Grippeviren aus dem Weltall?
Britische Wissenschaftler versuchen, ihre Panspermien-Theorie zu belegen, aber es mehren sich auch andere Hinweise auf die Möglichkeit von interstellaren Reisen von Mikroorganismen
Britische Wissenschaftler glauben, epidemiologische Hinweise dafür gefunden zu haben, dass Grippeviren aus dem Weltall stammen und uns infizieren könnten. Besonders in den kalten Wintermonaten gelange Luft, die den Virus oder einen Aktivator für diesen mit sich führen, von der Stratosphäre bis auf die Oberfläche der Erde. Gefördert werde dies auch durch höhere Aktivität der Sonne. Mit dem "Dilemma der Grippe", so der Titel ihres Aufsatzes, wollen sie ihre Theorie unterstützen, dass der Ursprung des Lebens im Weltall liegt. Wenn man also wieder einmal zu niesen und schnupfen beginnt, dann weiß man ab jetzt, dass es einmal wieder eine Invasion vom Weltall gegeben haben könnte.
Zumindest wenn es um Fragen geht, die sich (noch) nicht eindeutig beantworten lassen, sind die Erklärungen von Wissenschaftlern durchaus mit Erzählungen vergleichbar. Manche können sich schließlich durchsetzen, wenn sich Belege finden, und bilden den Stoff, der von der normalen Wissenschaft, also der Mehrzahl der Wissenschaftler, anerkannt wird, andere gelten als nur spekulativ oder als abseitig. Und es gibt nirgendwo eine Garantie, dass der wissenschaftliche Verstand mit denselben Mitteln, mit denen er Erfolge erzielte, nicht auch auf Abwege geraten könnte, selbst wenn manchmal die zunächst abgelehnten verrückten Ideen auch zu neuen Erkenntnissen führen können, die die Wissenschaft revolutionieren.
Der britische Mathematiker und Astronom Fred Hoyle und Chandra Wickramasinghe von der University of Wales at Cardiff haben seit den 70er Jahren die Vorstellung vertreten, dass das Leben auf der Erde vom Weltall aus, beispielsweise durch einen Kometen oder Meteoriten, aber auch durch interstellaren Staub, importiert worden sein könnte. Die Theorie nannten sie "Kosmische Herkunft", und sie ist eine Neuauflage der Überlegungen des schwedischen Chemikers und Nobelpreisträgers Svante Arrhenius, der 1906 vorschlug, dass bakterielle Sporen sich im Weltraum verbreiten könnten. Bekannt wurde diese Hypothese als Panspermien- oder Kosmozoentheorie. Hoyle, 1915, hatte sich als Vertreter der sogenannten Steady-State-Theorie einen Namen gemacht, anerkannte Arbeiten zum Aufbau und zur Entwicklungen von Sternen verfasst und ebenfalls mit Wickramasinghe die umstrittene Eisennadeltheorie begründet, nach der die kosmische Hintergrundstrahlung nicht durch den einmaligen Urknall entstand, sondern ständig neu erzeugt wird.
Warum aber sollten gerade Grippeviren Aliens sein? Für die beiden Forscher ergibt sich dies aus der Beobachtung, dass eine Ansteckung weit mehr davon abhängt, wo wir uns befinden, als davon, mit wem wir in den letzten Tagen Kontakt hatten. Familienmitglieder eines Infizierten seien nicht gefährdeter als andere Menschen. Überdies habe die Verbreitung der Infektion nichts mit den modernen Verkehrsverbindungen zu tun, sondern erfolge noch immer auf dieselbe Weise wie in dem Zeitalter vor dem Luftverkehr. Die Ausbreitung über die Erde brauche noch immer Monate, was man durch direkte Ansteckung nicht erklären könne.
Grippe gebe es auf der nördlichen Halbkugel am häufigsten im Winter und dann besonders in den Monaten Januar und Februar. Zu dieser Zeit gelange Luft aus der Stratosphäre direkt auf die Oberfläche der Erde. Und sie könne die Viren oder Auslöser für ihre Infektion beinhalten. Manchmal könne die Luft zur selben Zeit an weit entfernt liegenden Regionen auftreten, und die Viren müssten daher nicht von einer Person auf die andere übertragen werden: "Die Virenpakete scheinen von sehr kleiner Größenordnung zu sein, vergleichbar mit Rauch, der in Schwaden von Luftturbulenzen gefangen ist. Das geht sogar bis dahin, dass eine Schule davon betroffen und eine andere davon verschont wird, wie wir in einer Studie aus dem Jahr 1978 herausgefunden haben. Eine derartige Idee mag 1978 als ziemlich abseitig betrachtet worden sein, aber jetzt sollte dies mit dem modernen Trend weniger Fall sein, dass man akzeptiert, dass Leben in einer riesigen kosmischen Größenordnung verteilt werden könnte."
