt, ändert nichts an der Tatsache, dass die Gewerkschaften diesen Schritt als organisierten Streikbruch empfinden und dementsprechend reagieren. Boutaris ließ sich seine Maßnahme, welche die Stadt insgesamt 192.000 Euro kostet, vom zuständigen Rechnungshof genehmigen.

Ihm zur Seite steht die linksliberale Partei To Potami. Die Partei schlug im öffentlichen Dialog vor, dass jede Kommune im Alleingang über ihre Politik der Abfallentsorgung entscheiden solle. Boutaris wehrt sich gegen Vorwürfe, dass sein Vorstoß eine verkappte Privatisierung sei. "Wenn das eine Privatisierung ist, dann bin ich ein Außerirdischer", meint er.

Kundenbeziehung von Politikern und Wählern

Tatsächlich sind die Finanzen im Fall der Müllabfuhr das geringere Problem. Die Bürger zahlen die kompletten Kosten für die Abfallbeseitigung regelmäßig zusammen mit ihrer Stromrechnung. Das Problem liegt vielmehr im organisatorischen und verfassungsrechtlichen Modus, welcher die Beschäftigungsverhältnisse für kommunale Bedienstete bestimmt. Es wurde nicht allein von der Regierung Tsipras verursacht.

Denn alle Regierungen hatten bisher, auch in den Jahren vor der Krise, keine Notwendigkeit gesehen, die Müllabfuhr mit Planstellen zu besetzten. Stattdessen wurden regelmäßig Aushilfskräfte mit meist achtmonatigen Zeitverträgen ausgestattet. Diese wiederum waren den sie mit Arbeit versorgenden Politikern verpflichtet und sorgten bei den nächsten Wahlen für die oft entscheidenden Stimmen.

Dieser Usus, der in Griechenland gemeinhin als Kundenbeziehung der Politiker und Wähler bezeichnet wird, benachteiligte regelmäßig die Wähler der gerade unterlegenen Parteien. Diese verloren ihren Job, sobald die sie einstellende Partei die Macht einbüßte. Aus diesem Grund wurde in Griechenland einst das Beamtenwesen im öffentlichen Dienst eingeführt.

Für die Müllabfuhr wurde die Verbeamtung ebenso wie für andere Dienste regelmäßig missbraucht. Der gerade frisch eingestellte Abfallentsorger zog ein Hochschuldiplom oder einen sonstigen, staatlich anerkannten Berufsabschluss aus der Tasche und verlangte nach dem geltenden Beamtenrecht flugs die seiner Ausbildung entsprechende Anstellung. Ergo verfielen die Politiker wieder in den alten Trott.

Mit dem Regierungsantritt im Januar 2015 wollte Alexis Tsipras, damals noch als Revolutionär auftretend, diese Unsitte beenden. Statt die Zeitverträge der Betroffenen alle acht Monate neu auszuschreiben, ließ er diese schlicht regelmäßig verlängern. Dabei versprach er, beizeiten für eine Dauerlösung zu sorgen.

Eben dies wurde ihm zum Verhängnis. Die obersten Richter sahen die Verfassung verletzt, weil die Zeitverträge zur Chancengleichheit aller Bürger neu ausgeschrieben werden müssten und weil eine auf unorthodoxe Art erfolgende Festanstellung schlicht verboten sei. Somit wurden die verlängerten Zeitverträge hinsichtlich der Verpflichtung des Staats, den Arbeitern Geld zu zahlen, mit sofortiger Wirkung gegenstandslos. Die ausgezahlten Löhne sind laut Gesetz somit zurückzuzahlen. Einige von ihnen waren bereits 15 Jahre im Dienst. Der Verdienst für den Job liegt im Schnitt bei 660 Euro brutto pro Monat.

Vom Problem ausgenommen sind die Kommunen, die ihre Mitarbeiter nach insgesamt drei aufeinander folgenden Zeitverträgen über acht Monate, also nach insgesamt 24 Monaten entlassen hatten und dafür andere einstellten.

Die Probleme der Regierung

Innenminister Panos Skourletis kann die Angestellten nach dem Gerichtsurteil nicht weiter beschäftigen. Er versprach zunächst, dies doch mit einer gesetzlichen Regelung, der das Parlament zustimmen würde, zu bewerkstelligen. Weil jedoch hinsichtlich der Zahl der möglichen Neuanstellungen erhebliche Beschränkungen bestehen, kann Skourletis nur 2500 Einstellungen vornehmen. Eine weitere Einschränkung folgt aus dem Beamtengesetz, Bewerber, die älter als 45 Jahre sind, sind normalerweise ausgeschlossen.

Weil eine große Mehrheit der aktuellen Abfallarbeiter diese Altersgrenze bereits überschritten hat, versucht Skourletis in diesem Punkt, den Streikenden entgegenzukommen. Die Altersgrenze soll auf 50 Jahre gesetzt werden. Die Streikenden bestehen allerdings auch auf die Weiterbeschäftigung der 10.000 Betroffenen. Treffen der beiden Konfliktparteien finden täglich statt und enden ebenso täglich im Streit. Die Gewerkschaftler bekommen bei diesen Gelegenheiten immer wieder die Härte des Gesetzes in Form der Schlagstöcke der Einsatzpolizei zu spüren.

Nun soll Premierminister Alexis Tsipras als Schlichter auftreten und zwischen seinem Minister und den Gewerkschaftlern vermitteln. Die Folgen des Streiks sind bereits an allen betroffenen Orten spürbar. Die Gesundheitsämter schlagen Alarm und die Touristen, die von Müllbergen begrüßt werden, rümpfen die Nase.