Die kosmischen Besucher sind dann möglicherweise auch deswegen so ansteckend, weil immer neue Varianten aus der Stratosphäre herunterschneien. Doch es gibt für die beiden Wissenschaftler noch ein weiteres Indiz für ihre Hypothese. Aufgrund von Beobachtungen erhöhter Sonnenaktivität während des letzten Jahrhunderts, wodurch Sonnenwinde entstehen und verstrahlte Partikel bis auf die Erde gelangen, glauben sie, zwischen diesen und weltweiten Grippeinfektionen eine Verbindung herstellen zu können. Das wäre etwa 1918 bei der spanischen Grippe der Fall gewesen, die zu einer halben Million Toten geführt habe, bei der asiatischen Grippe, die 1957-58 zu 70000 Toten in den USA geführt habe, oder bei der roten Grippe, an der ebenfalls in den USA 1977 30000 Menschen gestorben seien. "Erhöhte Sonnenaktivität wird dem Absinken von Molekülverbindungen, wozu auch Viren gehören, aus der Stratosphäre auf den Erdboden unbezweifelbar förderlich sein", vermuten die Wissenschaftler, wenn diese zuvor durch Meteoritenschauer in die Stratosphäre gelangt sind: "Mit dem mehr oder weniger regelmäßigen Ereignis derartiger Meteoritenschauer kann die notwendige Bedingung dann in der Stärke der Sonnenaktivität gesehen werden, die auf natürliche Weise zu zeitlichen Übereinstimmungen zwischen den Phasen von Infektionen oder großen Epidemien und erhöhter Sonnenaktivität führt."
Und dann gibt es noch eine Warnung, denn seit Ende September habe die Sonnenaktivität mehrere Höhepunkte erreicht und werde voraussichtlich in der Mitte dieses Jahres ihre maximale Stärke finden: "Angesichts der Korrespondenzen wäre es unklug, ruhig zu bleiben, weil wir einer großen Epidemie entkommen sind, selbst wenn wir zufällig ihren schlimmsten Auswirkungen in der gegenwärtigen Jahreszeit entgangen sein sollten." Da können wir uns ja noch auf etwas freuen, wenn wir nicht schon an Grippe erkrankt waren.
Die Hypothese ist natürlich interessant, wird aber wohl nicht allzu viele Menschen überzeugen. Ob die UFO-Fans davon mitgerissen werden, steht auch in Frage, denn was sind schon Viren gegenüber extraterrestrischer Intelligenz? Allerdings scheinen sich die Hinweise darauf allmählich zu verdichten, dass Leben nicht nur auf anderen Planeten entstanden sein könnte, sondern dass Mikroorganismen bzw. deren Sporen tatsächlich in der Lage sein könnten, geschützt im Inneren von Kometen oder Meteoriten, möglicherweise sogar als Bestandteil des interstellaren Staubs, durch das Weltall zu reisen und dann andere Planeten zu infizieren.
So glauben etwa Curt Mileikowsky und Mauri Valtonen, wie sie unlängst während einer Konferenz der American Astronomical Society vortrugen, dass ein Austausch von Bakterien durch Steine, Asteroiden oder Meteoriten durchaus theoretisch möglich sein könnte. Immerhin könnten wahrscheinlich bislang an die 5 Billionen Steine durch den Aufprall von Asteroiden auf die Oberfläche des Mars zur Erde befördert worden sein. Auch wenn bislang nur wenige Marssteine gefunden wurden, so soll es Tonnen von diesen auf der Erde geben. Auf der anderen Seiten sollen mehr als eine Billion Steine auf ähnliche Weise von der Erde zum Mars gelangt sein: "Wegen des starken Verkehrs zwischen Erde und Mars" lässt sich nach Mileikowsky aber nicht entscheiden, ob möglicherweise Bakterien der Erde den Mars, auf dem es früher einmal Leben gegeben haben soll, oder umgekehrt infiziert haben. Allerdings ist nach ihren Vermutungen höchst unwahrscheinlich, dass Leben auch von Asteroiden aus anderen Sonnensystemen bis zur Erde gelangt sein könnte. Nach ihren Berechnungen, was Bakterien oder Sporen an Druck, Temperatur, Beschleunigung und Bestrahlung aushalten müssten, gäbe es zumindest zwei auf der Erde existierende Bakterienarten, die eine interplanetare Reise im Inneren eines Steines überstehen könnten: Deinococcus radiodorans (With a little help from my friends ...) und Bacillus subtilis. In Steinen, die größer als Fußball sind, könnten mehr als 10 Prozent der sich im Inneren befindenden Bakterien überleben.
Auch wenn dies der Fall sein sollte und derartige invasive Organismen in Form von Aliens auf die Erde gelangt wären, ohne beim Eintritt in die Atmosphäre Schaden zu nehmen, hieße das natürlich noch keineswegs, dass etwa damit der Ursprung des Lebens im Weltall liegt und es nicht hier spontan durch bestimmte Bedingungen entstanden wäre. Möglicherweise findet ja nur eben das statt, man als Einführung von invasiven Organismen in ein anderes Ökosystem bezeichnet. Zumindest könnte durch die Raumfahrt nicht nur eine Kontamination der Erde durch Fahrzeuge, Geräte oder Proben geschehen, sondern auch umgekehrt eine Infizierung der besuchten Planeten durch irdische Organismen (Planetary Protection).
Auf der anderen Seite erfährt die Panspermien-Theorie durch eine weitere Vermutung, aber in einem anderen Sinn, Verstärkung. So fanden Astronomen heraus, dass kurz nach der Entstehung von Sternen sich eine Ursuppe von komplexen organischen Verbindungen bildet, die zum Ursprung von Leben führen könnte. Mit der Hilfe von Daten des Infrared Space Observatory (ISO der Europäischen Weltraumbehörde haben die Wissenschaftler entdeckt, dass sich schon nach ein paar Tausend Jahre aus den Verbindungen, die um kurzlebige, Kohlenstoff-reiche Sterne kreisen, organische Verbindungen wie Diacetylen und Triacetylen bilden. Diese Gas- und Staubwolken können in den interstellaren Raum gelangen und so auf geeigneten Planeten zum Ursprung des Lebens beitragen.
Indische Forscher vom S. N. Bose National Centre for Basic Sciences glauben, aus einer Computersimulation Hinweise dafür entdeckt zu haben, dass sich auch Bestandteile der DNA, lange bevor die Erde entstanden ist, gebildet haben könnten. Diese Verbindungen könnten wiederum durch Kometen auf Planeten wie die Erde gelangt sein und dadurch die Entstehung des Lebens möglich gemacht haben. Mit dem Computermodell versuchten die Wissenschaftler nachzuvollziehen, wie sich Verbindungen in einer interstellaren Wolke verändern, die durch die Gravitation kollabiert. So könnte beispielsweise die Aminosäure Adenin aus Hydrogencyanid gebildet werden, das in interstellaren Wolken häufig vorkommt. Die Erde könnte nach der Simulation mit Millionen von Tonnen von Adenin überschüttet worden sein, wenn sie in einer chemischen Umgebung wie die der Simulation zugrundeliegenden entstanden wäre: "DNA-Säuren, die in einer kollabierenden Wolke gebildet werden, könnten die Erde kontaminiert haben", so die Forscher. "Es sollte in jeder Galaxie viele solcher Planeten geben, auf denen DNA-basiertes Leben gedeihen könnte."
Ach ja, da gab es auch noch, wie man bei der NASA nachlesen kann, einen Vorfall vor mehr als 30 Jahren, als man nach der Wiederkehr von Surveyor 3 in der Kamera, die sich drei Jahre auf dem Mond befand, Bakteriensporen entdeckte, die offenbar unbeschadet von der Erde zum Mond und wieder zurück geflogen sind. Auch wenn Streptococcus mitis kein Alien, sondern ein irdischer Organismus ist, der sich in der Nase oder im Mund von Menschen aufhält, so ist dieser Überlebenskünstler doch erstaunlich. Vielleicht also gibt es doch mehr solche Überlebenskünstler, die mit den vielen Tonnen an Meteoriten und Weltraumstaub, die jährlich auf die Erdatmosphäre auftreffen, reisen und manchmal einen Einschlupf finden?